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"Stray" im Test: Neun Leben (und mehr), um die Welt zu retten

Kann man eine Katze spielen, freut sich der Mensch. In diesem Spiel ist genau das möglich. Wir haben das Katzenabenteuer ausgiebig getestet und sagen: Es ist das Spiel des Sommers.

In "Stray" spielen wir diese wunderbare Samtpfote, die sich in einer postapokalyptischen Welt zurecht finden muss. | © Annapurna Interactive

Christian Lund
20.11.2024 | 20.11.2024, 10:32

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel ist erstmals im Juli 2022 erschienen. Wir haben ihn 2023 und 2024 zur Veröffentlichung des Spiels für Xbox und Nintendo Switch entsprechend aktualisiert.

Barthaare gerichtet? Krallen geschärft? Fell geleckt? Dann kann's ja losgehen! Seit dem 19. Juli 2022 ist das Katzenabenteuer "Stray" auf dem Markt. Darin schlüpfen wir in das Fell einer namenlosen Katze und finden uns plötzlich in einer menschenleeren Stadt wieder, in der Roboter die Rollen der Menschen eingenommen haben. Eigentlich wollen wir nur wieder aus dieser Welt herausfinden, entdecken unterwegs aber viele andere Geheimnisse und Rätsel, die es zu lösen gilt.

Wir haben das Spiel, das von dem ziemlich kleinen Blue Twelve Studio sowie dem Indie-Publisher Annapurna Interactive stammt, ausgiebig getestet – und sind seit Minute eins schwer verliebt in unsere Samtpfote. Für uns das Spiel dieses Sommers.

Worum geht's?

"Für mich bitte nur ein Glas Milch." Nachdem wir mit den Pfoten eine Runde Billard gespielt haben, gesellen wir uns zu den Robotern an die Theke. - © Annapurna Interactive
"Für mich bitte nur ein Glas Milch." Nachdem wir mit den Pfoten eine Runde Billard gespielt haben, gesellen wir uns zu den Robotern an die Theke. | © Annapurna Interactive

Der alte Grundsatz lautet ja: "Sei immer du selbst. Es sei denn, du kannst Batman sein, dann sei Batman." Es gibt aber noch eine Stufe über Batman: Katze. Der richtige Spruch muss also lauten: "Sei immer du selbst. Es sei denn, du kannst eine Katze sein, dann sei eine Katze." In "Stray" sind wir eine Katze - mit allem, was dazu gehört.

Wir können an Türen, Sofas und auf Teppichen unsere Krallen wetzen, auf Knopfdruck miauen, jemandem um die Beine streichen und hervorragende Katzensprünge ausführen. Schon nach wenigen Minuten sind wir voll drin in unserem Katzengefühl, so perfekt gelingt diesem Spiel die Übertragung der Spielfigur auf die Spielenden. Und wir kriegen das glückliche Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Könnte uns jetzt bitte noch jemand eine Dose Futter aufmachen? Irgendwer?

Das Grinsen vergeht uns dann aber schnell, denn die wundervolle Anfangssequenz dient nur dazu, die wesentliche Steuerung unseres flauschigen Vierbeiners zu erklären. Sind wir hier noch mit den "Stray Cats" aus der Nachbarschaft unterwegs, fallen wir durch einen Unfall plötzlich in eine uns völlig unbekannte Welt hinab. Es ist ein Moloch von Stadt, aus der wir am liebsten sofort wieder fliehen würden, doch sind wir bei unserem Sturz in der untersten Ebene gelandet, den sogenannten Slums. Und die sind seit langer Zeit schon abgeriegelt. Niemand kommt hinaus oder hinein. Die einzigen Bewohner sind humanoide Roboter, die in gedrückter Stimmung umherschleichen, herumsitzen oder in Abfallhaufen nach Brauchbarem suchen. Hier und da hilft ein Miauen, und auf ihren Bildschirmgesichtern blendet sich ein Herz oder ein Smiley ein, aber an ihrer Körperhaltung ändert sich nichts.

