Handels-Chef erklärt: So beginnt der langsame Abstieg einer Fußgängerzone

Bielefeld. NW: Herr Kunz, wie kommt der Bielefelder Einzelhandel bisher durch die Corona-Krise?Thomas Kunz: Ganz unterschiedlich, denn wegen der Pandemie müssen wir stark differenzieren zwischen Betrieben, die permanent öffnen könnten, wie Lebensmittelläden oder Drogeriemärkte, und den vielen Fachgeschäften, die erst während des Lockdowns schließen mussten und sich jetzt mit der 2G-Regel plagen. Dadurch genießen die Kunden immerhin ein höheres Maß an Sicherheit. Der gesamte Handel galt nie als Infektionsquelle – das bestätigte auch das RKI. Nach deren Berechnung betrug die Ansteckungsquote im Handel inklusive der Lebensmittelgeschäfte, wo jeder einkaufen darf, weniger als 1 Prozent. Desinfektionsmittel an Eingängen und Ausgängen, Maskenpflicht für die Mitarbeiter, Abstand zu den Kunden – die Hygienekonzepte funktionierten von Anfang an. In der gegenwärtigen Situation fühlen wir uns einfach nur benutzt. Benutzt wofür? Zum Forcieren der Impfkampagne. Aber warum muss der Händler kontrollieren, ob seine Kunden genesen oder geimpft sind? Da würden Stichproben durchs Ordnungsamt reichen, und wer gegen die Regel verstößt, würde bestraft. Jetzt wird eine ganze Branche bestraft: Nach einem miserablen Weihnachtsgeschäft und sinkenden Umsätzen bedeuten die Kontrollen weitere zusätzliche Kosten für die Geschäfte. Droht doch noch eine Pleitewelle im Einzelhandel? Bisher ist Bielefeld davon verschont geblieben, doch viele Betriebe sind weiterhin in ihrer Existenz bedroht, sie haben stark gelitten und die Eigenkapitalquoten schrumpfen weiter. Hätte es die staatlichen Hilfen nicht gegeben, wäre alles noch schlimmer geworden. Auch sind viele Vermieter ihren Mietern entgegengekommen, vor allem wenn es langjährige Mieter waren. Ich weiß aber auch von Gesprächen, die zu keiner einvernehmlichen Lösung führten.Im Jahnplatz-Forum erhielten die letzten Mieter kurz vor Weihnachten sogar inflationsbedingte Mietnachforderungen – rückwirkend für drei Jahre. In der Corona-Zeit und in einer Lage wie im Jahnplatz-Forum noch Miete nachzufordern und eine Indexanpassung vorzunehmen, das halte ich für sehr unglücklich. Wer bisher zufrieden war mit seinem Mieter, der wird sicherlich auch bereit gewesen sein, Miete zu reduzieren oder zu stunden für eine gewisse Zeit, da gibt es ja verschiedene Modelle. So wie es gegenwärtig im Handel läuft, besteht eher die Gefahr, dass der Mieter weg ist und ein neuer gefunden werden muss. Dann beispielsweise nur an Telefonläden zu vermieten, das kann es ja auch nicht sein. Wieso nicht? Erst kamen Telefonläden, dann Bäcker-Filialen, jetzt ballt es sich bei den Optiker – gibt es Gründe für diese Zyklen?Telefonläden können wegen ihres überschaubaren Angebots nur eine gewisse Miete bezahlen. Kommen sie en masse, folgen bald die 1-Euro-Läden, und damit beginnt langsam der Abstieg einer Fußgängerzone. Zum Glück haben wir keine solche Entwicklung. Das zeigt, dass der Branchenmix in Bielefeld funktioniert. Was besagt das für die Optiker? In der Obernstraße reiht sich gerade ein Geschäft an das andere.Dass sich die Optiker in der Obernstraße so konzentrieren, das ist eher zufällig und dem Leerstand geschuldet. Würden sich die Geschäfte über die ganze Altstadt verteilen, würde das gar nicht so massiv auffallen.Heute sind nur noch wenige Vermieter persönlich vor Ort. Viele Erbengemeinschaften schalten überregional agierende Makler ein, und die rufen nicht mehr an beim Verband und fragen nach, was der Mischung guttäte – die vermieten und fertig. Da besaßen die lokalen Makler früher mehr Einfluss. Bedeutet das die Kapitulation vor den Konzernen? Keineswegs. Corona wird die Innenstädte zwar weiter verändern, und für die Zeit danach rüstet sich Bielefeld schon jetzt mit seinem City-Team und dem Aufbau eines Leerstandskatasters. Alle Anfragen von Unternehmen und Maklern landen zukünftig dort und werden zentral beantwortet. Diese vorausschauende Arbeit wird schon jetzt belohnt mit einer sehr niedrigen Leerstandsquote. Worin genau besteht dann die Attraktivität der Innenstadt? Wir haben ja die Teilung der überwiegend inhabergeführten Geschäfte in der Altstadt gegenüber den Filialisten in der Bahnhofstraße. Diese Trennung gibt es eher selten in den Städten. In der Altstadt führt das zu mehr Aufenthaltsqualität, demgegenüber bietet die Bahnhofstraße eine riesige Auswahl an Produkten, wenn man gerade mehrere Sachen braucht. Insgesamt betrachtet haben wir dadurch noch einen guten Branchenmix in Bielefeld, das muss man ganz klar sagen.Und dazwischen versteckt sich das Jahnplatz-Forum. Besteht für die Passage noch eine Chance? Schon früher hatten die Eigentümer dort Mietvorstellungen, die ließen sich unter der Erde nie erreichen. Und der Einzelhandel wird da nicht glücklich werden – den Standort würden wir auch niemandem empfehlen. Wenn die Passanten zur Stadtbahn gehen, kann sich das für einen Kiosk lohnen. Aber ein Modegeschäft hat da unten keine Chance. Dann doch ein Fahrradparkhaus mit dem wieder geöffneten Waldhof als Zubringer? Die Sperrung des Waldhofs war schon heftig und führte zu deutlich höheren Umsatzeinbußen, das haben alle Umfragen gezeigt. Und wenn ich von der einen Seite nicht in die Straße fahren kann, dann ist es doch nur logisch, dass es sich auf der anderen Seite staut, wie die Kreuzstraße gezeigt hat. Für so eine Prognose muss man kein Verkehrsexperte sein. Die Regelung jetzt mit dem Waldhof als Fahrradstraße ist doch eine gute Geschichte.

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