Bielefeld. Rudolf-August Oetker, Apotheker-Enkel und Nährmittel-Fabrikant – sein Name zählt zu den bedeutendsten Familien-Konzernen in Europa. Nahrungsmittel, Bankgeschäfte, Sekt, Wein, Bier und Mineralwasser, Reedereien und Hotels – rund 400 Unternehmen – bilden ein operierendes Wirtschaftskonglomerat. Am Dienstag, 20. September, wäre Oetker 100 Jahre alt geworden. Eine dreiteilige NW-Serie beschreibt das Leben Rudolf-August Oetkers. Am morgigen Dienstag erscheint die letzte Folge.
Der Privatmann Rudolf-August Oetker trat 1939 zum ersten Mal vor den Traualtar. Die Auserwählte war die Musikstudentin Marlene Ahlmann aus Rendsburg (,,An ihr reizte mich, dass sie sehr anders war als ich"). Bei ihr in Wien begann er auch ein Volkswirtschaftsstudium (,,Es hat mich schrecklich gelangweilt"). Die Geburt der gemeinsamen Tochter Rosely, erstes von später insgesamt acht leiblichen Oetker-Kindern, kam 1940 in Hamburg zur Welt.
In München heiratete der Bielefelder 1943 zum zweiten Mal: Susanne Schuster (,,Ihren Frohsinn, ihr lustiges, amüsantes Wesen fand ich entzückend"). 1944, bei der Geburt des ersten Sohnes, August, lebte die junge Familie in Bielefeld unter oft widrigen Kriegs- und später Nachkriegsumständen. Die Geburt der Kinder Bergit, Christian und Richard folgte in späteren Jahren.
Großes Glück mit Maja von Malaise
Das neue, große private Glück für Rudolf-August Oetker, den Geschäftsmann mit dem großen, strapaziösen jährlichen Reisepensum, zog 1963 mit der jungen, attraktiven Lehrerin Maja von Malaisé als dritter Ehefrau in das Privathaus in der Senne ein. Vorbei waren mehr als zehn Jahre eines quasi alleinerziehenden Vaters. 18 Jahre Altersunterschied sollten kein Hinderungsgrund sein. Noch mehr Kinder, die wollte der neue Ehemann schon noch haben. Zwölf sollten es insgesamt werden. Bei acht war Schluss, drei trug die neue Ehefrau aus: Alfred, Carl Ferdinand und Julia.
Rudolf-August Oetker, der Fan flotter Autos, der Tennis- und Skatspieler, der Reiter und Weltreisende, der aber nie fliegen wollte – Oetker, der passionierte Pfeifenraucher, der tanzfreudige Kavalier, der es auf jeden Fall für schicklich hielt, zu heiraten, wenn man Kinder haben wollte. ,,Das Verliebtsein muss schon vorbei sein, bevor man heiratet", riet er.
Das Leben machte auch ihn immer abgeklärter. Er, der mehr war als ein Kultur-Protestant, mokierte sich über die hohe Kirchensteuer und ihre linkspolitische Verwendung. Über die Liebe und das Leben hatte der Ehemann klare Vorstellungen: Kindererziehung ist ganz einfach. Entweder, die Eltern tyrannisieren die Kinder oder die Kinder die Eltern. ,,Ich bin für das Erstere."
Kinder mussten aufschreiben, was sie im Fernsehen sahen
Wenn die Kinder um acht in der Schule sein mussten, wurde rechtzeitig gefrühstückt. Die Kinder wurden nicht gefahren, sondern gingen zu Fuß. Mittags, beim Essen, erkundigten sich die Eltern, wie es in der Schule gewesen sei. Ja, die Kinder durften damals auch schon fernsehen. Sie mussten aber aufschreiben, was sie gesehen hatten. ,,Da wurde die Lust, vor dem Flimmerkasten zu sitzen, schon deutlich geringer."
Wenn der Nachwuchs sich mal schlecht benahm, bekam niemand was hinter die Ohren. Stattdessen verordnete der Vater, dass sie einen Brief an den Opa schreiben mussten. ,,Der Gedanke dahinter war, dass ihnen eine Pflichtübung aufgetragen wurde, die sie nicht so gern erfüllten." Übrigens gingen alle Oetker-Kinder aufs Gymnasium. Rosely, August und Ferdinand besuchten Salem, Bergit war in Wieblingen bei Heidelberg, Christian und Richard in Zuoz im Engadin, Alfred bei den Jesuiten in St. Blasien und Julia blieb in Bielefeld, in der Nähe der Mutter.
