Blick hinter die Kulissen: Das bekommt kein Theatergast zu sehen

Bielefeld. Ein Unternehmen, das 380 Mitarbeiter (davon 268 hinter den Kulissen) aus 30 Nationen beschäftigt und 50 verschiedene Berufe vereint - nur wenigen Menschen dürfte dabei das Theater Bielefeld als Arbeitgeber in den Sinn kommen. Welch immenser Aufwand notwendig ist, bis ein Stück in jeder Hinsicht bühnenreif ist, erfahre ich bei einem Rundgang mit einer 15-köpfigen Besuchergruppe durch Bereiche, die der Zuschauer nicht zu sehen bekommt. Die NW hat für Sie durchs Schlüsselloch geschaut. Gesang, Tanz und Schauspiel befinden sich im Theater Bielefeld als einem Drei-Sparten-Haus unter einem Dach, entsprechend viel gibt es während des zweistündigen Blicks hinter die Kulissen zu sehen. Vom Foyer bewegen wir uns durch enge Gänge zunächst in Richtung Werkstatt der Maskenbildner. Diese erinnert ein wenig an einen Friseursalon. Lockenstäbe, Glätteisen und weitere Utensilien zur Haarbearbeitung hängen gebündelt an der Wand, "kreatives Chaos" ist auch an den zehn Schmink- und Frisierplätzen Fehlanzeige. In den Regalen stehen zahlreiche Köpfe aus Styropor, manche mit Namen und einer Linie über der Stirn versehen. Haare haben eine lange Reise hinter sich "Die Linie markiert den natürlichen Haaransatz der Person, für die die Perücke angefertigt wird", erklärt Werner Pähler, der die Gruppe als ehrenamtlicher Guide durch das Theater führt. Perücken spielten eine entscheidende Rolle bei der Darstellung eines Charakters. Jede einzelne sei eine Maßanfertigung, nahezu ausschließlich aus echten Haaren hergestellt. Auf die Frage nach der Herkunft der Haare hat Pähler eine zumindest für mich überraschende Antwort parat: "Die Haare kommen aus Indien und werden von gläubigen Pilgern in Tempeln gespendet, um den Segen einer Gottheit zu erbitten." Das Haar werde geschält, gebleicht und schließlich je nach Bedarf für die Perücken gefärbt. Nach einem kurzen Abstecher ins Magazin, in dem neben verschiedenen Elementen der Bühnentechnik auch zahllose Requisiten aufbewahrt werden, geht es vorbei an den Diensträumen der Gewandmeisterinnen und der Schneiderinnen zum Kostümfundus. Ein Blick in einen der zahlreichen Probenräume ist leider nicht möglich, alle Räume sind zum Zeitpunkt der Führung belegt. "Ich hatte im Dienstplan den Oratorienchor übersehen", gesteht Werner Pähler.Wie Kostüme auch ohne Waschen frisch riechen Der anschließende Besuch im Kostümfundus, vermutlich der mit Abstand größte Klamottenladen in ganz Bielefeld, entschädigt uns jedoch dafür. Je nach Zählweise hängen hier auf zwei Ebenen zwischen 20.000 und 40.000 Kostüme, beziehungsweise Kleidungsstücke auf engstem Raum, feinsäuberlich geordnet und thematisch beschriftet. Ansonsten wäre es wohl unmöglich, den Überblick zu behalten. Um die Kostüme nicht durch übermäßiges Waschen zu strapazieren, kommen diese regelmäßig in den Ozonschrank, der Bakterien und Viren vernichtet und Gerüche beseitigt. "Nach einer Stunde im Schrank riechen die Sachen wie frisch aus dem Wald", kommentiert unser Guide. Ganz andere räumliche Gegebenheiten erwarten uns im geschätzt acht Meter hohen Malsaal, einer Art überdimensionalem Kunstraum, in dem nach den Vorstellungen des Bühnenbildners die Bühnenbilder entstehen. "Die Elemente, die unten in der Tischlerei gebaut werden, erhalten hier ihre Oberfläche", so Werner Pähler. Auf dem Boden liegen große Leinwände aus und warten darauf, bemalt zu werden. Rund drei Monate proben die Schauspieler für ein Stück, in dieser Zeit entstehen auch die Bühnenbilder und Kulissen.Bühne ist gleich mehrfach vorhanden Im Raum nebenan lerne ich einen mir bis dahin unbekannten Ausbildungsberuf kennen, den des Theatermalers. "Das hier ist die Lehrwerkstatt", erläutert Pähler. Rund 200 Bewerbungen erhalte das Theater jedes Jahr, doch nur zwei Auszubildende können eingestellt werden. Vom künstlerischen Niveau der Bilder bin ich schwer beeindruckt, umso mehr, als ich erfahre, dass es sich hier lediglich um Übungsarbeiten aus dem ersten Lehrjahr handelt. Zum Abschluss betreten wir endlich, an zahlreichen Bühnenbildern und Kulissen vorbei, quasi durch den Hintereingang die "Bretter, die die Welt bedeuten". Die Bühne, die von Arbeitern für die nächste Vorstellung vorbereitet wird, ist in ihren Dimensionen überraschend groß und sogar mehrfach vorhanden. "Wie in einer großen Schublade kann die Drehbühne nach hinten verschwinden. Darunter befindet sich zwei weitere Bühnen, von denen eine nach hinten gekippt und angehoben werden kann. "Insgesamt können so drei Bühnenflächen übereinandergestellt werden", lässt uns Werner Pähler wissen. Für die perfekte Ausleuchtung sorgen 270 Scheinwerfer, die allesamt einzeln steuerbar sind. "Alles, was man sieht, hängt davon ab, wie es beleuchtet wird. Licht ist eines der wichtigsten Elemente im Theater", betont unser Guide. Die unendliche Weite des Schnürbodens Neben der Tiefe der Bühne fasziniert vor allem der Blick nach oben in die scheinbar unendliche Weite des Schnürbodens mit seinen zahlreichen Hebevorrichtungen und Zugstangen. An diesen werden Bühnenbilder, Vorhänge, Wände und Kulissen aufgehängt, pro Zug maximal zwei Tonnen an Gewicht. Heute funktioniere das alles elektrisch, "früher mussten die Bühnenarbeiter alles mit Gewichten machen", erklärt Werner Pähler. Von der Bühne aus gesehen wirkt der Zuschauerraum dagegen eher klein. Mit meiner vorsichtigen Schätzung, dass hier nur rund 300 Leute hineinpassen, liege ich aber ziemlich daneben. Exakt 725 Zuschauer finden hier bei voller Auslastung Platz. Vorsichtig beuge ich mich hinunter und blicke in den knapp fünf Meter tiefen Orchestergraben. Bis zu 70 Musiker müssen sich dort mit ihren Instrumenten verteilen, wenn für eine Aufführung ein Orchester benötigt wird. Zurück im Foyer verabschiedet sich Werner Pähler mit einer gekonnten Verbeugung von seinem Publikum. Ich nehme mir fest vor, bis zu meinem nächsten Besuch im Theater nicht wieder mehrere Jahre vergehen zu lassen - der Blick hinter die Kulissen hat eindeutig Lust auf mehr gemacht.

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