Bielefeld. Lange Zeit ging die Öffentlichkeit davon aus, dass die seit 2017 weltweit gesuchte „Krypto-Queen“, die im Schwarzwald aufgewachsene Ruja Ignatova und mutmaßliche OneCoin-Milliardenbetrügerin, ermordet wurde. Doch jetzt sind Zweifel an dieser These aufgekommen. Ein Dokument, das die Ermordung der meistgesuchten Frau des FBI nahelegt, überzeugt die Ermittler des Landeskriminalamtes und der Bielefelder Staatsanwaltschaft nicht.
„Wir gehen davon aus oder arbeiten mit der Hypothese, dass Ruja Ignatova noch am Leben ist“, sagt LKA-Sprecherin Sabine Dässel in der viel beachteten WDR-Doku „Die Krypto-Queen“ von Johann von Mirbach. Seitdem sind Ermittler, Anwälte und auch die zahlreichen geprellten Anleger der angeblichen Kryptowährung OneCoin elektrisiert. Denn sie allein soll in den Jahren vor ihrem Verschwinden 455 Millionen Euro für sich an die Seite geschafft haben. Die Ermittlungsbehörden konnten bisher nur einen Bruchteil davon sicherstellen.
In „Ostwestfälle“, dem True-Crime-Podcast der Neuen Westfälischen, sprechen Birgitt Gottwald und NW-Redakteur Jens Reichenbach über diesen spannenden Wirtschafts- und Betrugskrimi. Darin geht es natürlich um diese neuesten Entwicklungen rund um die schillernde Person „Dr. Ruja“, aber auch um die Frage, warum ausgerechnet die Staatsanwaltschaft Bielefeld mit den Ermittlungen in diesem internationalen Fall betraut ist. Und es geht auch um die noch vorhandenen Möglichkeiten der Opfer, wenigstens noch an einen Bruchteil ihrer Investments heranzukommen.
Die „Krypto-Queen“ – der Fall im Überblick:
- Drei Millionen Anleger, darunter 60.000 in Deutschland, tappen in die OneCoin-Falle und verlieren ihr Geld an ein raffiniertes Betrugssystem.
- Ruja Ignatova sammelt Milliarden mit der Fake-Kryptowährung und verschwindet im Jahr 2017 spurlos, als ihr Schneeballsystem auffliegt. Der Gesamtschaden wird auf drei bis vier Milliarden Dollar geschätzt.
Die Bulgarin führt die Liste der weltweit gesuchten Frauen an. Ein bulgarisches Polizeidokument deutet auf ihren Mord hin, doch Widersprüche schwächen dessen Verlässlichkeit. Bielefelder Ermittler vermuten, dass sie unter veränderter Identität in Südafrika lebt.
- Die Staatsanwaltschaft Bielefeld ist in den „OneCoin“-Fall involviert, da betrügerische Geldflüsse zu einem Finanzdienstleister in Greven führen. Ermittler konnten 10,3 Millionen Euro von Ignatovas Vermögen sichern.
- Der Bielefelder Oberstaatsanwalt arbeitet daran, die gesicherten Mittel zur Entschädigung der betrogenen deutschen „OneCoin“-Anleger einzusetzen. Wann genau die Auszahlung erfolgen kann, ist derzeit noch unklar.
Dokument soll Mord auf Jacht in griechischen Gewässern belegen
Warum gehen die Ermittler nun plötzlich davon aus, dass die spurlos verschwundene Krypto-Queen doch noch leben könnte? Grundlage für die Mordthese ist bisher ein bulgarisches Polizeidokument, in dem ein Zeuge berichtet, dass Ruja Ignatova 2018 auf Befehl eines bulgarischen Drogenbarons auf einer Jacht in Griechenland ermordet worden sein soll. Doch das Dokument hat bei den Ermittlern ernste Zweifel ausgelöst.
Der angebliche Auftragskiller, der den Mord damals ausgeführt haben soll, saß zum Tatzeitpunkt nachweislich in den Niederlanden im Gefängnis. LKA-Sprecherin Dässel spricht von widersprüchlichen Informationen in diesem Dokument. Wurde die Zeugenaussage also fingiert, um den Tod der 44-Jährigen vorzuspiegeln? Unter den Investigativ-Journalisten, die sich seit Jahren mit dem Fall befassen, gilt das als die wahrscheinlichste These.
Eine Spur der Krypto-Queen führt nach Südafrika
Und deshalb gehen sie, aber auch das LKA in Düsseldorf, davon aus, dass Ruja Ignatova, die seit 2022 zu den meistgesuchten Verbrechern des FBI gezählt wird – sie ist übrigens die einzige Frau in dieser Top Ten – in Südafrika untergetaucht sein könnte. Das war aus Sicherheitskreisen dort durchgesickert. Für die Ermittler ist diese These stimmiger, zumal sich auch ihr Bruder Konstantin nach ihrem Verschwinden in Südafrika aufgehalten haben soll. Für diese These sprächen auch die Reaktionen innerhalb der Familie, sagt die LKA-Sprecherin in der WDR-Doku. Ruja werde in der Familie, zu der Ignatova immer engen Kontakt gepflegt haben soll, nicht betrauert.
