Wie ein Bielefelder Heroin-Junkie durch ein Medikament zurück ins Leben fand

Bielefeld. Thomas F. ist 13 Jahre jung, als er sich das erste Mal eine Spritze setzt und Heroin in seine Venen pumpt. Sein junges Leben endet, bevor es richtig beginnt. Seitdem bestimmt die Droge seinen Alltag. Thomas F. ist Tag und Nacht auf der Suche nach Geld, um das Heroin zu finanzieren: Rund 3.000 Euro im Monat gibt er dafür aus, 100 pro Tag. Einen Job hat er nicht, er leiht sich Geld und er klaut. Erst das Medikament Methadon holt ihn zurück in die Realität. Heute ist er 65 Jahre alt, er arbeitet für ein Umzugsunternehmen und ist mit sich im Reinen. Und dennoch sind die Vorurteile gegen ihn und das Medikament in der Bevölkerung noch immer groß. "Als ich noch Heroin nahm, war ich körperlich und psychisch immer kaputt. Ich habe ständig gezittert und verspürte immer den Druck, neuen Stoff zu bekommen." Die Heroin-Wirkung lässt nach einigen Stunden nach. Dann brauchen Abhängige eine neue Dosis. Auch der Alltag als "Illegaler" habe ihn krank gemacht, sagt Thomas F, ein unauffälliger Mann von mittlerer Größe, Dreitage-Bart, Basecap, schlank. Beschaffungskriminalität sei damals ein großes Problem gewesen. Damals steckte er sich mit Hepatitis an, einem Virus, der oft durch den Umgang mit verunreinigtem Spritzbesteck ausgelöst wird. Thomas F. habe sich jeden Tag "gehen lassen". Sein ganzer Körper habe gelitten. Es gab keine Farben mehr in seinem Leben. Im Jahr 1980 hörte er vom Medikament Methadon. In Amsterdam kam er damit erstmals in Kontakt, da es in Deutschland noch nicht erlaubt war. Anfangs fuhr er jedes Wochenende von seinem damaligen Wohnort Münster in das Nachbarland, um Methadon zu kaufen. Seitdem nimmt er jeden Morgen eine Methadon-Tablette ein, die seine Sucht nach Heroin stillt. Jeden Tag, seit 40 Jahren. Seit 1992 in es auch in Deutschland zugelassen. Abhängig ist F. immer noch, aber nicht mehr vom schmutzigen Straßenheroin, sondern vom sauberen Medikament Methadon. Das dämpft die Entzugserscheinungen. "Sonst würde ich mir noch immer jeden Tag irgendein Zeug spritzen." Das Risiko zu sterben, ist für Heroin-Abhängige sechsmal höher. Viele Methadon-Patienten sind 60 Jahre und älter Thomas F. kenne viele Menschen in Bielefeld, die mit Methadon behandelt werden. Viele seien 60 Jahre und älter. Einige aber wollten von dem Medikament nach wie vor nichts wissen, um sich "nicht von einem Arzt abhängig zu machen". Hilfe finden sie im Drogenhilfezentrum. Dort laufen viele Fäden zusammen. In den Räumen an der Borsigstraße kümmert sich seit 15 Jahren der Allgemeinmediziner Stephan Hübener mit seinem Team um Abhängige - in enger Kooperation mit den Mitarbeitern der Drogenberatung. Der Facharzt betreut rund 300 Abhängige mit einer sogenannten Substitutions-Therapie, um deren Gesundheitszustand zu stabilisieren. Methadon ist dabei eines von mehreren Substituten. Es wird an Menschen verabreicht, die opioid-abhängig sind - so wie Thomas F. Die Therapie muss langfristig ausgerichtet sein, damit sie erfolgreich ist. "Drei Monate reichen nicht aus", sagt Hübener. Er stimmt die Dosis individuell auf jeden Patienten ab. Die Wirkzeit von Methadon beträgt 24 bis 36 Stunden. Sobald Thomas F. das Medikament absetzen würde, fiele er nach wenigen Tagen zurück in die Heroin-Abhängigkeit. Knapp drei Viertel der Patienten seien Männer; meist um die 40 Jahre alt. Hübener stellt klar: "Methadon ist ein Medikament und keine Ersatz-Droge, wie es immer wieder fälschlicherweise in der Öffentlichkeit bezeichnet wird." Es wird in Tablettenform und als Flüssigkeit verabreicht. Nur noch sechs niedergelassene Ärzte und zwei Kliniken in Bielefeld bieten diese Substitutions-Therapie an. Vor einigen Jahren waren es noch 20. "Der Drogenbereich wird von vielen Medizinern noch immer als Schmuddelbereich gesehen", kritisiert Michael Wiese von der Drogenberatung und fügt an: "Große Teile des Gesundheitssystems wollen mit unserem Klientel nichts zu tun haben." Er sei seit 40 Jahren in diesem Job tätig. "Die Vorurteile von damals gibt es heute noch immer. Das ist unverständlich." Der "Kruse-Prozess" Die niedrigschwellige und liberale Drogenarbeit in Bielefeld hatte Anfang der 2000er Jahre zu einem öffentlichen Streit geführt, der vor Gericht ausgetragen wurde. Wiese und Piet Schuin, beide aus der Geschäftsleitung der Drogenberatung, sowie mehreren hochrangigen Polizeibeamten, etwa dem damaligen Polizeipräsidenten Horst Kruse, wurde die Förderung von Drogengeschäften vorgeworfen. Ohne Erfolg. 2003 wurde das Verfahren gegen Auflagen endgültig eingestellt. Unter anderem Bielefelds oberster Drogenfahnder Manfred Hudalla hatte den Prozess damals ausgelöst und die Polizeiführung und Drogenberatung belastet, nachdem die Polizei Drogendealer auf dem damaligen Gelände der heutigen Drogenberatung an der Wilhelm-Bertelsmann-Straße festgenommen hatte. Kruse musste in den Ruhestand gehen. Kurze Zeit später ging in Bielefeld einer der ersten Drogenkonsumräume in NRW an den Start. Das Drogenhilfezentrum (DHZ) an der Borsigstraße wird heute täglich von mehr als 200 Drogenabhängigen besucht. In Kombination mit der niedergelassenen Arztpraxis um Stephan Hübener gilt das DHZ deutschlandweit als fortschrittlich und nahezu einmalig. &bdquo;Uns besuchen Kollegen aus Berlin und Düsseldorf, um zu schauen, wie wir arbeiten", sagt Luise Leßmann, Leiterin des DHZ. Hübener hat in seiner Praxis Kapazitäten, um rund 100 weitere Substitutions-Patienten aufzunehmen. Für das kommende Jahr plant das DHZ eine groß angelegte Aktion, um noch mehr Drogen-Abhängige zu behandeln, denn viele von ihnen leiden an Hepatitis C. &bdquo;Wir werden verstärkt auf Betroffene im Drogenkonsumraum zugehen, sie auf Hepatitis C testen und gegebenenfalls behandeln", sagt Leßmann. Für Thomas F. ist heute klar: &bdquo;Ohne das Medikament und die Hilfe im Drogenhilfezentrum wäre ich wohl nicht mehr auf der Welt."

Meistgelesen