Baumgart im Abschieds-Interview: "Wir haben dem SCP ein Gesicht gegeben"

Paderborn. In 166 Pflichtspielen war Steffen Baumgart als Cheftrainer für den SC Paderborn im Einsatz. Dabei gab es 77 Siege, 38 Remis und 51 Niederlagen. Eine stolze Bilanz. Baumgart führte einen Fast-Regionalligisten bis hinauf in die Bundesliga und erreichte mit seinem Team in der vergangenen Zweitliga-Saison einen grundsoliden neunten Platz. Nun wechselt der 49-Jährige zum 1. FC Köln. Im Abschieds-Interview mit nw.de lässt Baumgart noch einmal die vier Jahre an der Pader Revue passieren. Zugleich redet der gebürtige Rostocker über seine neue Aufgabe in Köln, den Fußball in Corona-Zeiten und über seine Haltung zum Karneval. Herr Baumgart, wissen Sie noch, was Ihnen durch den Kopf ging, als Sie am 17. April 2017 beim SC Paderborn als neuer Trainer präsentiert wurden? Steffen Baumgart: Ich habe mich erst einmal auf die neue Aufgabe gefreut. Einen Tag später, nach der ersten Halbzeit im Westfalenpokal-Halbfinale gegen Sprockhövel, ging mir schon mehr durch den Kopf. Da habe ich gedacht: Boah, das wird hier eine interessante Aufgabe und ein langer Weg. Aber wir sind dann ja relativ schnell ins Laufen gekommen. Was waren die wichtigsten und prägendsten Stationen auf diesem langen Weg?Baumgart: Dieses Sprockhövel-Spiel war schon sehr wichtig. Es zeigte alles auf, was in dieser Mannschaft nicht lief. Da konnten wir gut ansetzen und die Jungs haben es schnell hinbekommen. Das 0:0 in Osnabrück, durch das wir dann sportlich in die Regionalliga abgestiegen sind, hat uns alle geprägt. Bezeichnend für den Charakter der Jungs war, dass sie knapp eine Woche später das Westfalenpokal-Finale gegen Lotte souverän gewinnen konnten. Das erste Drittligaspiel in Halle, das 4:4 endete, wird mir immer in Erinnerung bleiben. Da hat man schon in vielen Momenten gesehen, dass es eine richtig gute Saison werden kann. Die DFB-Pokal-Erlebnisse waren durch die Bank sehr schön. Sensationell war auch unser 6:0-Zweitligasieg gegen Greuther Fürth, als sich die Mannschaft auf ihre Art vom gerade verstorbenen Präsidenten Wilfried Finke verabschiedete. Es gab einige Meilensteine. Wir haben hier in Paderborn das ein oder andere Fußballfest gefeiert. Was werden Sie wohl am meisten vermissen, wenn Sie nun zum 1. FC Köln wechseln. Und was zeichnet den SC Paderborn aus? Baumgart: Ich werde sicher die Arbeitsbedingungen und das gesamte Umfeld hier vermissen. Der SCP steht für solides und klares Arbeiten. Zumindest habe ich das in den vergangenen vier Jahren so erlebt. Und wir haben dem SCP mit unserer Spielphilosophie ein Gesicht gegeben. Wie haben Sie die vergangenen Tage und Wochen seit der Bekanntgabe ihres Abschieds erlebt? Baumgart: Dass wir nicht alles falsch gemacht haben, hatte ich schon vorher gemerkt. Aber die Art und Weise, wie meine Entscheidung aufgenommen und akzeptiert wurde, zeigt, dass ich nicht nur mit den Mitarbeitern im Verein, sondern auch mit den Fans und zahlreichen Leuten hier gemeinsam viel erreicht habe. Es gab fast durchweg positive Reaktionen. Nicht weil alle sagten: Endlich ist er weg. Sondern eher: Schön, dass er hier war, wir werden ihn in guter Erinnerung behalten. Das Schönste, was es gibt, wenn du gehst, ist die Gewissheit, dass du wiederkommen darfst. Wenn ich sehe, wie meine Jungs in den letzten Spielen aufgetreten sind – mal abgesehen vom Saisonfinale in Würzburg – und wie sie im Training weiter mitgezogen haben, dann spüre ich, dass eine enge Verbindung da war. Ich weiß nicht, ob ich noch einmal vier Jahre wie hier erlebe. Die Herzlichkeit, die ich auch bei meiner Verabschiedung erlebt habe, war außergewöhnlich. Meistens wirst du ja als Trainer vor die Tür gesetzt. "Ich behalte Ron Schallenberg auf dem Radar" Und wie fällt ihr Fazit der vergangenen Saison aus?Baumgart: Wir hätten durchaus noch ein bisschen mehr erreichen können. Aber wir haben in vielen Situationen gesehen, warum wir halt nicht oben mitspielen konnten. Die Jungs mussten und müssen sich erst entwickeln. Wenn man diese Mannschaft so zusammenhalten könnte, könnte man in den nächsten Jahren wieder oben angreifen. Aber nun steht ja wohl ein größerer Umbruch an. Wäre es für Sie eine Option gewesen, den Vertrag in Paderborn zu verlängern, wenn man den Großteil dieser Mannschaft hätte zusammenhalten können? Baumgart: Nein, definitiv nicht. Meine Entscheidung war auch schon viel früher gefallen. Nicht, weil ich mich hier unwohl fühle. Für mich stand einfach fest, dass ich gerne etwas anderes machen möchte. Gibt es einen Spieler, der Sie in der vergangenen Saison besonders überzeugt beziehungsweise überrascht hat?Baumgart: Ganz klar, Ron Schallenberg. Ein Spieler, der fest mit diesem Verein und dieser Region verwurzelt ist. Wir hatten ihn nach Verl ausgeliehen, damit er sich weiterentwickelt. Und es ist genau das herausgekommen, was wir uns vorgestellt hatten. Ron ist einer der intelligentesten, klügsten und entwicklungsfähigsten Spieler, die wir hier in Paderborn haben. Er kann das Spiel sehr gut lesen. Er hat für diesen Verein und diese Mannschaft in dieser Saison einen wichtigeren Teil geleistet, als viele glauben. Er besitzt viele Qualitäten, die im ersten Moment nicht so auffallen. Ron läuft immer noch oft unter dem Radar. Auch bei anderen Vereinen. Das hört sich so an, als würden Sie Ron am liebsten gleich mit nach Köln nehmen. Baumgart: Vielleicht klaue ich ihn ja. (grinst) Nein, soweit ist es nicht. Aber Ron ist ein Spieler, der nicht von meinem Radar verschwinden wird. "Der SCP muss keine Angst vor einem Ausverkauf haben" Und welche SCP-Spieler stehen sonst noch auf Ihrer Liste?Baumgart: Der 1. FC Köln hat erst einmal das Problem, das viele andere Klubs auch haben. Er kann keine Ablösen zahlen. Ron und weitere interessante SCP-Spieler haben noch laufende Verträge. Und es wird sicher keiner umsonst gehen. Auch ein Dennis Srbeny wäre beispielsweise für den Effzeh nur schwer zu finanzieren? Baumgart: Ja, das ist so. Es steht außer Frage, dass ich zu Dennis ein sehr gutes Verhältnis habe und dass ich ihn auch als Spieler sehr mag und schätze. Aber mit Modeste und Andersson habe ich ja auch schon zwei Mittelstürmer im Kader. Das würde im Moment nicht passen. Dennoch ist auch Dennis ein Spieler, den ich immer auf dem Schirm habe. Das gilt auch für Sven Michel, der aber hier in Paderborn seinen Vertrag verlängert hat. Er ist mit seiner ganzen Art enorm wichtig für den Verein. Das sind schon Spieler, die ich alle sehr mag. Aber der SCP muss keine Angst vor einem Ausverkauf haben. Man fängt ja keine neue Aufgabe an und nimmt seine alten Spieler mit. Selbst wenn Michel, Srbeny, Schallenberg und Co. in Paderborn bleiben. Wie schwierig wird es für