Frank Kramer: "Für eine Woche kommt das Handy in den Safe"

Herr Kramer, wie und wie lange haben Sie den Klassenerhalt gefeiert?Frank Kramer: Gefeiert haben wir natürlich am Samstagabend. Am Sonntag ist es dann schon ins Genießen übergegangen. Da haben wir die Jungs noch einmal gesehen, ihnen Trainingspläne mitgegeben für den Urlaub und die Spieler verabschiedet, die uns verlassen. Es war eine ganz lange Saison fast ohne Pause und mit der Team-Quarantäne zum Schluss - da haben alle Großes geleistet. Jeder hat unglaublich viel investiert, sowohl Zeit als auch Energie. Danach ist man müde. Jedem Einzelnen kommt nun die längere Pause zugute, die er zuhause und mit Familie und Freunden verbringen kann. Das ist für alle ein richtig gutes Gefühl. Mich eingeschlossen. Wie müde fühlen Sie sich persönlich? Sie waren "nur" über ein Drittel dieser Saison dabei, aufreibend wird es dennoch gewesen sein. Wie viel Elan ist noch da?Bei mir waren es ja nur zweieinhalb Monate, daher würde ich mich ein bisschen herausnehmen. Trotzdem habe ich gemerkt, dass da eine Menge Last und Anspannung abfällt. Da wird mir bewusst, wie viel Energie wir alle hineingesteckt haben in unser Ziel. Teilweise habe ich nicht gut geschlafen, weil wir nach Lösungen gesucht und überlegt haben, was funktioniert am Besten? Da wacht man morgens nicht entspannt auf. Bei den Spielern kommt zur mentalen aber noch die körperliche Belastung, das ist schon noch ein Unterschied. Ihre Leistung war also eine ganz andere als meine und ist nicht hoch genug einzuordnen. Wie lange wird Ihre persönliche Pause sein? Der Trainingsauftakt ist für den 28. Juni angesetzt, zuvor haben Sie mit Sportchef Samir Arabi einen Kader zusammenzustellen.Es ging schon direkt weiter, mit Videokonferenzen, untereinander und mit Spielern, an denen wir interessiert sind. Jeder im Geschäft weiß, dass nur die wenigsten schon zum Trainingsstart alle genauso beisammen haben, wie sie es sich vorstellen. Und bei uns gehen ja, allein durch die Leihspieler, schon einige Positionen auf. Eine Woche Urlaub habe ich aber für mich und die Familie demnächst eingeplant, dann kommt das Handy in den Safe und nur zweimal am Tag zu festen Zeiten raus. Ganz ohne geht es nicht, denn wenn man einen guten Spieler fürs Team und den Verein gewinnen kann, dann gibt es keinen Urlaub. Das ist Gesetz. Was waren für Sie die entscheidenden Faktoren für den Klassenerhalt?Über allem steht die Geschlossenheit, innerhalb der Mannschaft, ums Team herum, in der Geschäftsführung, den Gremien und im gesamten Verein. Jeder Spieler weiß ganz genau, dass hier niemand eine andere Richtung einschlägt. Das ist extrem wichtig, weil man so mehr Wucht erzeugt. Zweitens würde ich den Mut der Mannschaft nennen, die Bundesliga anzunehmen und eine Überzeugung und Entschlossenheit zu entwickeln, es schaffen zu können. Dazu kommen die Intensität, die Schärfe, mit der wir uns - nehmen wir das Spiel in Gladbach einmal aus - zur Wehr gesetzt haben. Gab es Kontakt zu Ihrem Vorgänger Uwe Neuhaus?Das werden wir noch nachholen. Er hat mir schöne Grüße ausrichten lassen, als er seinen früheren Kollegen im Trainerteam zum Klassenerhalt gratuliert hat. Aber der Impuls für das persönliche Gespräch muss von mir kommen. Bislang hatten wir, obwohl wir uns als Gegner sehr geschätzt und respektiert haben, kaum Berührungspunkte. Ich habe mir nun die Nummer geben lassen. Im März haben wir eine total intakte Mannschaft vorgefunden, die top in Schuss war. Das kann ich ihm als Kompliment nur weitergeben. Inwieweit wollen Sie nun in Ihrer ersten Vorbereitung mit Arminia die Spielweise verändern?Ganz einfach: Man muss ein Stück besser werden, immer in Bewegung sein und sich weiterentwickeln. Das Spiel gegen den Ball war - bis auf Gladbach - richtig gut. Wir hatten auch frühe Ballgewinne und gute Umschaltmomente. Doch da müssen wir uns nun verbessern: Wie organisiert kommen wir zum gegnerischen Tor? Wie können wir die Tormöglichkeiten besser