Wann war das letzte Mal, dass euch eine Sache so richtig egal war, die euch eigentlich hätte anfassen müssen? Irgendeine wilde Lüge von Donald Trump vielleicht? Der vermeidbare Abstieg eurer Lieblingsfußballmannschaft? Ein Kind, das auf der Kirmes mit immer feuchteren Augen seinem immer höher steigenden Ballon hinterherschaut? Hinterher denkt man: Was bin ich nur für ein gefühlskalter Mensch?!
Nor Vanek hat damit ganz offensichtlich nicht so das Problem. Die grimmige, mit Pistole und Axt bewaffnete Protagonistin des Soulslite-Abenteuers „Flintlock: The Siege of Dawn“ hat gerade auf wirklich plumpestmögliche Weise den Untoten (und ein paar darüber sehr zufriedenen bösen Göttern) den Weg in ihre Fantasy-Welt eröffnet. Ihre Reaktion könnte man so zusammenfassen: „Stellt euch nicht so an, dann repariere ich die Chose halt. Meine Güte!“
Was offenbar tough klingen soll, lässt uns ratlos zurück. Warum sollten wir uns als Spieler für diese Welt verantwortlich fühlen, wenn sie sogar unserer Spielfigur egal ist?
Nach nicht mal zehn Minuten fragen wir uns also das erste Mal, ob die Angelegenheit unsere Zeit wirklich wert ist. Die Sache schmackhaft gemacht hatte uns die Aussicht auf ein cooles Abenteuer, das uns etwas mehr fordert als zum Beispiel „Uncharted“. So viel sei verraten: Einiges wird besser. Anderes hat uns auch nach Stunden nicht überzeugen können.
Soulslite, Soulslike – oder doch ein Action-Adventure?

Nach dem fahrlässig, fast schon mutwillig verbockten Auftakt ihres Abenteuers bekommt unsere Heldin unerwartete Hilfe. Denn einer der niederen Götter, Enki, dient sich uns als Helfer für unseren Rachefeldzug an, indem er uns mächtige magische Attacken beibringt, die wir durch unsere Standardangriffe aufladen.
Seine wahren Motive kennen wir erst mal nicht, nehmen den Flächenschaden des ersten erlernten Zaubers aber gerne mit. Das Kampfsystem ist einigermaßen komplex. Durch Nahkampfangriffe schalten wir (stärkere) Schüsse aus unserer Pistole frei. Sind die verbraucht, müssen wir zunächst wieder händisch Backenfutter verteilen. So laden wir die Magieleiste auf, um dann die stärksten Attacken abzufahren.
Brauchen tun wir sie alle, denn die Kämpfe erfordern Aufmerksamkeit. Ein übermütiger Tastendruck lässt uns in den Gegenangriff laufen. Gerade in den immer mal wieder eingestreuten Bosskämpfen heißt es: Angriffsmuster lernen, ausweichen, Gegenangriff, und wieder raus aus dem Nahkampf und einen Pistolenschuss abfeuern. Hier ist „Flintlock“ mehr Soulslike als Action-Adventure, durch die verschiedenen Auflade-Mechanismen auch noch mal anspruchsvoller als zum Beispiel die „Star Wars: Jedi“-Spiele. Dafür ist unsere Heldin etwas flinker als in anderen Soulslikes.
Handgebaute Areale dürfen wir frei erkunden

Und: Wir dürfen den Schwierigkeitsgrad – anders als in „Dark Souls“ – auch jederzeit runterdrehen. Dann lässt sich „Flintlock“ wie ein Action-Adventure spielen. Und das macht auch abseits der Kämpfe durchaus Laune. Denn wir dürfen die handgebauten Areale ziemlich frei erkunden, so ziemlich alles, was erreichbar aussieht, ist es auch – und hält nicht selten Fundstücke bereit. Da zieht zum Beispiel „God of War“ deutlich engere Levelgrenzen. Außerdem können wir mithilfe unseres göttlichen Sidekicks Abkürzungen durch die Level nutzen, mit denen auch „Corpse Runs“ (Rückkehr zur eigenen Leiche nach dem Ableben, um Erfahrungspunkte zurückzubekommen) zumindest etwas kürzer ausfallen.
Das Charaktersystem bietet einige Möglichkeiten, unseren Spielstil anzupassen. Unsere Heldin kann außerdem mit neuen aufrüstbaren Waffen und Waffenröcken ausgerüstet werden. Die bieten aber keine bezifferten Boni, sondern nur angedeutete Verbesserungen, zum Beispiel „besseren Schutz gegen Angriffe von vorne/hinten/durch Fernkampfwaffen“ und so weiter.
Der tatsächliche Effekt ist leider kaum spürbar. Nicht zu wissen, was wir von einer neuen Rüstung haben, führt den Loot-Anreiz ein bisschen ad absurdum. Wir hatten jedenfalls schnell keine Lust mehr zu raten, welche Rüstung womöglich am meisten bringt. Und die Dinger vor jedem neuen Bosskampf an einem Speicherpunkt zu wechseln, wollten wir jetzt auch nicht.
Und dann ist da noch die Story
Und dann, ja, dann ist da noch die Story. Die uns ja, wie gesagt, eigentlich schon am Anfang verloren hat. Das kann im Verlauf auch die Suche nach Verbündeten im Kampf gegen die bösen Götter nicht kitten. Unsere Hauptfigur ist die meiste Zeit sauer, genervt und generell einfach schwer zu fassen, kurz: wenig sympathisch.
Auch unser Hilfsgott Enki entwickelt bei weitem nicht so viel Charakter wie zum Beispiel Kratos Helferlein Mimir, der uns auf unserer Reise die Welt erklärt, Geschichten erzählt und für Dynamik in der Erzählung sorgt. Stattdessen ist uns nach kurzer Zeit egal, ob er sich am Ende womöglich doch gegen uns wendet.
Unser Fazit zu „Flintlock: The Siege of Dawn”
Wir sind wirklich nicht die Kernzielgruppe für Soulslikes. Gerade deshalb aber kam uns „Flintlock“ spannend vor. Aber wenn die Story so müde, das Worldbuilding so viel schwächer ist als in den großen Genrevertretern, dann hilft auch die Möglichkeit nicht weiter, das Spiel zum Action-Adventure umzustellen.
Denn wo man in „Elden Ring“ Erinnerungen an glorreiche Siege schafft und sich darüber der Welt verbunden fühlt, hat „Flintlock“ nicht genügend prägende Orte und Gegner zu bieten. Und als Actionspiel fällt die Herausforderung zwar weg, die Lücke bekommen Story, Looting und Rollenspielelemente aber nie geschlossen.
So ist „Flintlock“ zwar ein recht hübsches, aber doch eher zwischen den Stühlen sitzendes Experiment. Mit dessen Ideen man eine Weile seinen Spaß haben kann. Hardcore-Enthusiasten und Casual-Gamer finden zurzeit aber schlicht und ergreifend Besseres.
„Flintlock: The Siege of Dawn“ ist erhältlich für PC, Xbox und Playstation, kostet rund 40 Euro und ist empfohlen ab 16 Jahren