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„God of War: Ragnarök“ im Test: Was für ein Erlebnis

Der einst eindimensional wütende Kriegsgott Kratos wurde mit dem Serien-Reboot von 2018 erwachsen. Der Nachfolger legt nun nochmal eine Schippe drauf.

Die Geschichte von Göttervater Kratos und seinem Sohn zählt wieder zu den Stärken des Spiels. | © Sony

18.11.2022 | 18.11.2022, 17:45

Irgendwann, nach knapp 15 Spielstunden, trifft es uns. Ein Gedanke, der nichts mit den Kämpfen, dem Erkunden der neun wunderschönen Welten der nordischen Mythologie, der wahnsinnig tollen Optik, der Detailverliebtheit des Art Designs, dem wunderbar eingesetzten Soundtrack oder irgendeinem anderen Einzelaspekt von „God of War: Ragnarök“ zu tun hat. Es ist ein Gefühl. Dass dieses Erlebnis Spuren hinterlassen wird. Denn anders als ein Erlebnis kann man die Erfahrung, dieses Spiel zu spielen, kaum beschreiben.

Neun Welten gibt es zu erkunden, darunter das ziemlich malerische Zwergenreich Svartalfheim. - © Sony
Neun Welten gibt es zu erkunden, darunter das ziemlich malerische Zwergenreich Svartalfheim. | © Sony

Für alle, die die vergangenen Jahre unter einem Stein geschlafen haben, eine kurze Zusammenfassung: „God of War“ erzählte Anfang der 2000er-Jahre in mehreren Spielen die Geschichte der blutigen Rache des Spartaners Kratos an den griechischen Göttern, die ihn seine Familie ermorden ließen. Das simple Motiv „Blutdurst“ war genug für drei sehr erfolgreiche Titel mit großer Fanbase, war aber spätestens mit dem vierten Serienteil „Ascension“ spürbar auserzählt.

Der Reboot von 2018 brach diese Kruste auf. Kratos hatte im Reich der nordischen Mythologie neu anfangen wollen, musste aber nach dem Tod seiner neuen Frau Faye als alleinerziehender Kriegsgott den gemeinsamen Sohn Atreus durchbringen. Die Geschichte von Vater und Sohn, die zunächst wenig miteinander anfangen können, aber nach und nach mehr Verständnis für die Narben auf der Seele des anderen aufbringen, hatte viele weise und berührende Momente – und war obendrein noch ein wunderbar smooth designtes Action-Abenteuer.

Ist es ein "God of War 1.5"?

„Wie toppt man das?“, fragen sich die vielfach ausgezeichneten Entwickler nun in einem PR-Video einigermaßen eitel. Nach ersten Gameplay-Trailern hatte es nämlich so ausgesehen, als erwarte Spieler hier ein „God of War 1.5“, womöglich nur ein Aufguss der bewährten Mechaniken mit zu wenig Mut zur Weiterentwicklung. Nachdem wir nun einen Großteil des Spiels gesehen haben, können wir festhalten: Eine Version 1.5 muss überhaupt kein Makel sein.

Atreus und Kratos sehen sich zu Beginn des Spiels mit dem Fimbulwinter konfrontiert, einer alle Welten ereilenden Frostperiode, die das Nahen von Ragnarök ankündigt, das „Ende von allem“. Obendrein will ihnen das geschiedene Götterpaar Odin und Freya aus unterschiedlichen Gründen ans Leder, auch Thor schwingt in mehreren grandiosen Kämpfen den Hammer. Kratos hat zunehmend Mühe, seinem zum Teenager herangewachsenen Sohn zu folgen. Und der will unbedingt herausfinden, was es mit dem Namen auf sich hat, den ihm seine Mutter gegeben hat: Loki.

Fühlt sich an wie beim Vorgänger - aber . . .

