Games-Kritik

„Copycat“ im Test: Das Schnurren, der Schmerz und die Suche nach Geborgenheit

Als Katze Verlust und Hoffnung erleben: „Copycat“ berührt, kratzt und schnurrt – wir haben ein Indie-Spiel getestet, das zeigt, was Zuhause wirklich bedeutet.

Hello! Is it me, your're looking for?! Katzen wollen die Weltherrschaft ergreifen, sagt man. Vielleicht haben wir sie bislang gründlich missverstanden. | © Spoonful Of Wonder

Christian Lund
24.05.2025 | 24.05.2025, 14:03

Jetzt, in diesem Moment hier, bin ich Katze. Mein Fell glänzt im Sonnenlicht, und meine Ohren zucken bei jedem Geräusch. Ich schleiche durch ein Haus, das nach Sehnsucht riecht, nach alten Erinnerungen und nach einer Liebe, die nicht meine ist. Ich bin Dawn (geboren an einem Dawn-erstag?), adoptiert von einer alten Frau namens Olive, die mich braucht, weil sie etwas verloren hat. Vielleicht jemanden, vielleicht etwas, vielleicht auch ein bisschen sich selbst. Ich weiß nicht, was „ersetzt werden“ bedeutet, aber ich spüre, dass ich nicht die erste Katze bin, deren Napf hier mit Trockenfutter gefüllt wird. Und vielleicht auch nicht die letzte.

Als Katze lebt man im Jetzt. Doch in „Copycat“ ist das Jetzt von Anfang an von einer seltsamen Melancholie durchzogen. Olive bewegt sich langsam, ihre Hände zittern, und ich ahne, dass diese Wärme, dieses Zuhause, nicht für immer sein wird. Ich streife durch den Garten, jage Schatten, Schmetterlinge und einen bunten Plastikball, der schon lange kein Kinderlachen mehr gehört hat.

Doch immer wieder zieht mich etwas zurück ins Haus – als würde eine unsichtbare Hand meine Freiheit lenken. Ich will hierbleiben, will dazugehören, will nicht wieder auf die Straße geworfen werden wie ein altes Spielzeug. Aber das Leben einer Katze ist voller Unsicherheiten, und manchmal ist das größte Abenteuer, einfach nur zu überleben.

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Und dann, eines Tages, ist alles anders! Olive verschwindet, ihre Tochter kommt, und ich finde mich plötzlich draußen wieder – ausgetauscht gegen eine andere, die aussieht wie ich, riecht wie ich, aber nicht ich ist. Ich wurde ersetzt! Doch so schnell gebe ich nicht auf – irgendwas zieht mich zurück. Vielleicht ist es Hoffnung. Vielleicht ist es Liebe. Vielleicht ist es nur der Hunger. Aber am Ende dieser Reise werde ich wissen, was „Zuhause“ wirklich bedeutet.

Worum geht’s in „Copycat“?

Das Schicksal von mehrfach adoptierten Katzen: Mal sind sie ein Geschenk für Kinder, mal weiß man nichts mit ihnen anzufangen. Und für die Katze ist es jedes Mal ein Neuanfang. - © Spoonful Of Wonder
Das Schicksal von mehrfach adoptierten Katzen: Mal sind sie ein Geschenk für Kinder, mal weiß man nichts mit ihnen anzufangen. Und für die Katze ist es jedes Mal ein Neuanfang. | © Spoonful Of Wonder

„Copycat“ ist ein erzählerisch getriebenes Adventure, das die Spielerinnen und Spieler in den Körper einer Katze versetzt: Dawn, adoptiert von der älteren Dame Olive, um eine Lücke in ihrem Herzen zu füllen. Was als scheinbar harmloses Katzenspiel beginnt, entpuppt sich schnell als emotional aufgeladene Reise durch Verlust, Identität und die Suche nach Zugehörigkeit. Die Handlung spielt im suburbanen Australien und wird von einer Erzählerstimme begleitet, die an eine Naturdoku erinnert, aber sich auch ganz persönlich an Dawn richtet.

Das Spiel setzt auf eine Mischung aus Erkundung, leichten Rätseln, Stealth- und Jagdmechaniken sowie charmanten Katzen-Mini-Games wie dem Umwerfen von Gegenständen oder dem Abrollen von Klopapier. Uns wird zwar eine Art Entscheidungsfreiheit suggeriert, doch letztlich bleibt die Story weitgehend linear – wohl eine bewusste Entscheidung, um die emotionale Wirkung zu verstärken. Im Zentrum steht dabei die Frage: Was macht ein Zuhause aus? Und wie fühlt es sich an, immer wieder ersetzt zu werden? Wer emotional ist, könnte Tränen vergießen. Auch Hundefreunde.

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Was hat uns gefallen?

