
Niemand hatte das auf dem Zettel: Niemand hat erwartet, dass es zu „Brothers: A Tale of Two Sons“ ein Remake geben würde, jenem Videospiel, das im Jahr 2013 Spielerinnen und Spieler auf der ganzen Welt berührt und begeistert hat und das von der märchenhaften Abenteuerreise zweier Brüder erzählt, die ihren todkranken Vater retten wollen.
Niemand hat das erwartet, bis Sydnee Goodman am 7. Dezember 2023 in Los Angeles zu Beginn der Pre-Show der „Game Awards“ einen Trailer ankündigt: „Er stammt von einem Schöpfer, dessen Spiel hier schon zum Spiel des Jahres gekürt wurde – aber dieses Mal kehren wir zu dem Titel zurück, mit dem vor einem Jahrzehnt alles für ihn begann. Hier ist der erste Blick auf ein wunderschönes Remake von ’Brothers: A Tale of Two Sons’.“ Die Reaktionen im Publikum sprechen für sich, aber wir empfehlen, unbedingt auch noch die Reaction-Clips der US-amerikanischen YouTuberin „bunnytails“ und des US-amerikanischen YouTubers „GorTheMovieGod“ anzusehen (beide englischsprachig). Oh my god!
Mit dem Schöpfer ist natürlich Josef Fares gemeint, der libanesisch-schwedische Filmregisseur und Spieleschmied, der die beiden Koop-Games „A way out“ und das zauberhafte „It takes two“ entwickelte. Doch alles begann mit eben diesem einen Spiel, mit „Brothers: A Tale of Two Sons“.
Worum geht’s?

Das Remake bleibt der Geschichte des Originals treu: Sie erzählt von den beiden Brüdern Naia und Naiee, deren Vater schwer erkrankt. Vom Heiler des Dorfes erfahren sie, dass nur das „Wasser des Lebens“ den Vater noch retten kann. Der Weg zur Quelle ist jedoch gefährlich, mit allerlei Strapazen verbunden und eigentlich nichts für Kinder.
Dennoch machen sich die beiden mutig auf den Weg. Sie werden von einem bissigen Hund verfolgt, treffen freundliche und böse Trolle, finden einen Erfinder und halten sich mit einer Fackel grollende Wölfe vom Hals. Sie reisen durch verlassene Minen, rudern auf einem Nachen durch Eisschollen und fliegen mit einem raffinierten Fluggerät. Und das sind nur wenige der einfallsreichen Erlebnisse, die die beiden nur noch enger zusammenschweißen.
Denn der Clou von „Brothers: A Tale of Two Sons“ war schon früher und kann es auch heute noch sein: Wir steuern im Einzelspieler-Modus beide Brüder mit nur einem Controller. Der ältere Bruder Naia wird mit der linken Seite gesteuert, Naiee mit der rechten Seite. Benötigt werden nur die beiden Sticks und zwei Schultertasten. Das ist anfangs gewöhnungsbedürftig, läuft aber schon nach wenigen Minuten erstaunlich intuitiv. Keine Scheu haben!
Wer seine Gehirnhälften schonen will, sollte sich einen Mitspieler suchen, denn neu ist, dass wir die beiden Brüder jetzt auch im lokalen Koop-Modus zu zweit auf dem Sofa spielen können. Wir haben beides getan, und beides hat seinen Reiz.
Was uns gefallen hat

Apropos neu: Es ist ein sehr behutsames Remake geworden. Wir haben es an einigen Stellen im Spiel gemerkt, aber es gibt auch Bereiche, wo es nicht sofort augenfällig ist. Die Charaktere und Landschaften wurden dezent neu gestaltet, das Gameplay auf den neusten Stand gebracht, die Grafik angepasst, Licht und Schatten wesentlich besser in Szene gesetzt. Der Soundtrack wurde neu aufgenommen (angeblich von einem Live-Orchester – das merkt man beim Spiel natürlich nicht) und ist so berührend emotional und elegisch wie damals.
Berührend emotional trifft es natürlich. Wer das Spiel noch nie gespielt hat, den erwischt es ziemlich kalt, alle anderen dürften noch Bescheid wissen: denn wer auch nur einen Funken Mitgefühl in sich trägt, beendet dieses Spiel nicht ohne Träne im Knopfloch. Obgleich das Band der beiden Brüder stark ist, geht es in diesem Spiel auch um Tod, Trauer und Verlust. Gleich zu Beginn erfahren wir, warum der kleine Naiee Angst vor dem Wasser hat und nicht schwimmen will. Einst musste er hilflos mit ansehen, wie seine Mutter in tosender See ertrank; an ihrem Grab weinte er bitterlich. Nur um dann zu erfahren, dass nun der Tod auch seinen Vater holen will.