vorbereiten? Das werden Schwerpunkte sein, und dafür werden wir die Intensität, die wir gegangen sind, beibehalten müssen. Beim 2:0-Sieg in Stuttgart hatte Arminia gut 30 Prozent Ballbesitz, setzte aber die nötigen Nadelstiche nach vorn. Ist das auch der DSC-Fußball der Zukunft?Das wird für uns in der Bundesliga erst mal die Basis bleiben. Jeder Gegner wird es gegen uns ein bisschen anders angehen, sodass wir flexibel bleiben müssen. Die reine Quote an Ballbesitz bringt nicht viele Mannschaften weiter, sondern die Qualität des Ballbesitzes und damit auch der Abschlusssituationen. Wir wollen torgefährlicher werden, mehr und klarere Situationen schaffen und die dann auch besser verwerten. Wie lautet das Ziel für die nächste Saison? Wieder Platz 15?Bevor man Prognosen abgibt, muss man abwarten, wie wir und die anderen Mannschaften ihre Kader zusammenstellen können. Aber unabhängig davon: Diesen Erfolg zu bestätigen, Kontinuität auf diesem Niveau reinzubringen, wäre in meinen Augen eine Weiterentwicklung. Aus der 2. Liga kommt neben Fürth auch Bochum hoch, vielleicht auch Kiel. Die Rolle als totaler Außenseiter ist Arminia damit in der neuen Saison los, oder?Warten wir mal ab, wie die Vereine ihre Kader zusammenbauen. Das kann man erst seriös einschätzen, wenn die Liga losgeht - auch wenn das Transferfenster dann noch dreieinhalb Wochen geöffnet sein wird. Wir nehmen die Rolle dann so an, wie sie kommt. Wir wollen uns verbessern und weiterentwickeln, sind selbstbewusst und mutig. Wir machen uns sicherlich nicht klein, aber wir sind schon realistisch und machen uns auch nicht größer als andere, die vielleicht ähnliche Voraussetzungen haben wie wir. Haben Sie schon Ihren Wunsch hinterlegt, Ritsu Doan in Bielefeld zu halten?So geschlossen wie die Mannschaft arbeiten auch die Verantwortlichen. Da gibt es keine Wunschkonzerte, sondern gemeinsame Entscheidungen, wobei die Verantwortung bei den Geschäftsführern liegt, und dann kommt irgendwann der Trainer. Ritsu hat jetzt in Stuttgart gezeigt, dass er ein toller und außergewöhnlicher Spieler für uns ist und war. Dennoch ist die Konstellation auch mehr als außergewöhnlich, so dass nur der Verein entscheiden kann, ob das wirtschaftlich darstellbar ist. Dazu kommt ein ganz wichtiger Faktor: Was will der Spieler? Wenn er sich in anderen Teichen sieht, sich nicht mit Haut und Haaren Arminia verschreibt, so wie er es im letzten Jahr getan hat, wird es trotz aller Kaufoptionen schwierig. Im Fall von Andreas Voglsammer scheint es nicht mehr sicher zu sein, dass der auslaufende Vertrag verlängert wird.Da müsste ich Samir (Sportchef Arabi, Anm. d. Red.) nach dem aktuellen Stand fragen, denn über ihn haben wir uns die letzten ein, zwei Tage nicht unterhalten. Vogi wollte unbedingt in der Bundesliga bleiben, das war klar, und das haben wir geschafft. Jetzt müssen wir gucken, wie es auf beiden Seiten aussieht, das würde ich bislang neutral einordnen. Was für Spielertypen wünschen Sie sich in der Offensive, gerade bei den Außenstürmern?Du brauchst durchsetzungsstarke Jungs in der vordersten Linie, da geht es heutzutage erst einmal um Tempo, ohne das wird es in der Bundesliga ganz schwer. Ritsu und Vogi haben ja eher auf den Halbpositionen gespielt als klar auf den Flügeln, auch um ihre Stärken im Duell besser ausspielen zu können: Der eine hat das Vermögen, sich mit Beweglichkeit in engen Räumen durchsetzen zu können, der andere die Wucht. Neben Schnelligkeit brauchen wir künftig mehr Zielstrebigkeit zum Tor hin und Abschlussquote - und damit letztlich auch die Torgefahr. Wie stehen Sie zur bevorstehenden Vertragsverlängerung mit Ihrem Kapitän Fabian Klos? Und in welcher Rolle sehen Sie ihn in der nächsten Saison?Fabi hat es immer selbst betont, wie sehr er an Arminia hängt und wie sehr er sich mit Bielefeld identifiziert. Daher bin ich da sehr positiv gestimmt, dass wir zusammenkommen. Wenn es darauf ankommt, ist er vorweggegangen, so wie beim Elfmeter in Stuttgart. Deshalb