Ein Platz an der Sonne, wo wir uns putzen können und das Fell so schön seidig glänzt. Und wo man das mit der Weltherrschaft planen kann natürlich. - © Spoonful Of Wonder
Ein Platz an der Sonne, wo wir uns putzen können und das Fell so schön seidig glänzt. Und wo man das mit der Weltherrschaft planen kann natürlich. | © Spoonful Of Wonder

„Copycat“ ist ein Spiel, das bei uns einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat, und das liegt vor allem an seiner emotionalen Tiefe. Es ist kein seichtes Wohlfühlspiel, sondern eine intensive Auseinandersetzung mit Verlust, Einsamkeit und der Sehnsucht nach Geborgenheit. Diese Themen werden nicht nur angeschnitten, sondern mit einer Ehrlichkeit und Sensibilität erkundet, die die wir bisher selten in Videospielen gesehen haben.

Wir mögen ganz besonders, wie das Spiel die Perspektive einer Katze nutzt, um diese Gefühle zu vermitteln. Die stillen Momente, der Blick aus dem Fenster, das Schnurren auf dem Sofa neben Olive – all das sind kleine, aber bedeutsame Details, die eine tiefe emotionale Resonanz erzeugen. Es gibt Szenen, die im Gedächtnis bleiben, weil sie so universell und doch so spezifisch katzenhaft sind.

Und der Ladebalken! Wann ist man jemals verknallt gewesen in einen Ladebalken? Wir können sagen: „Copycat“ hat das mit sehr einfachen Mitteln bei uns geschafft.

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Der leise Witz aus der Sicht einer Katze hat uns sehr gut gefallen. Sie ahnen nicht, was Katzen denken, wenn sie eine Badewanne sehen! - © Spoonful Of Wonder
Der leise Witz aus der Sicht einer Katze hat uns sehr gut gefallen. Sie ahnen nicht, was Katzen denken, wenn sie eine Badewanne sehen! | © Spoonful Of Wonder

Die visuelle Gestaltung ist dazu sehr liebevoll und detailreich, von den warmen Farben und dem “bewohnten” Gefühl von Olives Haus bis zu den kalten Tönen, die in der zweiten Spielhälfte Dawns Verunsicherung, Angst und Einsamkeit widerspiegeln. Das ist schon sehr eindrucksvoll gemacht. Und vielleicht sollten wir an dieser Stelle schon einmal anmerken: Das Spiel ist von einem winzigen Team mit nur zwei Entwicklern geschaffen worden, von Samantha Cable und Kostia Liakhov (das Team hat also genau so viele Beine wie Dawn). Wir sind sehr gespannt, was wir von „Spoonful Of Wonder“ noch erwarten dürfen.

Toilettenpapier, das uninspiriert in der Ecke hängt? Wenn das nicht die perfekte Möglichkeit ist, das Badezimmer mal ordentlich zu dekorieren! Wer das in diesem Spiel dreimal schafft, heimst eine Trophäe ein. - © Spoonful Of Wonder
Toilettenpapier, das uninspiriert in der Ecke hängt? Wenn das nicht die perfekte Möglichkeit ist, das Badezimmer mal ordentlich zu dekorieren! Wer das in diesem Spiel dreimal schafft, heimst eine Trophäe ein. | © Spoonful Of Wonder

Ein weiterer Pluspunkt von „Copycat“ ist das “Katzen-Gameplay”. Die Steuerung fühlt sich nämlich überraschend natürlich und intuitiv an. Ob man auf Bäume klettert, durch hohes Gras schleicht oder mit einem gezielten Pfotenschlag eine Vase vom Regal fegt – das Spiel fängt das Lebensgefühl einer Katze auf spielerische Weise ein. Die kleinen Minispiele sind eine willkommene Abwechslung und bringen Humor in die ansonsten ernste Geschichte.

Nicht zuletzt ist die Themenwahl von „Copycat“ bemerkenswert. Die Auseinandersetzung mit Tierheimen, der Bedeutung von Tier-Adoption, Krankheit und Tod ist mutig und selten in Videospielen. „Copycat“ behandelt diese Themen mit einer Ernsthaftigkeit, die Respekt verdient, auch wenn die Umsetzung nicht immer subtil ist.

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Was hat uns nicht gefallen?