Es ist die klug geschriebene Geschichte, die uns so sehr zu Herzen geht. Die durch die Unreal Engine 5 umwerfend aussehende Optik unterstützt unseren Gedanken, dass wir es hier mit einem neuen Spiel zu tun haben, das eine altbekannte Geschichte erzählt, wie sie früher von den Menschen an Lagerfeuern weitergereicht wurde. Von Unseresgleichen, von Trollen und mystischen Wesen und von einer Welt aus Entdeckungen, Abenteuern und Geheimnissen.
Die Rätsel sind meist nicht besonders knifflig, auch das ist so geblieben. Aber die Lösung ist immer abwechslungsreich, nie repetitiv, nie langweilig. Und die kleinen Nebenaufgaben, deren Erfolg mit Trophäen bedacht sind, passen sich wunderbar in die Hauptgeschichte ein.
Was uns nicht gefallen hat

Es gibt jedoch auch Dinge, die uns nicht gefallen haben. Aber wahrscheinlich ist das Meckern auf hohem Niveau und lässt sich durch einen baldigen Patch leicht abstellen. Technisch läuft das Spiel ziemlich rund und sauber. Im letzten Teil der Geschichte sind uns allerdings ein paar Glitches und Nachlader aufgefallen, die schon sehr deutlich waren. Dazu muss man sagen, dass wir das Spiel vor dem Release getestet haben, hier also definitiv noch Abhilfe kommen kann. Es stört auch das Spiel nicht wirklich.
In Kapitel 2 (die Geschichte wird in fünf Teilen erzählt) erreichen wir ein großes Tor, das wir zusammen in einer Seilschaft erklimmen müssen. Stürzen wir an diesem Tor ab, kann es sein, dass wir uns zufällig retten – bloß unser Seil ist plötzlich unsichtbar geworden. Möglicherweise ist es aus fein gesponnenem Feen-Haar. Wer weiß das schon. Jedenfalls gibt es nun kein Vor und kein Zurück mehr; wir müssen vom letzten Speicherpunkt neu starten.
Die Kamerafahrten sind auch in diesem Remake wundervoll frei drehende, cineastische Perspektiven, in denen wir unseren beiden Brüdern folgen. Manchmal jedoch gerät uns die Sicht zu sehr in die Drohnenperspektive, wo wir uns mehr Weite und mehr Panorama gewünscht hätten.
Unser Fazit
„Brothers: A Tale of Two Sons Remake“ lässt einen nicht los, auch nach dem Abspann nicht. Die reine Spielzeit beträgt vielleicht drei Stunden, aber die Geschichte hallt noch viele Stunden nach. Viele Menschen, die das Original 2013 gespielt haben, sprechen noch heute von diesem Erlebnis. Und es ist beileibe kein Kinderspiel. Wer es mit Kindern spielt, sollte Erklärungsansätze für Krieg, Tod und Trauer haben. Wer es alleine spielt, wird danach reden wollen. Dieses Spiel zieht uns in eine Welt, wie wir sie früher in Märchen, Sagen und Fabeln gelesen und gehört haben, und ist es zu Ende, ist es, als erwache man aus einem Traum. Unsere Beschreibung klingt so furchtbar pathetisch, aber ganz genauso ist dieses Spiel. Es ist ein Erlebnis. Es ist das, was man von einem Videospiel will und was kaum ein Videospiel in Perfektion beherrscht: alles vergessen und nur in diesem Spiel sein.
„Brothers: A Tale of Two Sons Remake“ erscheint am 28. Februar 2024 für Playstation 5, Xbox Series X/S und PC und kostet rund 20 Euro.