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44 Jahre lang, fast die Hälfte seines Lebens, dauerte die Ehe des Unternehmers mit seiner Frau Maja. Ein reiches, ein abwechslungsreiches Dasein. In guten und in schweren Tagen, versicherte die Witwe später dankbar.
Einzelgänger, aber Mittelpunkt
An einem runden Geburtstag, im Kreise der Verwandtschaft, hielt sie einmal eine bemerkenswerte Rede auf den Gatten, die auch ein wenig ein Persönlichkeitspsychogramm war: ,,Du bist unser Mittelpunkt, obwohl du eigentlich ein Einzelgänger bist. Du bliebst von Krisen und Veränderungen nicht verschont. Aber allen, die du einmal in deine Familie aufgenommen hast, hältst du auch bei veränderter Situationen die Treue. Du sorgst für sie, wenn es nötig ist."
Ehemann Rudolf sei wohl ein Mensch der Gegensätze – großzügig und tolerant, aber einer mit kleinen Marotten. Einerseits sei er sparsam, andererseits falle es ihm leichter, eher ein neues Haus als einen neuen Wintermantel zu kaufen. Und die geliebte Familie dürfe ihn nicht am Schreibtisch in seiner Bibliothek stören ... Noch einen Satz formulierte die elegante, wohlgebildete Gattin: ,,Dein Leben ist unermüdliche Arbeit im Dienste deiner Mitmenschen. Doch, ein gutes Geschäft muss auch dabei herauskommen." Seine große Begabung sei es, dass er Menschen in seiner Umgebung an sich ziehen könne. Menschen, die er ansporne, ihr Bestes zu geben und ihnen zum Erfolg zu verhelfen. ,,Aber, du bist mit deinem untrüglichen Instinkt für Schwachstellen auch enorm anstrengend." Er war ein Ausnahmemensch. Oetker kannte Maß und Mitte. Einer mit Bodenhaftung. Und einer, der unglaublich viel Lehrgeld in seinem scheinbar so kultiviert verlaufenen Leben zahlen musste. Er hatte auch Schwächen, und trug daran.
Seine langjährige NS-Verbundenheit, noch stärker die seines Stiefvaters, bedauerte er später. Bagatellisierend als politischen Irrtum. Dass er vermutlich von Osteuropäern nach dem Krieg heimlich zusammengeschlagen worden war, monatelang an Krücken ging und in Staumühle bei Paderborn von den Engländern gefangen gehalten wurde, sind Fakten. Die Briten haben ihn später aber auch entnazifiziert – und frei gelassen.
Er schwieg - wie Millionen andere
Die eskalierenden APO-ähnlichen Proteste Mitte der 60er Jahre nach dem Bau der gestifteten Kunsthalle überraschten den Mann. Doch das links-professoral gesteuerte Geheul junger Nachkriegsgeborener mit hypermoralischen Belehrungen wirkte damals nicht nur auf Rudolf-August Oetker unglaubwürdig. Schließlich schwieg er öffentlich über eine bedrückende Zeit. Ebenso wie Millionen deutscher Soldaten nach dem Krieg. Dabei hatte seinerzeit der Bielefelder Stadtrat unter den Vorsitzenden SPD-Oberbürgermeistern Artur Ladebeck und, später, Herbert Hinnendahl, die beide noch Richard Kaselowsky persönlich kannten, zweimal einstimmig den Plänen für den Bau der Oetker-Stiftung Kunsthalle samt Gedenktafel am Eingang zugestimmt: ,,Den Opfern des Zweiten Weltkriegs unserer Stadt, unter ihnen mein zweiter Vater Richard Kaselowsky. Rudolf-August Oetker."
Unbeschadet dieser erschreckenden Ereignisse: Bielefeld verdankt im sozialen, kulturellen oder architektonischen Raum den Oetkers über Jahrzehnte beachtliche öffentliche Einrichtungen. Rudolf-August Oetker als Kunstsammler, als Bauherr oder als Zeithistoriker gäben eigene Kapitel her. Über Nordrhein-Westfalen als Bindestrichland hat er sich schon früh bei den Briten beklagt. Vor allem aber über die Deutschen selbst, dass sie nach der Besatzung nicht die Provinzen wieder in Eigenregie und in Tradition geordnet haben. ,,Das wäre keinem Engländer passiert."
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