Kampfgebiet Notaufnahme: Lange Wartezeiten machen Bielefelder Patienten aggressiv

Bielefeld. Als neurologischer Notfall kam die 60-jährige Gertrude B. (Name geändert) an einem Morgen Ende August in die Zentrale Notaufnahme (ZNA) des Evangelischen Klinikums Bethel in Gilead I. Starke Kopfschmerzen und massive Übelkeit hatten sie schon länger geplagt, aber noch nie so wie an diesem Donnerstag, sie war zu Hause zusammengeklappt. Ihr Mann brachte sie zunächst zum Hausarzt, der überwies sie zum Neurologen, einen kleinen Schlaganfall nicht ausschließend. Gegen 11 Uhr erreichte das Paar die Notaufnahme, mehr als acht Stunden später ging es unverrichteter Dinge wieder heim – ohne das Gertrud B. einen Arzt gesehen hätte. Sie wandte sich mit ihrem Gefühl &bdquo;als Patient eher entsorgt, denn versorgt worden zu sein" an die NW, die sich der Kritik an Notaufnahmen in Bielefelder Kliniken bereits im April und Mai ausführlich angenommen hatte. An die Patienten-Hotline des EvKB hat sich Gertrud B., der es mittlerweile dank Hilfe ihrer Heilpraktikerin besser geht, allerdings mit ihrem Unmut und ihrem Unverständnis über die Situation in der Gilead-Notaufnahme nicht gewandt. Genauso wenig wie ein anderer schmerzgeplagter Patient, der gegenüber der NW Klage darüber geführt hatte, dass er dort äußerst unfreundlich behandelt worden sei, nachdem er sich nach elender Warterei erkundigt habe, wie lange er denn noch dauern werde. Die Klinik würde sich jedoch wünschen, jede Kritik umgehend auch über die Hotline (Tel. 05 21/77 27 77 77, E-Mail: hotline@evkb.de) zu erfahren, damit die Chance bestehe, solche Vorwürfe gemeinsam schnell aufarbeiten zu können. Lange Wartezeiten in der Notaufnahme sind in Gilead und den anderen Kliniken der Stadt aus unterschiedlichsten Gründen mittlerweile an der Tagesordnung. Dennoch bedauern Hans-Werner Kottkamp, Chefarzt der ZNA, und Uli Luckey (Pflegerische Leitung) ausdrücklich, dass Gertrud B. so lange in der Notaufnahme hatte warten müssen und schließlich ohne Arztkontakt gegangen war. &bdquo;Fünf Stunden sollten maximal die Grenze sein", sagt Kottkamp, &bdquo;aber in Ausnahmefällen kann es einfach länger dauern." Und der betreffende Tag Ende August sei ein solcher Ausnahmetag mit extrem hohen Notfallaufkommen gewesen, schildert Luckey.Was Farben über Notfälle verraten Wobei die Frage, wer denn ein echter Notfall ist, vom schmerzgeplagten und verunsicherten Patienten oft anders eingeschätzt wird, als vom Fachpersonal. Auch Gertrud B. ging es subjektiv sehr schlecht, doch andere waren offensichtlich deutlich schlechter dran – und sind daher vor ihr drangekommen. Die Dringlichkeit der Behandlung ist dabei eine Frage der Farbe, die von den Pflegefachkräften nach ersten Untersuchungen und dem Erstgespräch festgelegt wird. Fünf Farbstufen sieht das Manchester-Triage-System vor – vom blauen &bdquo;Nicht dringend" bis zum knallroten &bdquo;Sofort". Gertrud B. war &bdquo;grün", ein normaler Fall ohne &bdquo;akutes Krankheitsbild". Kommunikation noch unbefriedigend Die &bdquo;Roten" und &bdquo;Orangen" (sehr dringend) kommen für alle in den beiden Wartezonen zumeist unsichtbar – per Rettungs-, Notarztwagen oder Hubschrauber nach Gilead. Pro Tag gibt es nach den Worten von Hans-Werner Kottkamp rund 30 akute Notfälle im überregionalen Traumazentrum für Schwerstverletzte, denen zusammen mit den anderen Besuchern der ZNA eine begrenzte Zahl von Pflegern und Ärzten gegenüberstehen. Kottkamp und Luckey sind sich klar, dass der Kommunikation in Notaufnahmen neben der fachlichen Kompetenz eine zentrale Rolle zukommt. &bdquo;Aber wenn 20 Patienten in drei Stunden reinkommen, sind unsere Ressourcen dafür begrenzt", räumt der Pflegerische Leiter ein. Dann würden auch ungefähre Zeitangaben bei der Aufnahme hinfällig. Die EVKB-Plus-App fürs Handy kommt Erklärungen sollen neben einer neuen Informationsbroschüre, die in der ZNA ausliegt, auch Videos