Die Drohne B-12 leuchtet uns, wenn wir uns in zu dunklen Ecken rumtreiben. Sie ist unser kleines Helferlein. - © Annapurna Interactive
Die Drohne B-12 leuchtet uns, wenn wir uns in zu dunklen Ecken rumtreiben. Sie ist unser kleines Helferlein. | © Annapurna Interactive

Wo sind wir hier gelandet? Und wie kommen wir wieder weg? Eine kleine Begegnung ändert alles, und wir lernen, dass Winzigkeiten Dinge in andere Richtungen lenken können, denn wir machen die Bekanntschaft mit der kleinen Drohne B-12, die ab sofort unser Begleiter wird. Wir tragen sie auf unserem Rücken mit uns und sie leuchtet uns den Weg, übersetzt für uns die Sprache der Roboter, deutet Fundstücke und hilft uns in mannigfaltigen Situationen, wo selbst eine Katze ratlos ist. Und Batman erst recht. Wir revanchieren uns dafür, indem wir dem kleinen Kerl seine eigene Geschichte zurückgeben. Die hat er nämlich völlig vergessen, und so finden wir in der Welt immer wieder neue Hinweise auf seine zu Herzen gehende Hintergrund-Story.

Am wichtigsten für den Fortgang der Hauptstory, über die wir nicht viel erzählen wollen, um die Twists nicht zu verraten, ist es aber, mit den Robotern zu sprechen, und zwar nicht nur auf den Straßen, sondern wie eine Katze auf Entdeckungstour zu gehen. Von der Straße auf den Hydranten auf das Vordach auf das nächst höhere Vordach auf ein Rohr über eine Brüstung auf einen Balkon – huch, ist da ein offenes Fenster? Nix wie rein! Es lohnt sich, alle Gassen zu erkunden, denn wir können zum Beispiel für aufgesammelte Energy-Drinks Waren auf dem Markt kaufen, die uns an anderer Stelle weiterhelfen oder jemanden glücklich machen. Oder wir sammeln Notenblätter für einen Musik-Roboter ein, dem die Lieder abhanden gekommen sind.

Eine unserer Kolleginnen sagte: "Wenn man da nicht kämpfen muss, ist das Spiel so gut wie gekauft." Wir können sagen: Es gibt in "Stray" keine Kämpfe. Katzen lösen Konfliktsituationen hier anders. Es gibt im Grunde nur einen wirklich tödlichen Gegner: die Zurks. Das sind kleine, an große Milben erinnernde Gebilde mit einem glühenden Auge, mit dem sie bei Dunkelheit bestens sehen können. Zurks fressen einfach alles gern. Auch Katzen. Denen weicht man besser aus, denn ansonsten springen sie uns an, heften sich an uns, und dann hauchen wir eines unserer Leben aus (von denen wir übrigens mehr als neun haben). Später wird unser kleiner Begleiter B-12 eine Modifikation für seine Taschenlampe bekommen, die Zurks zum Platzen bringt. Ein wirklicher Kampf findet aber nicht statt, sondern es heißt: Lampe an oder von Zurks gefressen werden. Das bringt auch an manchen Stellen ordentlich Spannung ins Spiel.

Was hat uns gefallen

Rechts um die Ecke könnte unsere Hilfe benötigt werden. Oder ist es eine Falle? - © Annapurna Interactive
Rechts um die Ecke könnte unsere Hilfe benötigt werden. Oder ist es eine Falle? | © Annapurna Interactive

Wir könnten es kurz machen, um es nicht zu lang zu machen: Fast alles. Die Katze! Wie lieben es, diese Katze zu sein! Und es gibt inzwischen sogar deutliche Anzeichen, dass selbst echte Katzen "Stray" mögen: Der Twitter-Account @catswatchstraycatswatchstray sammelt alle Aufnahmen, die zeigen, was passiert, wenn sich echte Katzen "Stray" ansehen.

Die Welt, in der wir uns bewegen, ist mit viel Liebe zum Detail so stimmungsvoll gestaltet, dass wir in den meisten Regionen alles auskosten und erkunden wollen, was nur möglich ist. Manchmal kommen wir auch nur weiter, nachdem wir ein Rätsel gelöst haben. War da vielleicht gerade ein Türcode an der Wand plakatiert? Welche Tür kriegen wir damit wohl auf? Und was passiert, wenn wir hier den Farbeimer vom Regal kicken? Und kann man diese Metalltonne rollen, wenn man einfach von innen wie ein Hamster darin läuft? Unser Tipp: Alles ausprobieren. Ihr seid eine Katze, eigentlich wollt ihr doch die Weltherrschaft an euch reißen.

