„Wir erleben in Bielefeld eine Diktatur der Bedenkenträger"

Bielefeld. Vor fünf Jahren war Robert B. Fishman schon einmal zu Gast bei den Mittagsgesprächen im Holzhaus. &bdquo;Ich bin seitdem ungeduldiger und, ja, auch zorniger geworden", sagt der Journalist. Warum? &bdquo;Weil uns die Zeit wegläuft." Bei den Themen Nachhaltigkeit, Verkehrswende und Klimaschutz sei es längst nicht mehr fünf vor, sondern fünf nach zwölf, betont der 57-Jährige, der in wenigen Tagen Geburtstag hat. &bdquo;Deshalb ist es so wichtig, dass wir auch in Bielefeld jetzt mit diesen Themen wirklich ernst machen." "So sieht doch keine Verkehrsberuhigung aus" Aber eben diesen Ernst vermisse er gerade bei der so dringend notwendigen Verkehrswende. Er formuliere es daher jetzt bewusst provokativ: &bdquo;Wir erleben in Bielefeld eine Diktatur der Bedenkenträger, die verhindert, dass wir endlich entscheidende Schritte nach vorne machen." Auch die Paprika-Koalition komme bei diesen zentralen Themen einfach nicht voran, weil auch bei ihr die Traute fehle, Interessensgruppen auf die Füße zu treten, um eine wirkliche Verkehrswende durchzusetzen. Fishman verweist auf den Jahnplatz. Das sei eine halbherzige Politik in Sachen Verkehrswende, die den Verkehr nicht reduziere, sondern nur verlagere. Die 50 Meter lange Sperrung des Niederwalls sei auch eher ein Witz. &bdquo;So sieht doch keine Verkehrsberuhigung aus." "Bielefeld braucht ein deutlich besseres Radwege- und Nahverkehrsnetz" Bielefeld brauche vor allem ein deutlich besseres Radwege- und Nahverkehrsnetz gerade auch an der Peripherie. Für zentral hält Fishman eine City-Maut, um den Verkehr zu reduzieren und zu steuern. Mit den Einnahmen aus dieser Maut könne dann wiederum MoBiel mit mehr Finanzmitteln ausgestattet werden, sein Netz ausbauen und die Preise senken, &bdquo;so dass es viel attraktiver wird, auf Bus und Bahn umzusteigen". Auch über einen kostenlosen ÖPNV sollten sich Stadt und MoBiel ernsthaft Gedanken machen und das durchrechnen. &bdquo;Doch was passiert?", fragt Fishman und gibt die Antwort selbst: &bdquo;Stattdessen haben die Stadtwerke gerade die Preise für Busse und Bahnen erhöht. Das ist das genaue Gegenteil von dem, was wir brauchen, um eine ökologische Verkehrswende einzuleiten." "Die Vorrangpolitik für das Auto ist immer noch ungebrochen" Dieses kurzsichtige Agieren mache ihn zornig, wie auch die Tatsache, dass das Radwegenetz nicht deutlich ausgebaut werde. &bdquo;Es gibt immer noch keine Radschnellstraßen, viele Radwege enden weiterhin im Nirgendwo, Radfahrer und Fußgänger stehen unglaublich lange vor roten Ampeln." Für Fishman alles Belege dafür, dass die Vorrangpolitik für das Auto in Bielefeld &bdquo;leider ungebrochen ist". Fishman, der als Journalist viel im Ausland unterwegs ist, verweist auf Göteborg in Schweden. &bdquo;Dort hat die Stadt gegen viel Gemaule eine City-Maut durchgesetzt. Und sie funktioniert, leistet einen zentralen Beitrag zur Verkehrswende. Einen solchen politischen Mut wünsche ich mir auch in Bielefeld." "Die Politik lässt sich von Einzelhändlern ausbremsen" Stattdessen ließe sich die Ratspolitik hier bei der Verkehrswende immer wieder gerade auch von Einzelhändlern ausbremsen. Fishman verweist auf die Debatte in den 1960er Jahren. &bdquo;Damals befürchtete der Einzelhandel seinen Untergang, weil Städte die Fußgängerzonen für sich entdeckten." Der Einzelhandel indes sei nicht untergegangen, sondern habe von den Fußgängerzonen profitiert. Er sei sich sicher, dass Einzelhändler auch von verkehrsberuhigten Städten profitieren würden, weil sich so die Attraktivität der Innenstädte deutlich steigern ließe. Der Politik empfiehlt der Journalist, der 1982 aus München nach Bielefeld zum Jura-Studium kam, auf ganz andere Formen der Bürger-Beteiligung jenseits der existierenden Formate zu setzen. Er verweist auf &bdquo;Oasenspiele", die in Brasilien gut angenommen würden. Bürger würden dort eingeladen, konkret ein Projekt aus ihrem Viertel und dessen Ressourcen heraus zu entwickeln– und das innerhalb einer Woche. So lasse sich Politikverdrossenheit abbauen. "Der Kesselbrink wurde als Steinwüste angelegt" Und noch etwas brennt Fishman kurz vor Ende des ersten Holzhausgesprächs über Gott und die Welt in Bielefeld unter den Nägeln. &bdquo;Kesselbrink und Neumarkt funktionieren als Plätze nicht, weil sie als Steinwüsten angelegt wurden. Erst wenn wir sie zu grünen Oasen machen, werden Plätze aus ihnen." Deshalb sei eine Debatte, wie man den grünen Würfel auf dem Kesselbrink neu beleben könne, sinnlos. &bdquo;Aus dem wird nur was, wenn wir das ganze Quartier entwickeln und damit auch den Platz." Am Donnerstag, 8. August, ist Heinrich Dingerdissen zu Gast im Holzhaus.

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