Ernst Middendorp: Ein Mann klarer Worte – auch zu Arminia Bielefelds Abstieg

Bielefeld. Ernst Middendorp (64) hat schon immer ein feines Fußballnäschen gehabt. Dieses Gespür bereitete ihm kürzlich schlaflose Nächte, nachdem er auf Einladung der Traditionsabteilung des DSC Arminia Bielefeld das viertletzte Meisterschaftsspiel in der 2. Bundesliga gegen Greuther Fürth (1:1) verfolgt hatte. Er empfand Schrecken darüber, was er auf dem Rasen von den Spielern der Heimmannschaft geboten bekam. "Ich habe momentan Bedenken", sagte Middendorp am 5. Mai. "Mehr als ein Relegationsplatz ist nicht drin." Middendorp sollte Recht behalten. Es sollte aber noch schlechter kommen. In den beiden Entscheidungsspielen gegen Wehen Wiesbaden, die Middendorp live verfolgte, war für die Ostwestfalen das Fiasko perfekt. Arminia stieg auf direktem Kurs von der 1. Bundesliga in die Drittklassigkeit ab. Middendorp selbst hatte zuvor schon Frust schieben müssen. Als Nachfolger von Stefan Krämer (7. März) verfehlte er mit dem SV Meppen den Klassenerhalt in der 3. Liga. Middendorp bleibt ein Mann klarer Worte. Von Altersmilde ist er weit entfernt. Deshalb fiel seine Kritik nach den beiden Bielefelder Pleiten gegen Wehen auch vernichtend aus. "Damit muss es jetzt aber auch genug sein", meinte Arminias Vereinsmitglied. "Die Vergangenheit ist abgehakt. Es müssen unter den erschwerten finanziellen Bedingungen jetzt Lösungen für die unmittelbare Zukunft erörtert werden." Zwingend erforderlich seien für ihn ein einheitliches Auftreten aller Beteiligten in der Öffentlichkeit sowie die rasche Installierung eines Sportchefs und eines Trainers. Spitzname "Power-Ernst" Bei der Suche nach neuem Führungspersonal habe Arminia, so Middendorp, das Know-how eines Frankfurter Headhunter-Unternehmens in Anspruch genommen. Gesucht wurde laut Middendorp zunächst ein Sportchef für die 1. und 2. Bundesliga, der um die 40 Jahre sein sollte. Den Zuschlag für einen sportlichen Neuanfang erhielt unmittelbar nach dem Abstieg Michael Mutzel (43), zuletzt beim Hamburger SV. Middendorp zählt zu den schillerndsten Trainerfiguren Deutschlands. Mit seinen Sprüchen, eigenen, oft fragwürdigen Verhaltensmustern und unkonventionellen Trainingsmethoden hat er sich vor allem in Bielefeld einen Heldenstatus erworben. Die Fans dankten es ihm und wählten ihn zum "Jahrhunderttrainer". "Ich bin ein geborener General. Ich gebe gerne den Ton an. Als Untertan bin ich dafür nicht zu gebrauchen." Dieses Zitat beschreibt die Arbeitsphilosophie des früheren Pädagogen mit den Fächern Ökonomie, Politik und Informatik. "Wer mich verpflichtet, bekommt Middendorp zu 100 Prozent. 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche, 365 Tage im Jahr." Es überrascht daher kaum, dass Middendorp schon während seiner ersten Phase bei Arminia Bielefeld (April 1988 bis Oktober 1990) den Spitznamen "Power-Ernst" verpasst bekam. Trainer mit vielen Gesichtern Ehrgeizig, rastlos, nimmermüde, temperamentvoll auf der einen Seite; wütend, impulsiv, aufbrausend, autoritär auf der anderen – Middendorp hat viele Gesichter in seiner 36-jährigen Karriere als Fußballcoach gezeigt. Er ist so, wie er ist: authentisch. Man mag ihn. Oder eben nicht. "Ich bin alles andere als ein weichgespülter, gleichgeschliffener Fußballlehrer. Die stehen im Katalog. Ich aber nicht", sagt er auch über sich. Er ist ein Trainer ohne Diplomatenpass. Ein unerschütterliches Selbstbewusstsein zählt natürlich auch zu seinem Markenkern. Und die Selbsterkenntnis, "dass es durchaus gute Gründe in der Vergangenheit gab, deutliche Kritik an mir zu üben. Sie war durchaus angebracht", sagt Middendorp heute. Seine unkonventionellen Parkaktionen mit dem Auto auf Straßenbahnschienen in der Bielefelder City oder auf einem Gehweg in Halle sind immer noch legendär. Zweifelsohne zählt Middendorp zu den Fußballexperten, die auf ein immens großes Netzwerk zurückgreifen können. "Ich war, wo sonst kaum einer war", beschreibt er seine Stationen in Ghana, Iran, Thailand, Zypern, Äthiopien, China und Südafrika. "Ich habe viele Namen im Kopf, die ich jederzeit abrufen kann." Durchmarsch in die Bundesliga Seine drei bisherigen Bielefelder Episoden beschreibt Middendorp differenziert: "1988 befanden wir uns unterhalb des Nullpunktes. Wir waren im Konkursverfahren. Es war gar nichts vorhanden. Die Arminia-Gemeinde sollte heute noch dem damaligen Vorsitzenden Wolfgang Walkenhorst und seiner Vorstandsmannschaft dankbar sein, den Verein vor dem Untergang bewahrt zu haben." Nach dem Abstieg in die Oberliga setzte Middendorp im taktischen Bereich auf hohes Pressing. Middendorp legt großen Wert darauf, dass Arminia noch vor Mainz 05 als erste deutsche Mannschaft diese laufintensive Strategie praktiziert hat. Kurz nach dem Rücktritt des Walkenhorst-Vorstandes endete auch Middendorps erste Arminen-Phase. "Es herrschte kein Vertrauen zur neuen Vereinsführung." Die zweite Ära von August 1994 bis August 1998 empfand Middendorp mit seiner Rückholaktion als "höchste Wertschätzung". Er verzichtete dafür auf seinen Beamtenstatus als Lehrer. Dieses persönliche Risiko zahlte sich aus. Arminia schaffte unter seiner Regie und den von Manager Rüdiger Lamm getätigten "Millionen-Verpflichtungen" von Thomas von Heesen, Jörg Bode, Armin Eck und Fritz Walter den Durchmarsch von der Regionalliga in die Bundesliga. Das Aus folgte für Middendorp nach dem Erstligaabstieg. Nachfolger wurde von Heesen. Nun in Doppelfunktion in Meppen Middendorps bislang letzte Amtszeit war von März bis Dezember 2007 nur von kurzer Dauer. Seinem Ruf als Retter wurde er zwar gerecht mit dem erreichten Klassenerhalt in der Bundesliga. Danach veränderte sich sein Verhältnis zur Geschäftsführung. "Versprochene Spielerverpflichtungen wurden nicht eingehalten. Das Vertrauensverhältnis war angeknackst", erinnert sich Middendorp. Als Nachfolger kam Michael Frontzeck. Ein Rentnerdasein kann sich Ernst Middendorp noch nicht vorstellen: "Ich habe noch zu viel Energie, um mich auf das Sofa zu setzen. Ich möchte mich weiter im Fußball austoben." Dieser Wunsch erfüllt sich für "Power-Ernst" gleich in doppelter Hinsicht. Trainer Middendorp ist beim Regionalligisten SV Meppen jetzt auch als Sportlicher Leiter aktiv und verantwortlich.

Meistgelesen