Bielefeld

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Vom Paradies auf einem Bielefelder Schweinestalldach

Landwirt Heinrich Dingerdissen will ein Zeichen setzen und kredenzt künftig Insekten ein üppiges Buffet. Er hofft, dass andere seinem Beispiel folgen.

Auf dem Schweinestalldach harkt Jörg Schlüsselburg, vorne sät Rainer Schwagmeier. Thomas Greif walzt die Saat ein und Heinrich Dingerdissen sorgt für Nachschub. | © Sarah Jonek

Heimo Stefula
18.05.2020 | 18.05.2020, 11:21

Bielefeld. Unten grunzen fröhlich, gesund und munter ein gutes Dutzend Schweine im Trog (mit Außenterrasse bei Dreierbelegung), während ihnen oben der umtriebige Landwirt im Unruhestand, Heinrich Dingerdissen, aufs Dach steigt. Ebendort sät er Sedum-Sprossen, eine Mischung die, wenn sie blüht und gedeiht, Bienen und Insekten ein reichhaltiges und prall gefülltes Menü zur Verfügung stellt.

„So kann die Entwicklung nicht weitergehen. Das bedeutet einen Verlust an Artenvielfalt und Biodiversität", betont Dingerdissen, der sich im Bauernverband und bei Pro Grün schon seit Jahren engagiert. Im Besonderen prangert der Landwirt in 17. Generation den Flächenfraß neuer Siedlungsgebiete in Bielefeld an (Dornberg/Babenhausen).  Und auch die Ansiedlung immer mehr neuer Gewerbegebiete an der Peripherie der Stadt ist ihm ein Dorn im Auge.

Landwirt Heiner Dingerdissen zeigt die Serum-Sprossen, die sein Dach ergrünen lassen sollen. - © Sarah Jonek
Landwirt Heiner Dingerdissen zeigt die Serum-Sprossen, die sein Dach ergrünen lassen sollen. | © Sarah Jonek

So viel Raum für grüne Dächer

Es gebe unendlich viel Potenzial für Dachbegrünungen: Auto- und Möbelhäuser mit tausenden Quadratmetern Fläche, aber auch andere typische Flachdachbauten: Werkstätten, Supermarktdiscounter, Sport- und Lagerhallen, Einfamilien-Bungalows, Carports, und, und, und ... „Warum",  fragt Dingerdissen, „kann man im Genehmigungsverfahren eines Bauantrages nicht festlegen, dass die Nutzung des Flachdaches ökologisch sinnvoll sein muss? Sei es durch Photovoltaik-Anlagen oder eben durch eine Dachbegrünung?" Eine Frage, die er – durch die Blume – seinem Parteifreund, dem Baudezernenten Gregor Moss, stellt.

Statik muss beachtet werden

Dingerdissen geht nun mit gutem Beispiel voran und nimmt  ein paar tausend Euro in die Hand. Sein Schweinestall hat weit mehr als 100 Quadratmeter, Garagendach-Begrünungen kämen mit einem Bruchteil davon aus. „Mit 40 Euro pro Quadratmeter muss man schon rechnen", kalkuliert der ausführende Landschaftsbauer Jörg Schlüsselburg. „Die Kosten für die, in allen Farben blühende Sedum-Sprossen-Mischung sind da eher marginal".

Ein Statiker muss herangezogen werden, eine Dach-Traglast von 40 Kilo pro Quadratmeter ist das Minimum (und wenn’s im Winter doch mal länger schneien sollte, muss man eben mal mit Schippe aufs Dach), eine Trapezblech-Konstruktion hat sich Dingerdissen auf den Schweinestall montieren lassen, ein biologisch abbaubarer Öko-Schaumstoff mit Düngemittel versetzt, bildet den Untergrund für die Saatmischung.

Knöcheltiefe Vegetation

„In vier bis sechs Wochen wird sich auf dem Schweinestall eine knöcheltiefe Vegetation bilden", prognostiziert sachverständig der Biotop-Gestalter Schlüsselburg. Und dann geht alles fast von allein und auf ewig. „Einmal mähen im Herbst und etwas Unkraut zupfen, das satte Grün von fremden Samen wie Löwenzahn befreien, fertig!"

„Eigentlich wollten wir schon zur Bielefelder Klimawoche am Start sein", betonen die beiden Klimawochen-"Aktivisten" Rainer Schwagmeier (selbst Landwirt) und Thomas Greif, „aber Corona hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht". Auch Heinrich Dingerdissen plante ursprünglich ein großes Hoffest anlässlich der Schweinestall-Dachbesamung durch Sedum-Sprossen. „Wir melden uns aber wieder, wenn dort oben alles bunt blüht!"

Als Impulsgeber wirken

Für den umtriebigen Bauern ist diese Aktion kein Prestige-Objekt, er habe keine „Klassenprimus-Attitüden", er betont aber, dass er sich durchaus als Impulsgeber versteht. Auch wenn er - in freier Natur am Stadtrand - seine neue Insektenoase sieht, wie „Perlen vor die Säue schmeißen", hier kreucht und fleucht es ohnehin ganz gut.

Apropos Säue: „Welches Schwein hat schon ein grünes Dach überm Kopf?", fragt neidisch Jörg Schlüsselburg. Und die Insekten und Bienen? Die werden sich beim Anblick von Dingerdissens Stalldächern denken, angesichts ihres Ausblicks beim Ausflug nach unten mit Beton und Asphalt, mit Häusern, Straßen und Schotterdächern: „Schwein gehabt!