Berlin. Der VfB Stuttgart hat den DSC Arminia Bielefeld unsanft aus einem schönen Pokaltraum gerissen. Mit 4:2 bezwang der Bundesligist den frisch gebackenen Drittligameister. Das Team von Trainer Mitch Kniat konnte vor 74.036 Zuschauern die großen Hoffnungen, die es durch die zuvor gezeigten Leistungen selbst geweckt hatte, nicht erfüllen. Aber sie schrieben ein klein wenig Pokalgeschichte.
Die Erwartungshaltung: gigantisch. Weil ein Drittligist in diesem Finale stand, der zuvor etliche Mitfavoriten eliminiert hatte. Die Einstimmung: gigantisch. Weil zwei Fankurven – und auch der DFB – mit überragenden Choreos Lust auf dieses Duell der so ungleichen Gegner machten. Das Interesse: gigantisch, weil ein großer Teil Fußballdeutschlands auf die Sensation hoffte. Um 20 Uhr am Samstagabend lag der Druck schließlich bei jenen 22 Männern im Innenraum des Berliner Olympiastadions, die nun auch sportlich das erfüllen mussten, was so lange vorher heraufbeschworen worden war: Gigantisches.
Ohne kleine Überraschung ging der „Underdog“ nicht ins Kräftemessen. Nachdem Kniat in den letzten Ligaspielen immer mit derselben Startformation begonnen hatte, tauschte er im Pokalfinale seinen Vize-Kapitän Christopher Lannert gegen den jungen Felix Hagmann aus. Allerdings hatte der 21-Jährige auch beim 2:1-Halbfinal-Coup gegen Bayer Leverkusen auf der rechten Seite den Vorzug vor dem routinierten Lannert erhalten.
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Erste Arminia-Chance nach 30 Sekunden
Die Arminia begann forsch. Nach nicht einmal 30 Sekunden schlug Louis Oppie den Ball flach in den Stuttgarter Strafraum, wo Noah Sarenren Bazee nur um eine Fußspitze verpasste. Fast im Gegenzug rettete Schneider gegen Nick Woltemade zur Ecke, die nichts einbrachte.
Die ersten zehn Minuten der Partie hatten die Bielefelder nicht einfach nur überstanden, sie hatten sogar ein kleines Chancenplus erarbeitet. In der 12. ereignete sich obendrein eine Szene, die diesem Spiel den so sehr erhofften Knalleffekt verpasst hätte. Grodowski servierte flach fast von der Grundlinie in den Strafraum, wo Oppie es verpasste, zum Abschluss zu kommen. Doch dem völlig freien Sarenren Bazee lag der Ball plötzlich vor dem Fuß. Der Schuss des Bielefelders klatschte an die Latte. Das hätte das 1:0 sein müssen.
Stuttgart antwortete schnörkellos. Nach einem Ballverlust im Mittelfeld schickte Stiller mit einem Kontakt Woltemade, der sich gegen Russo robust durchsetzte und den Ball an Kersken vorbei zur Führung einschob. „Schwierige Phasen müssen wir überstehen“, hatte Kniat vor der Partie gesagt. Nach einer Viertelstunde war der DSC mittendrin.
Wörl und Schreck stehen sich gegenseitig im Weg
Und der Drittligist sank noch tiefer in den schwäbischen Sumpf. Nach einer Bielefelder Ecke klärten die Stuttgarter mit einem hohen Ball ins Mittelfeld. Sam Schreck und Marius Wörl behinderten sich bei der Ballannahme gegenseitig. Zwei Schwaben bedanken sich und gingen auf die Reise. Deniz Undav legte vor Joans Kersken quer auf Enzo Millot, der zum 2:0 einschob (22.). TV Experte Per Mertesacker dazu: „Von Wörl muss der lauteste Leo-Schrei seines Lebens kommen, denn er muss den Ball nehmen.“
Sechs Minuten später drohte die Arminia vollends abzusaufen. Großer leistete sich an der Mittellinie einen Ballverlust gegen Stiller, der Undav auf den Weg zum 3:0 schickte. Etwas später bügelte Corboz einen eigenen Fehlpass wieder aus, indem er Millot im Fünfmeterraum den Ball noch vom Fuß schlug.
Nach einer guten halben Stunde war in diesem Spiel klar, dass eine Sensation her muss, damit der Bundesligist noch einmal ins Schleudern gerät. In der Pause sagt TV-Experte Christoph Kramer über die vergebene Riesenchance von Sarenren Bazee aus der Anfangsphase: „Dann ist die Latte im Weg. Und wahrscheinlich wird sich zurecht ein ganzer Verein vielleicht ein Leben lang fragen: Was wäre wenn...“
Grodowski mit der ersten DSC-Chance nach der Pause
Kniat nahm Schreck und Hagmann in der Pause raus und brachte Lannert und Isaiah Young. Doch die nächsten Großchancen hatten wieder die Stuttgarter, die lediglich nichts einbrachten, weil die Rot-weißen vorm Bielefelder Tor den eleganten, statt des direkten Wegs wählten. In der 55. setzte sich Bielefeld Young dann mal gut durch und legte auf Grodowski zurück, der aus kurzer Distanz drüber schoss.
Kniat ordnete seine Reihen komplett neu, bracht Innenverteidiger Joel Felix für den offensiven Sarenren Bazee. Doch jenem Einwechselspieler lief in der 66. nach einem Oppie-Fehlpass Millot davon und zirkelte den Ball zum 4:0 ein.
Arminias Souveränität der letzten Ligaspiele und auch der vorherigen Pokalauftritte war in der Riesenschüssel von Berlin nach dem frühen Rückstand wie weggeblasen. Stefano Russo setzte mit einem Schuss aus acht Metern ein kleines Ausrufezeichen, doch Alexander Nübel parierte souverän.
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Aber es war noch nicht zu Ende: Der spät eingewechselte Julian Kania stand in der 82. Minute goldrichtig, als Lannert den Ball leicht abgefälscht vors Tor brachte. Aus kurzer Distanz ließ es der Bielefelder einschlagen. Versöhnlich war der Anschlusstreffer wenig, aber ein kleines Stück Geschichte hat der DSC damit geschrieben. Es war der erste Treffer eines Drittligisten in einem Finale.
Der Einzige? Mitnichten, denn nach einer von Stiller abgefälschten Hereingabe von der rechten Seite versenkte Josha Vagnoman per Eigentor zum 2:4 (85.). In der Nachspielzeit scheiterten Kunze und Felix mit Schüssen aus dem Gewühl noch an Nübel. Mit der stürmischen Schlussphase hatten sich die Arminen ein wenig rehabilitiert. Trösten konnte sie das nach den großen Hoffnungen und gigantischen Erwartungen an diesem Abend wenig.