den SCP in der kommenden Saison in dieser hochkarätigen 2. Liga?Baumgart: Erst einmal ist es für den SCP angesichts seiner finanziellen Möglichkeiten jedes Jahr schwierig. Der Verein ist aber prima aufgestellt, hat in den vergangenen Jahren sehr gut gearbeitet. Ich traue Fabian Wohlgemuth und seinem Team zu, eine schlagkräftige Mannschaft auf die Beine zu stellen, die in der 2. Bundesliga eine gute Rolle spielen kann. Doch da sollte man bitte nicht vom Aufstieg reden. Nächstes Jahr wollen oder müssen ohnehin schon mindestens zehn Mannschaften aufsteigen. Aber beim SCP muss sicher auch nicht vom Abstieg geredet werden. Man hat hier sehr gute Bedingungen und eine exzellente Infrastruktur. Aber diese Bedingungen muss man aufrechterhalten und möglichst weiter optimieren. Wichtig ist daher, noch mehr Leute dafür zu begeistern, in diesen Verein zu investieren. Sonst droht die Gefahr, dass es Jahr für Jahr weniger wird. Aber das ist sicher die schwierigste Aufgabe. Angesichts der Folgen der Coronakrise müssen aber fast alle Klubs mit weniger Geld auskommen. Denken Sie, dass sich im Profifußball nachhaltig etwas ändern wird? Oder anders gefragt: Was müsste sich ändern? Baumgart: Ich glaube, dass wir im Fußball allgemein aufpassen müssen. Wir müssen aufpassen, dass wir die Menschen nicht überfrachten. Es besteht die Gefahr, dass wir das Produkt Fußball kaputt machen. Beispielsweise durch neue Wettbewerbe wie die Nations League, die keiner braucht. Früher gab es keinen Tag, an dem im TV kein Tennis lief. Heute schaut kaum noch jemand Tennis. Das wird im Fußball nicht passieren, aber es kann durchaus eine gewisse Müdigkeit aufkommen. Man darf die Basis nicht verlieren, man muss die Fans mit ins Boot holen. Denn sie sorgen dafür, dass der Fußball lebt. Aber ich glaube nicht, dass Corona zu einem Umdenken führt. Das ist jedoch kein Problem des Fußballs, sondern der gesamten Gesellschaft. "Der neue Coach wird keine Kopie von mir sein" Werden die Fans denn so zahlreich wie vor der Corona-Pandemie in die Stadien strömen, wenn wieder Zuschauer in die Arenen dürfen? Baumgart: Die Menschen werden zum Fußball zurückkehren. In der Schnelligkeit wird es Unterschiede geben. Vereine wie Dortmund, Schalke, Köln, Union Berlin oder St. Pauli werden keine Probleme haben. Andere Klubs müssen sich wohl erst an frühere Zuschauerzahlen heranarbeiten. Hatten Sie bereits Kontakt mit ihrem Nachfolger Lukas Kwasniok? Und haben Sie Tipps für ihn parat? Baumgart: Ja, wir haben uns am Pfingstmontag ausgetauscht. Es ging aber nicht darum, ihm Ratschläge zu geben. Der SCP steht vor einem Neuanfang. Der bisherigeTrainer geht, und der neue Coach soll und wird keine Kopie von mir sein. Lukas hat seine eigenen Ideen, er wird seinen eigenen Weg gehen. Und so wie ich ihn wahrgenommen habe, hat er auch das nötige Selbstvertrauen. Wir bleiben sicher im Kontakt. Sie fiebern nun erst einmal den Relegationsspielen zwischen dem 1. FC Köln und Holstein Kiel entgegen. Was erwartet ihren künftigen Arbeitgeber in diesen Partien?Baumgart: Köln trifft auf eine sehr disziplinierte und spielstarke Mannschaft. Alle sagen, Kiel sei müde und auf dem absteigenden Ast. Köln hat dagegen in den vergangenen Wochen meistens recht gut gespielt. Aber das hat für die Relegation nichts zu bedeuten. Es werden extrem enge Spiele. Falls Köln den Klassenerhalt