Die Stadt blinkt an vielen Ecken mit Leuchtreklame und schreckt dann und wann mit dunklen Schatten. Die Atmosphäre, die "Stray" umgibt, ist wahnsinnig schön, zauberhaft und enorm einnehmend. Hinzu kommt der Soundtrack, der das Gesehene fast unmerklich unterstützt. Im ersten Quartal 2023 soll eine Vinyl-Edition des Soundtracks von Komponist Yann van der Cruyssen erscheinen. Wir haben uns das Ding schon mal vorgemerkt.

Die intuitive Steuerung hat uns fast vollständig gefallen. Allein, dass wir durch das Drücken der Kreis-Taste miauen können, fanden wir grandios. So grandios, dass wir relativ schnell rausgefunden haben, dass man für 100 mal Miauen eine Trophäe einheimst. Miau! Die Bewegungssteuerung ist in den meisten Fällen sehr gut. Unsere größte Befürchtung war, dass wir bei weiten Katzensprüngen in den Abgrund rauschen würden, wenn wir uns in der Entfernung verschätzen. Aber das Spiel ermöglicht uns einen Sprung nur dann, wenn er wirklich machbar ist. Dann zeigt uns ein x an, dass wir springen können. Fehlsprünge gibt es nicht. Wohl aber mussten wir an einigen Stellen unsere Katze oder Kamera hin- und her manövrieren, bis wir den richtigen Absprungort gefunden hatten.

Was hat uns nicht gefallen

Ein Gitter schützt uns vor den tödlichen Zurks. Blöd: Wir müssen auf jeden Fall auf die andere Seite. - © Annapurna Interactive
Ein Gitter schützt uns vor den tödlichen Zurks. Blöd: Wir müssen auf jeden Fall auf die andere Seite. | © Annapurna Interactive

Es ist Meckern auf hohem Niveau, aber: das Spiel hat keine deutsche Sprachausgabe, sondern nur eine deutsche Schriftausgabe. In den von B-12 übersetzten Gesprächen müssen wir also zum Teil einiges lesen, aber wenn wir ehrlich sind, fällt das bald kaum noch ins Gewicht. Wir haben außerdem unterschiedliche Schwierigkeitsgrade vermisst. Andererseits ist "Stray" nicht ultraschwer, und da Katzen ohnehin mindestens neun Leben haben, muss man dann eben eine Szene mehrfach spielen, statt einfach die Schwierigkeit runterzuschrauben. Nur an einer Stelle sind wir einen Abend lang schier verzweifelt, haben die Sache dann aber am nächsten Tag frisch ausgeruht gemeistert.

Fazit

Wir haben das Spiel auf einer PS 5 getestet, und es lief zu 98 Prozent flüssig und fehlerfrei bei uns. Mit acht bis zehn Stunden Spielzeit ist "Stray" natürlich kein Spiel, an dem man tagelang sitzt. Dementsprechend wird es auch als Mittelpreisspiel verkauft. Für uns hat das Spiel genau die richtige Länge, um das Sommerloch zu füllen, bis die nächsten AAA-Spiele eintrudeln. Der Wiederspielwert ist gering, nur richtige Katzenliebhaberinnen und -liebhaber werden vielleicht immer mal wieder in das Fell einer Katze schlüpfen wollen.

Das alles spricht aber nicht wirklich gegen "Stray", denn wir können es wirklich mit unserem besten Schnurren empfehlen. Es lohnt sich! Und es wird euer Herz erobern.

"Stray" ist seit dem 19. Juli 2022 für Playstation 4 und 5 sowie PC erhältlich und kostet rund 30 Euro. Seit dem 10. August 2023 ist das Spiel auch für die Xbox erhältlich. Und seit dem 19. November 2024 ist "Stray" auch für die Nintendo Switch zum Preis von rund 40 Euro erhältlich.