liefern, die in Kürze in den beiden Wartezonen von Gilead abgespielt werden. Drei kleine Filme in drei Sprachen erläutern die unterschiedlichen Behandlungssituationen hinter den Kulissen der Gilead-Notaufnahme und sollen bei den Patienten auch Verständnis für mögliche lange Wartezeiten wecken. Zu sehen sind sie bereits vorab im Internet auf nw.de. Fürs Johannesstift werden diese Filme noch gedreht. Kottkamp: &bdquo;Wir müssen die Information über die schweren Fälle besser rüberbringen." Daher werde auch überlegt, wie Abläufe geändert werden können, damit ein Arzt zwischendurch doch mal einen ersten Blick werfen kann. Außerdem ist die neue App &bdquo;EvKB plus" in Arbeit, die die häufigsten Fragen zum Klinikum und zu den Abläufen in einer Notaufnahme darstellen wird. &bdquo;Wir sind auch daran, die voraussichtlichen Wartezeiten zu visualisieren", sagt Chefarzt Kottkamp. Regelmäßig gebe es Deeskalationstraining für die Mitarbeiter. &bdquo;Aber manchmal reagiert man an schweren Tagen nur als Mensch", sagt Uli Luckey. Vor allem, wenn es gerade um Leben und Tod gegangen sei, müsse er sich bei ungeduldigen Fragen sehr zusammennehmen. Luckey wünscht sich auch dafür bei Patienten etwas mehr Verständnis. Von denen sich durchaus einige nicht im Griff haben. &bdquo;Es gibt täglich verbale und körperliche Gewalt gegenüber dem Personal." Es werde gegen Türe getreten, mit Stühlen geworfen, wüst geschimpft. So werden Beschwerden behandelt Kira Stracke, Leiterin des Qualitätsmanagement des EvKB, ermutigt die Patienten, sich umgehend an die Hotline und das Beschwerdemanagement zu wenden. Jede Kritik werde systematisch und neutral erfasst, die betreffenden Stellen im Haus müssten Stellungnahmen abgeben, es gebe telefonische und schriftliche Rückmeldungen. &bdquo;Ich als Chef will über jede Beschwerde Bescheid wissen", betont Werner Kottkamp, der nach eigenen Worten durchaus selbst zum Hörer greift, um Klarheit zu schaffen. &bdquo;Ziel ist, die Strukturen zu verbessern und die Patientenzufriedenheit zu erhöhen." Nach Kira Strackes Worten kommen offizielle Beschwerden jedoch nicht oft vor: 2018 gab es bei rund 50.000 Notfallpatienten genau zwölf Patientenbeschwerden – sieben in Gilead, fünf im Johannesstift. Notaufnahmen als Facharzt-Ersatz Dass die Notaufnahmen so überlaufen sind und an manchen Tagen zum Kampfgebiet werden, hat für Chefarzt Werner Kottkamp sowohl strukturelle als auch gesellschaftliche Gründe. Weil es Probleme bei der ambulanten Versorgung gebe, Facharzttermine oft monatelang auf sich warten ließen, würden die Menschen die Notaufnahmen zunehmend als Ersatz betrachten. Dabei hätten viele auch noch eine übersteigerte Erwartungshaltung, nicht selten befeuert durch ihre medizinischen Recherchen im Internet. Ausgestattet mit den &bdquo;richtigen medizinischen Stichworten" ließen sich manche sogar extra mit dem Rettungswagen einliefern, in der Hoffnung schneller behandelt zu werden. Kottkamp würde sich daher wie im Städtischen Klinikum eine Notfallpraxis wünschen, die die ZNA zumindest in der Woche entlasten könnte. &bdquo;Eigentlich müsste es so etwas an jedem großen Krankenhaus geben." So aber gelte der Grundsatz, dass kein Patient abgewiesen werde, selbst wenn er ein Bagatellfall ist, der auch zum Haus- oder Facharzt gehen könnte. Wartezeit dann aber inbegriffen. Bei der Behandlung spiele auch keine Rolle, ob jemand privat oder gesetzlich versichert ist. Für die Abrechnungen sei die Frage danach aber unabdingbar. Kassen übernehmen Terminsuche Denen, die nicht wirklich ein Notfall sind und am unteren Ende der Farbskala landen, die in der Folge mit langen Wartezeiten rechnen müssen, rät Chefarzt Kottkamp, dass Angebot der Krankenkassen zu nutzen. Diese böten an, einen Facharzt-Termin innerhalb von 14 Tagen zu organisieren – wenn auch nicht unbedingt beim Wunsch-Mediziner, aber in vertretbarem Umkreis.

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