Als in Bielefeld nach der Nazi-Demo endlich Stille einkehrte

Bielefeld. Ignorieren oder Kante zeigen? In Bielefeld ist das keine Frage. Wieder einmal erlebten die Rechtsradikalen, dass ihnen in Ostwestfalen-Lippe besonders viel Gegenwind entgegen bläst. Auch wenn dies wieder einen Tag im Belagerungszustand für die Stadt bedeutete. An insgesamt 14 Gegendemonstrationen nahmen rund 14.000 Menschen teil – sie waren wütend, aber auch witzig und kreativ in ihrem auf vielen Plakaten geäußerten Nazi-Bashing. Kleine Auswahl gefällig: &bdquo;Braunes gehört ins Klo" – &bdquo;Mit scharfen Borsten gegen stumpfe Gesinnung" – &bdquo;Hafergebäck statt Haverbeck" – &bdquo;Nazis ham’ne Scheißfrisur" – &bdquo;Das B in Rassismus steht für Bildung" – &bdquo;Nazis essen heimlich Döner" oder noch ein besonderer Pflegehinweis: &bdquo;100 Prozent auf Links bügeln". Zahlreich, kreativ und bunt Radler fuhren gegen rechts, Omas standen auf gegen rechts, ebenso wie Muslime oder Juden. Es gab die Initiative Bielefelder Subkultur, die den Faschisten in riesigen Lettern sagte, dass sie eine Schande für Deutschland sind. Die Bielefelder Künstlervereinigung K 14 erinnerte mit Hunderten anderer in stillem Gedenken vor der Synagoge an der Detmolder Straße an die Opfer des Holocausts. Prominente aus Politik, Wissenschaft, Kirchen, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbänden gingen mit dem Banner des &bdquo;Bündnisses gegen Rechts" voran: &bdquo;Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen." Sensibel sein für Menschenfeindlichkeit Es wurde am Mahnmal vor dem Hauptbahnhof der Deportationen gedacht, Menschen schützten die Stolpersteine auf dem Weg der Neonazis. Es gab eine schützende Menschenkette um das Landgericht, vor dem die Rechten in Sichtweite ihre Parolen skandierten, völkische Lieder und die 1. Strophe der Nationalhymne sangen. Wilhelm Heitmeyer, Professor für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Uni Bielefeld, beschwor die Menschen – trotz der an diesem Tag konfliktfähigen Zivilgesellschaft – auch im Alltag sensibel zu sein für Grenzüberschreitungen, für schleichende Normalisierung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Wirklich "wegklatschen"? Es gab die umstrittene Klatschpappen-Aktion der SPD, die selbst in den eigenen Reihen im Vorfeld Kritik gefunden hatte. &bdquo;Nazis wegklatschen" stand auf den 1.000 verteilten Pappen. Während die einen das &bdquo;Wegklatschen" eher mit lautstarkem Protest übersetzt wissen wollten, sahen andere darin eine unschöne und unnötige Rhetorik. Erinnerte sie doch an den zynischen Begriff der rechten Szene des &bdquo;Fidschi-Klatschen". Endlich Platz für Gebete All das und viel mehr gab es am 9. November im bunten und weltoffenen Bielefeld. Als die Ewiggestrigen endlich auf dem Rückweg waren, war Zeit für Stille, für die Ereignisse vom 9. November 1938, für das Gebet &bdquo;El Male Rachamim" für die Seelen der Opfer der Shoah und das Kaddisch, das Totengebet. Am Standort der ehemaligen Synagoge an der Turnerstraße versammelten sich noch einmal viele Menschen. Mitverantwortung eingestehen Sie hörten, dass das Niederbrennen der Synagoge keine Nacht-und-Nebel-Aktion war, sondern eine von Feuerwehr, Polizei, Gestapo, SS und Oberbürgermeister Budde gut beratschlagte Brandstiftung. Martin Decker von der Friedensgruppe der evangelischen Altstädter Nicolaigemeinde forderte daher von der Polizei eine ähnliche entschuldigende Geste, wie es die Bielefelder Feuerwehr 2013 getan habe. Kein Platz für Hass und Gewalt Der Abschluss eines langen Tages fand schließlich im Neuen Rathaus statt. Mit der offiziellen Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an das Judenpogrom. Mitgestaltet wurde sie von Chor und Orchester der Marienschule der Ursulinen sowie von Schülerinnen und Schülern der Laborschule. Diese hatten, basierend auf dem Buch "Sie waren doch unsere Nachbarn" eine szenische Lesung vorbereitet, in der abwechselnd Täter- und Opferperspektive eingenommen wurde. Zunächst in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938, aber auch bei den Deportationen und später in den Konzentrationslagern. Weitere Beteiligte der Gedenkveranstaltung waren die Jüdische Kultusgemeinde, die Evangelische und Katholische Kirche, die Deutsch-Israelischen Gesellschaft und die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Oberbürgermeister Pit Clausen betonte dort noch einmal, dass es ihm Mut mache, dass so viele gegen Rechts aufgestanden sind. Dass sie sich dafür einsetzen, dass kein Platz ist in Bielefeld für Hass und Gewalt, für Antisemitismus, Rassismus und Faschismus.

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