war er ein wichtiger Baustein in dieser Saison. Die Rolle für nächstes Jahr können wir dann besprechen, wenn klar erkennbar ist, wie der Kader aussehen wird. Es ist schon so, dass wir dem Fabi helfen, ihn steuern mussten, damit er die Intensität, die in der Bundesliga gefordert ist, immer abrufen konnte. Er sagte ja selbst, dass das eine außergewöhnliche Belastung für ihn sei. Fabi kann der Mannschaft immer helfen, weil er ein Spielentscheider ist. Aber ich finde, wenn man ein Teamplayer ist, muss das Team immer im Vordergrund stehen. Egal, welche Rolle einem zugeteilt wird, die hat man im Sinne des Teams, des Vereins anzunehmen und zu erfüllen. Alles weitere wird sich im Laufe der Vorbereitung ergeben. Da gibt es ein offenes Rennen, in dem sich jeder anzubieten hat. Im Zuge Ihrer Verpflichtung Anfang März hieß es von Arminia, der Verein wolle sich stärker als bisher als Ausbildungsverein ausrichten. Worin liegen in diesem Zusammenhang Ihre Aufgaben?Das Naheliegendste ist ja, die vorhandenen jungen Spieler weiterzuentwickeln und dahin zu führen, dass sie einen Platz in der Mannschaft einnehmen können. Lucoqui, Pieper, Maier, Doan - das sind alles junge Spieler, bei denen es darum ging, so mit ihnen zu arbeiten, dass sie in der Bundesliga ihren Mann stehen können. Und einen Jungen wie Jomaine Consbruch, der aus der eigenen Jugend kommt und in den letzten Monaten gute Schritte gemacht hat, heranzuführen, damit er sich in den Kader spielen und Bundesliga-Minuten sammeln kann. Was außerdem ganz wichtig ist: Die Verbindung zur Jugend zu haben, um für die nächsten Jungs die Tür aufzumachen, um Bescheid zu wissen, wer spielt in der U19, wer ist in der U17? Da haben wir uns Trainings angeschaut, Spiele durften sie ja kaum bestreiten. Da bekommt man einen Überblick, ein Gefühl für die Jungs, die da sind. Es ist ganz wichtig, dass diese Zusammenarbeit eng ist und Hand in Hand geht. Und genauso wichtig ist, dass man jetzt, wenn es um Spielerverpflichtungen geht, an die Perspektive denkt. Denn anders als solche Spieler, die schon zehn Jahre Bundesliga hinter sich haben, bringen die Jungen noch den Hunger mit. Die sagen, das ist eine geile Bühne, das ist ein super nächster Schritt für mich. Wie wichtig ist der Klassenerhalt für Sie persönlich und für Ihre Karriere?Ich war genauso froh und erleichtert wie alle. Ich glaube, ich ticke diesbezüglich vielleicht etwas anders als andere: Ich sehe mich als Teil des Ganzen, ich habe mich für die Jungs, den Verein und die Stadt gefreut. Und für die Fans, die schon den Aufstieg nicht richtig feiern durften und jetzt wieder außen vor waren, die hoffentlich aber bald, weil jetzt in Sachen Corona Licht am Ende des Tunnels ist, die Bundesliga endlich mitgenießen dürfen. Das alles kommt zuerst und dann erst: Ja, das war auch für mich nicht ganz schlecht. Aber wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich nichts anderes als vorher. Wie groß war Ihre Angst zu scheitern?Ich habe immer nur die Chance gesehen, ich hatte immer den festen Glauben. Diese Überzeugung, diesen Glauben, dieses Vertrauen in die Mannschaft muss man einfach haben, das kann man ja auch nicht spielen. Die Spieler würden genau spüren, wenn da keine Überzeugung wäre. Und dann kämen die eigenen Zweifel ja noch mehr hoch. Nein, es gab keine Angst vor Misserfolg, es gab echt nur Fokus, Chance sehen, volle Kraft voraus. Und dann steigt man inhaltlich ein: Was gibt's zu tun, wo kann man drehen, was kann man den Jungs mitgeben, um erfolgreich zu sein? Da bleibt kein noch so kleines Plätzchen für Zweifel oder für Angst um die eigene Reputation. Gehen Sie von Haus aus so positiv an die Dinge heran? Oder haben Sie sich das erst angeeignet, etwa mit Hilfe eines eigenen Coaches?Ich habe keinen Coach. Das sind Erfahrungen aus vielen Jahre, im Leben und im Fußball. Da gehören Enttäuschungen und Niederlagen dazu, aus denen man lernen sollte, ohne sich zu verändern. Genauso wie im Erfolg, denn es ist wichtig, bei