Kratos bekommt es mit niemand Geringerem als Thor höchstpersönlich zu tun. - © Sony
Kratos bekommt es mit niemand Geringerem als Thor höchstpersönlich zu tun. | © Sony

Und wie spielt sich das nun? Naja, wie ein „God of War 1.5“. Die Kämpfe, die Erkundung der Welt, das Charakter- und Beutesystem fühlen sich praktisch genauso an wie im Vorgänger. Dabei braucht das Spiel zu Beginn etwas, um in die Gänge zu kommen. Und im Spielverlauf fühlen sich manche engen Schlauchpassagen ein wenig lang an, gerade wenn die Gegner darin praktisch nie zur Herausforderung werden.

Das wird aber aufgefangen durch die Tatsache, dass wir immer wieder in neue Welten reisen dürfen, die uns sowohl spielerisch als auch visuell überraschen – und immer irgendwas an Beute oder Quests übrig bleibt, für das sich die Rückkehr lohnt. Und nicht zuletzt dadurch, dass wir nun deutlich mehr Bosskämpfe bestreiten dürfen, die die Reihe seit jeher ausgezeichnet haben.

Brillant bei der Erzählung

Doch wirklich brillieren tut „Ragnarök“ bei der Erzählung. Ein ähnlich liebevolles und filmisches Erlebnis sucht man derzeit nämlich einigermaßen erfolglos. Eine Unterbrechung durch Schnitte gibt es praktisch nie, wir erleben alles, was Kratos und Atreus passiert, aus nächster Nähe mit.

Außerdem gewinnt die Geschichte von Kratos und Atreus noch einmal deutlich an Komplexität. Denn der Sohn ist kein Kind mehr, beansprucht mehr Freiraum, belügt seinen Vater auch mal, ist auf der Suche nach sich selbst. Und Kratos weiß sich oft nur auf seine Autorität zurückzuziehen, was wenig überraschend nicht dazu führt, dass der Sohn den Vater mehr miteinbezieht. Es bilden sich immer wieder Risse in der Beziehung und lasten auf den Gemeinsamkeiten, die die beiden sich immer wieder neu ins Gedächtnis rufen müssen.

Auch sonst mangelt es nicht an beeindruckend proportionierten Gegnern. - © Sony
Auch sonst mangelt es nicht an beeindruckend proportionierten Gegnern. | © Sony

Kurz: In „Ragnarök“ können wir uns als die Kinder, die wir nun mal alle sind, nur allzu oft wiederfinden. Es berührt uns, ob uns das nun lieb ist oder nicht. Es hinterlässt, wie gesagt, Spuren. Und das kann man einem Videospiel, dieser immer noch vergleichsweise jungen Kunstform, kaum hoch genug anrechnen. Einziger Kritikpunkt: Manchmal drückt uns das Spiel ein bisschen zu platt auf die Tränendrüse, nicht jede Geschichte über Verlust und Fehler zündet gleich gut. Aber am Ende ist das immer noch Kritik auf fürchterlich hohem Niveau.

Wir bleiben hier mit Blick auf die Story bewusst vage, können euch aber so viel verraten: Diese mehr als 50 Stunden lange Geschichte solltet ihr gespielt haben, mit allen Abzweigen und Nebenschauplätzen. Und zwar selbst. „God of War: Ragnarök“ ist ein großartiges Spiel, das - ja - seine Längen und kleinen Macken hat. Aber wir sind ehrlich: In Zeiten von austauschbaren, hypermonetarisierten Online-Multiplayer-Cash-Cow-Games, die uns mit Nullachtfünfzehn-Storys Relevanz vorspielen, sind wir über jedes Einzelspieler-Erlebnis froh, das uns als Spieler auch intellektuell ernst nimmt. „Ragnarök“ ist so ein Erlebnis. Spielt es!

God of War: Ragnarök" ist für PS4 und PS5 erhältlich, kostet rund 80 Euro und ist freigegeben ab 18 Jahren.