verpasst. Wäre es für Sie ein Trost, dass die 2. Liga kommende Saison so attraktiv besetzt ist wie noch nie? Baumgart: Nein, ich möchte mit Köln in der Bundesliga spielen. Aber wenn es die 2. Bundesliga wird, geht es darum, wieder aufzusteigen. Aber da wären auch noch Klubs wie Schalke, Düsseldorf, Hamburg, Bremen, Hannover, Nürnberg, Heidenheim nicht zu vergessen, St. Pauli, ein Überraschungsklub, der meist wie Phönix aus der Asche kommt, dazu noch Dresden und Rostock, die hochkommen. Da ist ein Aufstieg ganz sicher nicht garantiert. Wäre es also die leichtere Aufgabe, wenn Köln Erstligist bleibt? Baumgart: Beide Aufgaben sind schwierig. Auch ein Bundesliga-Klassenerhalt wäre nicht einfach. "Vielleicht setze ich mir im Training eine Sonnenbrille auf" Was kommt beim Effzeh auf Sie zu? Was werden die grundlegenden Unterschiede zu ihrer Aufgabe in Paderborn sein? Baumgart: Die öffentliche Aufmerksamkeit wird in Köln natürlich viel größer sein. Die höhere mediale Präsenz habe ich bereits kennengelernt. Und ich treffe sicher auf andere Spieler. Hier in Paderborn sind die Spieler mit mir gewachsen. Dort treffe ich auf gestandene Spieler, die schon viel erlebt haben. Denen werde ich sagen: Ihr habt zwar viel Bundesliga-Erfahrung, seid Nationalspieler oder gar Weltmeister, aber trotzdem könnt ihr euch noch entwickeln. Es warten neue Aufgaben. Aber am Ende ist und bleibt es Fußball. Da muss das Runde ins Eckige. Holst du die Punkte, hast du Ruhe. Holst du keine, hat du keine Ruhe. Können Sie beim Vorhaben, Punkte zu holen, auch künftig auf ihren Co-Trainer Daniel Scherning setzen, dessen Vertrag beim SCP nicht verlängert worden ist? Baumgart: Derzeit sieht es nicht danach aus. Ich habe mit Daniel vier Jahre sehr erfolgreich zusammengearbeitet. Aber er hat ja nicht die Fußball-Lehrer-Lizenz erworben, um mir hinterher zu laufen. Ich gehe davon aus, dass er einen anderen Weg geht und einen Posten als Chef-Trainer übernehmen wird. Wie sehen Ihre Pläne für die nächsten Tage aus? Und haben Sie in Köln schon eine Bleibe gefunden?Baumgart: Ich bin bis Ende der Woche noch in Paderborn, werde zwischendurch aber nach Köln fahren, um dort ein paar Sachen zu organisieren. Wir schauen uns ein paar Wohnungen an. Meine Frau wird oft mit in Köln sein. Aber unser Wohnsitz in Köpenick bleibt sicher erhalten. Und haben Sie schon ein Karnevalskostüm? Baumgart: Jeder, der mich kennt, amüsiert sich, dass ich in die Karnevalshochburg schlechthin gehe. Da habe ich noch keine große Affinität zu. Aber ich stehe den Dingen offen gegenüber. Sie werden jedenfalls nicht drum herumkommen. Am 11. November trainieren die FC-Spieler ja sogar in Karnevalskostümen. Baumgart: Ja, das hat in Köln Tradition. Und ich werde das sicherlich nicht ändern. Vielleicht setze ich mir dann beim Training eine Sonnenbrille auf. Aber es wäre doch schon mal ein Erfolg, wenn ich am 11. November noch Köln-Trainer bin. Dann schaue ich mal, ob ich auf Rosenmontag noch am Umzug teilnehmen kann. Ich plane gerne in Etappen und setzte mir erst einmal kleine Ziele. (grinst) Und worauf freuen Sie sich am meisten?Baumgart: Ich freue mich ganz allgemein auf die Aufgabe, auf die Arbeit und auf die Möglichkeiten. Ich freue mich, durch eine neue Tür gehen zu können. Und es wird ganz gewiss eine große Herausforderung.

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