sich zu bleiben. Ich habe ein sehr bodenständiges Umfeld, bin seit 31 Jahren mit meiner Frau zusammen, habe einen soliden Job gelernt (Englisch- und Sportlehrer, Anm. d. Red.), den ich ad acta gelegt habe, weil ich überzeugt war, dass ich im Fußball meinen Weg gehen kann und bei allen Risiken einfach Bock darauf habe. Dazu sind mein Freundeskreis und alle, mit denen ich im Fußball etwas mehr zu tun habe, davon überzeugt, dass ich ein bisschen was kann. Da gibt es auch nur Überzeugung und Zuspruch. Genauso in meinem täglichen Umfeld, ob das die Geschäftsführer Samir Arabi, Markus Rejek oder andere sind. Wenn du im Büro immer wieder in fragende Gesichter schauen würdest, wäre es schwerer. In dem Fall war es nicht schwer, weil alle total überzeugt sind und wussten, wir haben eine gute Mannschaft und einen guten Teamgeist. Woher kommt Ihre Fähigkeit, anzupacken und vorwegzumarschieren?Es ist ja immer schwierig zu sagen, was man in die Wiege gelegt bekommen hat und was anerzogen ist. Ich hatte einen sehr anpackenden Vater, der sich nie zu schade war, vorneweg zu gehen und sich die erste blutige Nase abzuholen. Ich habe mir aber auch auf meinem Weg im Leben sehr viel erarbeiten müssen und habe gesehen, dass einiges funktioniert. Sonst säße ich ja jetzt nicht hier zu Hause in der Hütte, auch wenn es nur ein ganz normales Einfamilienhaus ist. Ich bin ganz anders aufgewachsen, in einer Mietwohnung, in einem Block. Nur mein Vater war berufstätig, er war Lehrer. Ich habe zwei Brüder und hatte kein einziges Mal, bis ich ausgezogen bin, ein eigenes Zimmer, mein eigenes Reich. Da war immer klar, das muss ich mir selber erarbeiten. Ich habe mein Studium selbst bezahlt, von meinem Vater wollte ich keinen Cent haben, weil ich wusste, dass es sonst für den Rest der Familie eng wird mit Urlaub. Und über all die Jahre habe ich gesehen, wenn man richtig die Ärmel hochkrempelt und versucht, gut zu sein und besser zu werden, dann wird es funktionieren. Sie waren lange Trainer der SpVgg Greuther Fürth. Wie sehr freuen Sie sich über den Bundesliga-Aufstieg des Vereins?Ich habe mich total gefreut. Auch dort wird kontinuierlich und mit überschaubaren Mitteln gut gearbeitet, und das wird jetzt durch den Aufstieg gekrönt. Das ist ähnlich wie bei Arminia eine über Jahre gewachsene Mannschaft, eine junge Mannschaft, die sich über Teamgeist, aber auch über fußballerische Qualität definiert. Die Fürther haben mir am Samstag zum Klassenerhalt gratuliert, ich habe ihnen am Sonntag zum Aufstieg gratuliert. Ich freue mich auf das Wiedersehen und die Spiele, das wird eine coole Geschichte, Bekannte und Leute wiederzusehen, mit denen ich einen gemeinsamen Weg gegangen bin. Fürth ist ein sympathischer Verein, der jetzt wieder Außergewöhnliches geleistet hat. Aber in den beiden Spielen sind wir Gegner! Wie sind denn die Sympathien in Ihrer Familie verteilt: Arminia oder Fürth?Seit ich bei Arminia bin, hat meine Familie sie mit Haut und Haaren mitgelebt. Und das, obwohl meine Frau und meine Tochter gar nichts mit Fußball am Hut haben. Wir haben eine sehr enge Freundschaft mit der Familie Rothe, die aus Bielefeld stammt. Daniela und Christian (ehemaliger Zweitliga-Handballer der TSG Altenhagen-Heepen, Anm. d. Red.) sind Arminia-Fans durch und durch. Mit ihnen haben meine Frau und die Kinder die Spiele angeschaut. Nur einmal nicht, gegen Gladbach (Arminia verlor prompt 0:5, d. Red.). Ihr Sohn spielt in der Fürther Jugend. Wem drückt er beim Aufeinandertreffen die Daumen?Wenn er nicht enterbt werden will, sollte er schon Arminia die Daumen drücken (lacht). Und es gibt ja für mich als Vater schon noch mehr Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen. Ich denke da an Geburtstage, Weihnachten und so weiter. Aber Blut ist dicker als Wasser, deshalb bin ich mir sicher, dass er für die Richtigen, also für Arminia, sein wird. Das Gespräch wurde in einer Medienrunde aufgezeichnet.

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