In "Copycat" sind wir eine sehr fürsorgliche Katze. Hier sitzen wir beharrlich vor Olives Tür. Auf Knopfdruck können wir miauen. - © Spoonful Of Wonder
In "Copycat" sind wir eine sehr fürsorgliche Katze. Hier sitzen wir beharrlich vor Olives Tür. Auf Knopfdruck können wir miauen. | © Spoonful Of Wonder

Trotz seiner vielen Stärken hat „Copycat“ auch einige Schwächen, die das Gesamterlebnis trüben. Eine davon ist leichte Tendenz zur Überdramatisierung – manchmal fehlen uns einfach Nuancen. Die Geschichte schlägt oft sehr schwere Töne an und scheut nicht vor drastischen Szenen zurück – von Vernachlässigung über Krankheit bis zu beinahe schon grotesken Familiendramen, von denen besonders eine Szene im Kopf bleibt. Wir wollen sie aber nicht spoilern, damit sie eindrücklich bleibt.

Leider fehlt es dann manchmal an Zwischentönen oder auch an einer glaubwürdigen Charakterentwicklung. Einige Figuren wirken wie Karikaturen, ihre Handlungen übertrieben oder kaum nachvollziehbar – ganz besonders ist uns das bei der Tochter von Olive aufgefallen, die plötzlich ins Spiel eintritt und richtig Chaos verbreitet. Und niemand weiß den Hintergrund, er wird auch nicht erklärt. Das beeinträchtigt an einigen Stellen die emotionale Glaubwürdigkeit des Spiels.

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Eine Szene aus dem Beginn des Spiels: Wir haben als Katze schlechte Vorerfahrungen gemacht, es gibt also nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Aber wirkt sich unsere Entscheidung irgendwie aus? Wir haben nicht das Gefühl. - © Spoonful Of Wonder
Eine Szene aus dem Beginn des Spiels: Wir haben als Katze schlechte Vorerfahrungen gemacht, es gibt also nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Aber wirkt sich unsere Entscheidung irgendwie aus? Wir haben nicht das Gefühl. | © Spoonful Of Wonder

Ein weiterer Kritikpunkt ist für uns ganz klar die schon oben angesprochene Illusion von Entscheidungsfreiheit. Obwohl es Momente gibt, in denen man Entscheidungen treffen kann, haben sie keine spürbaren Auswirkungen auf den Verlauf der Geschichte. Uns hat das frustriert, weil wir so tief in der Rolle waren, dass wir echte Verantwortung für die Entwicklung der Geschichte und für unsere kleine Samtpfote übernehmen wollten – aber an vielen Stellen total ausgebremst wurden, denn die Geschichte plante nun mal anders mit uns. Die Linearität der Erzählung mag zwar zur Gesamtstruktur des Spiels passen, schränkt jedoch die interaktive Tiefe total ein. Wir glauben, dass „Copycat“ hier mit ein wenig mehr Entwicklungsaufwand eine intensivere Erfahrung hätte bieten können.

Ob die kurze Spielzeit von rund vier Stunden ein weiterer Minuspunkt ist, muss jeder selbst entscheiden. Wir hätten uns eine längere Geschichte gewünscht, denn obwohl das Erlebnis intensiv ist, ist es dann doch schnell vorbei. Angesichts des Preises von rund 15 Euro mag das für die erzählerische Qualität des Spiels akzeptabel sein, aber für diejenigen, die mehr Spielinhalt erwarten, ist es dann doch eine Schwäche.

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Unser Fazit zu „Copycat“

„Copycat“ ist ein Spiel, das sich mit aller Kraft ins Herz seiner Spielerinnen und Spieler krallt – manchmal mit sanften Pfoten, manchmal mit schmerzhaften Krallen. Es ist ein mutiges, zutiefst emotionales Adventure, das durch seine ungewöhnliche Perspektive und seine schonungslose Ehrlichkeit herausragt.

Ja, die Geschichte ist manchmal zu dick aufgetragen, die Charaktere zu schwarz-weiß gezeichnet, und die Illusion von Entscheidungsfreiheit ist genau das: eine Illusion. Aber selten hat ein Spiel so eindringlich gezeigt, wie es sich anfühlt, verloren zu gehen – und dann doch nach Hause zu finden.

Wer Katzen liebt, wird in „Copycat“ viele kleine, wahre Momente entdecken, die zum Schmunzeln und zum Nachdenken anregen. Wer sich auf die emotionale Achterbahnfahrt einlässt, wird mit einer Geschichte belohnt, die nachhallt – auch wenn sie nicht immer auf allen vier Pfoten landet. Für Freunde erzählerischer Indie-Spiele ist „Copycat“ ein Geheimtipp, der beweist: Manchmal sind es die kleinsten Wesen, die die größten Geschichten erzählen.

Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte – irgendwo in diesem Haus wartet eine Schale mit Futter. Und vielleicht, ganz vielleicht, ein kleines bisschen Geborgenheit.

„Copycat“ ist ab dem 29. Mai 2025 für Xbox Series X|S und PlayStation 5 erhältlich und kostet rund 15 Euro. Für den PC/Mac (Steam) ist das Spiel bereits seit dem 19. September 2024 erhältlich.