
Spenge. In der kleinen Stadt im Kreis Herford leben Nachbarn Wand an Wand. Man grüßt sich, manchmal tauscht man ein paar Worte. Doch niemand hätte gedacht, dass eine solche Nähe tödlich enden könnte. Am 26. April 2024 wird der 25-jährige Malte P. auf dem Weg zur Arbeit im Treppenhaus seines Wohnhauses brutal ermordet. Der Täter: sein 37-jähriger Nachbar Pawel C. – ein Mann mit psychischen Abgründen, die sich jahrelang aufgebaut hatten.
Was diesen Fall so verstörend macht, ist nicht nur die rohe Gewalt, mit der C. seinen Nachbarn tötete. Es ist auch das, was danach geschah: Der Täter ruft selbst bei der Polizei an, bleibt am Tatort, wartet ruhig auf seine Festnahme. Kein Versuch zu fliehen, keine Anzeichen von Panik – stattdessen ein fast sachlicher Bericht der Geschehnisse.
Die Polizei trifft gegen 5.30 Uhr am Tatort in Spenge ein. Vor dem Hauseingang ziehen sich Blutspuren bis zur Straße. Im Hausflur liegt Malte P., reglos, leblos. Er hatte keinerlei Chance.
Nachbarschaftsmord in Spenge – der Fall im Überblick:
- Der 37-jährige Pawel C. lebt zurückgezogen in einem Mehrfamilienhaus in Spenge und leidet unter paranoiden Wahnvorstellungen. Er fühlt sich seit Jahren verfolgt.
- Am frühen Morgen des 26. April 2024 lauert er seinem 25-jährigen Nachbarn Malte P. auf und tötet ihn im Hausflur mit Armbrust, Messer und Bolzenschussgerät.
- Nach der Tat ruft Pawel C. selbst die Polizei, gesteht den Mord und sagt, er habe „irgendeinen Menschen töten“ wollen, um seine innere Ruhe zu finden.
- Das Landgericht Bielefeld erklärt ihn für schuldunfähig und ordnet die dauerhafte Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik an.
Im Überblick: Hier finden Sie alle Folgen des OWL-Crime-Podcasts
Ein geplanter Angriff im Morgengrauen in Spenge

Es ist kurz vor fünf Uhr morgens, als Malte P. wie jeden Tag seine Wohnung verlässt. Er wohnt erst seit wenigen Tagen in dem Mehrfamilienhaus. Die Wohnung hatte seine Schwester ihm vermittelt, um näher an seinem neuen Arbeitsplatz zu wohnen. Den Nachbarn Pawel C. kennt er kaum – sie hatten sich lediglich einmal vorgestellt. Was er nicht weiß: C. lauert bereits hinter der eigenen Wohnungstür. Er hat sie nur angelehnt.
Ausgestattet mit einer geladenen Armbrust, einem langen Messer und einem Bolzenschussgerät wartet er auf den Moment, in dem Malte an seiner Tür vorbeigeht. Dann trifft der erste Bolzen den jungen Mann im Oberarm. P. schreit, versucht, sich zu wehren. Doch C. ist vorbereitet. Er stürzt sich auf ihn und sticht mit einem 15 Zentimeter langen Messer immer wieder zu – in Bauch, Brust, Kopf. Insgesamt 53 Mal. Erst als Malte bereits leblos am Boden liegt, setzt C. das Bolzenschussgerät an – zweimal drückt er ab, zielt auf den Schädel.
Lesen Sie auch: Getöteter 25-Jähriger in Spenge - Hintergründe zur Todesursache
Täter ruft nach dem Mord selbst die Polizei

