Demonstration in Bielefeld für die Schließung aller Schlachthäuser

Bielefeld. Dem Tierwohl verpflichtet demonstrierten mehrere Gruppen am Samstagnachmittag vor dem Bielefelder Hauptbahnhof für die Schließung aller Schlachthäuser. Die Koalition der Protestler formierte sich aus Mitgliedern der Tierrechtsorganisation Animal Rights Watch (Ariwa), den Bielefelder von "Animal Save", dem Gütersloher Verein Fairleben, der Hochschulgruppe Venga sowie einem Bündnis der Gegner der Tönnies-Erweiterung. Auf zahllosen Transparenten konnten sich Passanten über das Elend von Tieren in der industriellen Massentierhaltung informieren. Nach der Auftaktkundgebung gegen 14 Uhr zog der mit reichlich Kunstblut dekorierte Tross vom Hauptbahnhof weiter durch die Innenstadt und propagierte lautstark wie melodiös ein veganes Lebens als Lösung für alle Umweltkrisen. Weltweit wird seit 2012 für die Schließung aller Schlachthäuser demonstriert, am Samstag auch in Bielefeld. Aktivistin Ute Esselmann findet: &bdquo;Fleischverzehr hat fast religiöse Züge": Frau Esselmann, Sie fordern eine sofortige Schließung der Schlachthäuser. Was möchten Sie mit dieser Maximalforderung tatsächlich erreichen? Kein Schlachthaus wird umgehend schließen, weil wir das gern so hätten. Aber wir können den Diskurs prägen. Fleisch entsteht aus Gewalt. Menschen glauben gern die Geschichten, die sie über sich selbst erzählen. Eine dieser Geschichten lautet, wir müssten Fleisch essen, das sei halt einfach so. Diese Haltung hat fast schon religiöse Züge, so wenig wird sie hinterfragt und debattiert. Tatsächlich hat die Mehrheit ein Tabu über die Fleischfrage geworfen. Wer daran rührt, gilt als übergriffig, als jemand, der anderen Vorschriften machen will. Ich esse zuweilen Fleisch. Bin ich deshalb ein schlechter Mensch?Die Menschheit beschreibt sich gern als human, vernünftig, tierliebend und moralfähig. Dann ist das aber auch der Maßstab, an dem man sich messen lassen muss. Es ist paradox, wie Gesellschaften, die mit ihrer Moralfähigkeit gern hausieren gehen, jeden Diskurs über Moral und Fleischkonsum im Keim zu ersticken versuchen. Wir sagen: Es gibt kein Menschenrecht auf Gewalt gegen Tiere. Schon gar nicht auf ungestörte Gewalt. Woher denn auch? Verschreckt Ihre Maximalforderung nicht eher? Wen wollen Sie damit erreichen?Wir möchten alle erreichen, und ich glaube nicht, dass ein Appell um Gerechtigkeit für Tiere wirklich verschrecken kann. Im Grunde ihres Herzens wissen viele, dass sie &bdquo;mightover right" praktizieren, wenn sie Fleisch essen. Manchmal bin ich sehr frustriert, weil Menschen meines Alters so langsam reagieren, oder eigentlich gar nicht reagieren. Wir sehen doch schlimmste Fernsehbilder seit 30 oder 40 Jahren. Der ganze Horror für sogenannte Nutztiere ist doch schon ewig bekannt. Und die Lernkurve? Keine? Junge Menschen sehe ich anders, flexibler; die klammern nicht so am Wurstbrot. Lesen Sie auch: Vergeht den Güterslohern nach Tönnies jetzt die Lust auf Fleisch? Nicht die Schlachthäuser sind also das Problem, sondern unser massiver Fleischkonsum?Nein, die Idee vom Tier als Ware ist das Problem. Wir Menschen tun gern so, als sei die Erde ein Selbstbedienungsladen für Homo sapiens. Wir bilden uns ein, wir wären die Alleininhaber und die gesamte nichtmenschliche Bevölkerung sei nicht wirklich daseinsberechtigt, sondern vor allem Ressource. Lediglich wenn ganze Arten zu kollabieren drohen, kriegen wir Skrupel; und auch das primär aus Eigennutz, weil wir wissen, dann wird es brenzlig auch für uns. Dieser völlig unbescheidene, anmaßende Auftritt ist das Problem. Wir schlachten alljährlich etwa 70 Milliarden Tiere, weltweit, ohne Wasserbewohner. Die Alternative lautet nicht, &bdquo;nur" noch 10 Milliarden jährlich abzuschlachten, als Sonntagsbraten. Sondern: Wir müssen die Vernichtung endlich einstellen. Im übrigen ist es geradezu pathologische Anmaßung, sich vor jemanden zu stellen mit der Ansage: &bdquo;Dein Leben gehört mir und nicht dir." Dann müsste die Kritik doch am Konsumenten ansetzen?Auch, ja. Tierrechtsgruppen wie wir machen oft Infostände und kleine Aktionen, um tierliebende Menschen anzusprechen und Impulse zu geben, wie man tierfreundlich einkauft. Dass jetzt so viele, wirklich viele Produkte vegane Labels tragen und die Auswahl so toll geworden ist, ist ja aus der gewachsenen Nachfrage entstanden. Pflanzliche Produkte sind deutlich klimafreundlicher. Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben das bewegt. Und welche Aufgabe hat die Politik?Die Politik muss aufwachen und nicht nur dem Wählerwillen hinterher klüngeln. Sie muss alles tun, um eine echte Ernährungswende voran zu treiben. Ernährungsmitbedingte Krankheiten sind laut DGE für gut zwei Drittel aller Todesfälle verantwortlich. Grob geschätzt belaufen sich die Kosten, die durch Fehl- oder Überernährung jährlich in Deutschland entstehen, auf rund 30 Prozent aller Ausgaben im Gesundheitssystem. Menschen essen sich krank an den Körpern kranker, gequälter Tiere. Zoonosen sind auch ein Punkt. Ohne Schlachthäuser ginge es allen besser. Lesen Sie auch: Wir müssen dringend aufhören, so viel Fleisch zu essen! Manche Menschen lassen sich ihren Fleischkonsum ungern verbieten und pochen auf ihre Entscheidungsfreiheit.Der Zwang geht nicht von uns aus. Der Zwang wird von den Fleischessern auf die Tiere ausgeübt. Und die Folgen des Fleischkonsums muss von allen getragen werden. Die Klimaschäden werden der Allgemeinheit auferlegt. Gleiches gilt für die Umweltschäden. Was halten Sie davon, Verbesserungen statt Verbote zu fordern? Also etwa statt CO2-Begasung Helium zur Betäubung von Schweinen einzusetzen?Kohlendioxid ist ein Reizgas, es schmerzt in den Augen und Atemwegen, die Schweine kriegen Luftnot und Erstickungsangst. In den gasgefüllten Gruben hat man Schreie gemessen bis zu 105 dB. Helium betäubt besser, ja. Es gibt Tierrechtsgruppen, die auch für Verbesserungen streiten; ein Beispiel ist die &bdquo;Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt" mit ihrer Masthuhn-Kampagne. Ich halte solche Kampagnen mit dem Ziel &bdquo;Verbesserung" nicht für falsch. Aber man muss aufpassen, dass man nicht das gute Gewissen sozusagen mitliefert. Hersteller und das Gros der Verbraucher versuchen, die Tötung umzudeuten zu etwas Gutem. Unser Tenor muss lauten: Die Tiere gehören sich selbst. Wir haben nicht das Recht, für unser triviales Interesse an Leckerschmeckerei die zentralen, vitalen Interessen der Tiere zu verletzen. Gibt es Fleischkonsum ohne Tierleid?In mittlerer Zukunft wird es das geben, In-vitro-Fleisch, sogenanntes Clean Meat. Zurzeit ist das Nährmedium noch nicht tierfrei, es enthält fetales Kälberserum, das auf brutale Weise aus Ungeborenen gewonnen wird. Es heißt aber, dass mit Hochdruck an tierfreien Nährmedien gearbeitet wird. Wie war für Sie der Umstieg auf vegane Ernährung?Ich lebe seit 24 Jahren vegan. Etwa 10 Jahre habe ich nichts Käseähnliches gegessen, weil die damaligen Käse-Alternativen ziemlich gruselig waren. Heute ist das Angebot dagegen prächtig. In den ersten Jahren habe ich vermisst, dass ich im Kino kein Snickers mehr kaufen konnte. Im Großen und Ganzen habe ich in veganem Essen aber immer geschwelgt. Man isst anders, aber vielfältiger. Es war eine Entdeckungsreise. Kleines Manko: Anfangs gab es kaum Fertigprodukte. Also wenn was gestört hat, dann eher der Zeitaufwand. Heute gibt es pflanzliche Convenience-Produkte zuhauf. Ich esse lieber Selbstgekochtes, aber eine schnelle Erbsensuppe aus der Dose ist eben auch mal praktisch. Mussten Sie sich für Ihre Entscheidung rechtfertigen?Nein, wirklich rechtfertigen musste ich mich nie. Ich bin oft gefragt worden: &bdquo;Warum denn so extrem?" Ich frage gern zurück: &bdquo;Darf man aus Persönlichkeiten Bratwurst, Stiefel und Seife machen?" Als Reaktion kommt praktisch immer, im Brustton der Überzeugung: &bdquo;Nein, natürlich nicht!" Da hat man die fragende Person schon im Schwitzkasten. Die Menschen wissen ja, dass Hunde und Katzen ausgeprägte Persönlichkeiten sind, denn mit ihnen sind sie befreundet. Und im Innersten wissen sie auch, dass für Kühe, Schweine, Hühner und andere sogenannte Nutztiere dasselbe gilt. Im Lauf der Unterhaltung über tierliche Persönlichkeiten merken sie dann, nachdem man die richtigen Fragen gestellt hat, wie total extrem es ist, heute noch Fleisch zu essen. Auch wenn sie es nicht zugeben wollen. Werben Sie auch im privaten Umfeld für vegane Ernährung? Erreichen Sie ein Umdenken?Ich kann nur Impulse setzen. Wenn es nicht um Leben und Tod ginge, wäre es fast so etwas wie ein spannendes Sozial-Experiment: Wer macht es sich weiterhin auf Kosten der Tiere schön? Wer hört auf seinen Magen? Wer hört auf sein Herz? Wie steigt man nachhaltig auf veganes Essen um, ohne Heißhunger auf Wurst zu kriegen?Es gibt tolle kostenlose Einstiegsprogramme von verschiedenen Anbietern im Netz. Die Idee ist immer, dass man mit einer begrenzten Zahl von Newslettern informiert wird über alles, was für Neulinge hilfreich ist: Rezepte, Einkaufstipps, Gesundheit, vegane Sportler, vegane Promis, Tierschutz. Million Dollar Vegan hat ein spannendes Angebot mit Fokus auf Gesundheit. &bdquo;Vegan Taste Week", &bdquo;twenty4vegan", &bdquo;Veganuary" sind ebenfalls klasse. Man sollte die eigenen Maßstäbe nicht zu hoch setzen, sonst landet man vorschnell bei: &bdquo;Das könnte ich nie!" Im Urlaub ist man doch auch neugierig auf die Landesküche. Verspielt und neugierig einfach mal loslegen, dann kriegt das eine Eigendynamik.

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