Danach geht Pawel C. zurück in seine Wohnung, holt sein Handy, ruft die Polizei. In einem 15-minütigen Telefonat schildert er der Beamtin sachlich, was passiert ist. „Ich habe meinen Nachbarn getötet“, sagt er. Als die Streife eintrifft, steht er vor dem Haus und lässt sich ohne Widerstand festnehmen.
Die Ermittlungen übernimmt das Polizeipräsidium Bielefeld. Beamte der Kreispolizei Herford sichern Spuren, befragen Nachbarn. Der Fall wirkt zunächst rätselhaft. Es gab keinen bekannten Streit, kein Motiv, keine Verbindung zwischen Täter und Opfer. C. wird verletzt in ein Krankenhaus gebracht – Spuren deuten darauf hin, dass Malte sich anfangs noch gewehrt hatte. Doch was trieb einen unauffälligen Mann dazu, ein solches Massaker zu verüben?
Mit Podcast: Fall des getöteten Philipos: Wenn Zeugen kein Interesse an der Aufklärung haben
Wer ist der Täter?
Pawel C., geboren in Russland, kam 1993 mit seiner Familie nach Deutschland. Der Vater erhängte sich drei Jahre später – eine familiäre Tragödie, die Spuren hinterließ. C. besucht Grund-, Real- und Gesamtschule, beginnt 2007 ein Lehramtsstudium, bricht 2014 ab. Auch ein Informatikstudium führt er nicht zu Ende. Danach lebt er von Gelegenheitsjobs, meist in der Zeitarbeit. Seit 2016 wohnt er in dem Haus in Spenge. Es ist die ehemalige Wohnung seiner Mutter, die inzwischen mit einem neuen Partner zusammenlebt.
In dem Haus, sagt C., habe er sich nie wohlgefühlt. Immer wieder fühlte er sich von Mitbewohnern gestört, verfolgt, beobachtet. Er erzählt von angeblichen kriminellen Gruppen, die ihn systematisch aus dem Schlaf rissen – mit Klopfgeräuschen aus dem Keller, mit Maschinen, mit Vibrationen. Gesehen hat er diese Menschen nie. Aber sie seien da gewesen – jede Nacht. Über Jahre.
Zum Fall: Messermord in Spenge: Gerichtsmediziner schildert das Obduktionsergebnis
Opfer zufällig ausgewählt

Im Prozess vor dem Bielefelder Landgericht wird deutlich: C. lebte in einer wachsenden Wahnwelt. Er litt unter massiven Schlafstörungen, fühlte sich ständig bedroht. Medikamente nahm er keine, Drogen oder Alkohol waren laut Blutuntersuchung nicht im Spiel. Es war der reine, unbehandelte Wahnsinn, der ihn schließlich zum Täter machte.
Er habe, so gibt er bei Polizei und Gericht an, „jemanden töten müssen“, um selbst wieder zur Ruhe zu kommen. Das Opfer sei zufällig gewesen. „Er hätte auch jeden anderen nehmen können“, sagt der Vorsitzende Richter später in der Urteilsbegründung. In der U-Haft, berichtet C., könne er endlich wieder schlafen. Er habe keine Geräusche mehr gehört, keine Stimmen. Auch mit anderen Insassen komme er gut zurecht.
Vor Gericht: eiskalt, dann plötzlich emotional

Claus Frickemeier, Reporter der Neuen Westfälischen, beobachtet den Prozess von Anfang an. „Pawel C. wirkte distanziert, beinahe analytisch“, sagt er im Podcast OstwestFälle. Doch an einem Punkt bricht die Fassade: Als Fotos der Obduktion gezeigt werden, senkt C. den Blick, beginnt zu weinen. Der Anwalt der Nebenkläger fragt ihn: „Wenn Sie die Bilder nicht ertragen – können Sie wenigstens der Mutter Ihres Opfers in die Augen sehen?“ C. schüttelt den Kopf. „Ich kann das nicht. Es tut mir leid.“
Am Ende entscheidet das Gericht: C. ist schuldunfähig. Eine Bestrafung im klassischen Sinn ist ausgeschlossen. Statt einer Freiheitsstrafe wird die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet – auf unbestimmte Zeit. Pawel C. hatte nie Kontakt zu seinem Opfer. Er kannte seinen Namen kaum, wusste nichts über ihn. Trotzdem plante er die Tat minutiös – aus seiner eigenen Logik heraus. Malte P. war kein Feind, kein Provokateur – nur ein junger Mann auf dem Weg zur Arbeit.