Was werfen die Ermittler in aller Welt der Deutsch-Bulgarin eigentlich vor? Ruja Ignatova gilt als Erfinderin und Kopf der Kryptowährung OneCoin, die sie seit 2014 weltweit als das nächste große Ding auf dem Kryptomarkt bewarb. Dabei lockte sie gezielt all diejenigen, die den Hype um den Bitcoin verpasst hatten. Nicht zuletzt deshalb bezeichnete sie ihre Währung als „Bitcoin-Killer“.
„Größter Betrug der Geschichte“
Das Problem: Im Gegensatz zum bekannten Bitcoin stellt OneCoin nie eine echte Kryptowährung dar, deren Wert sich aufgrund von Marktmechanismen errechnet. Der stets steigende Wert der neuen Währung wurde nach Ansicht der Ermittler von den Verantwortlichen schlicht und einfach erfunden – ein öffentliches Kassenbuch (Blockchain) und entsprechende Marktmechanismen, die auf OneCoin eingewirkt hätten, gab es nie. Ein Krypto-Insider sprach vom größten Betrug der Geschichte.

Neue Investoren wurden mit einem großangelegten Schneeballsystem (Multi-Level-Marketing) gewonnen. Viele, viele Kleinanleger gaben ihr Geld in der Hoffnung auf riesige Renditen, nur wenige profitierten wirklich davon. Die oberen Anleger in der Netzwerk-Pyramide scheffelten Millionen, die unteren verloren alles. Im Januar 2017 wurde die OneCoin-Börse plötzlich ohne Vorankündigung geschlossen. Im April 2017 ließ die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) alle deutschen Konten einfrieren und sprach von betrügerischem Handel.
Bielefelder Staatsanwälte ermitteln im deutschen OneCoin-Betrug
US-Ermittler gehen von einem Gesamtverlust von 3 bis 4 Milliarden Dollar aus. Weltweit sollen 3,5 Millionen Anleger geprellt worden sein. Allein in Deutschland sollen 60.000 Betroffene leben, knapp 18.000 davon hat die Staatsanwaltschaft Bielefeld bis jetzt identifiziert. Sie allein zahlten bei einem Finanzdienstleiter in Greven (Kreis Steinfurt) exakt 56.857.955,04 Euro ein. Das haben die Ermittler des LKA und der Schwerpunktabteilung für Wirtschaftsstrafsachen der Staatsanwaltschaft Bielefeld inzwischen herausgefunden.
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Das Geld wurde von einem inzwischen verurteilten Ehepaar (72, 51) weiterverteilt auf Offshore-Firmen und versteckte Konten in aller Welt. Das Landgericht Münster kam schließlich im Januar 2024 zu dem Schluss, dass das Ehepaar den gewerbsmäßigen Betrug unterstützt hat. Dem Ehepaar aus Greven sei bewusst gewesen, so die Überzeugung der Richter, dass OneCoin nicht auf legalem Wege Geld erwirtschaftet. Das Ehepaar soll dafür mehrere Millionen Euro Provisionen erhalten haben.
Finanzdienstleister aus Greven soll 42 Millionen Euro zurückzahlen
Deshalb entschied sich das Gericht neben einer Verurteilung des Ehepaares (5 und 4 Jahre Haft) auch zur Einziehung beträchtlicher Summen. Das Ehepaar soll demnach 1,2 Millionen Euro zurückzahlen. Aus der Firma, die beide leiteten, sollen 41 Millionen Euro eingezogen werden und von einem wegen Geldwäsche verurteilten Anwalt nochmals gut 600.000 Euro. Die Verurteilten gingen in Revision. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs dazu steht noch aus.
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Der ermittelnde Oberstaatsanwalt, Carsten Nowak, und sein Team haben derweil die Geldflüsse von der Kreissparkasse Steinfurt – sie löste damals die Ermittlungen wegen Geldwäscheverdachts aus – zum Teil nachvollzogen. 20 Millionen Euro gingen demnach mithilfe des erwähnten Anwalts an Treuhandfirmen, von denen aus im Frühjahr 2016 der Kauf einer luxuriösen Penthouse-Wohnung und weiterer Wohnungen für Bodyguards in einem Haus im Londoner Nobelviertel Kensington abgewickelt wurde. Chats und E-Mails sollen belegen, dass die Penthouse-Wohnung allein für die Krypto-Queen vorgesehen war.
Bielefelder Staatsanwalt hat Finger auf 10,3 Millionen Euro
Weil er Ruja Ignatova nicht verklagen kann, hat Nowak zumindest einen Finger auf dem Erlös, der nach dem Verkauf der Immobilien bei der Royal Bank of Scotland liege. Nach Abzug verschiedener Ausstände sind es noch 10,3 Millionen Euro.

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Nach langen Kooperations- und Rechtshilfe-Gesprächen mit den britischen Behörden ist nun absehbar, dass dieses Geld zur Entschädigung deutscher OneCoin-Opfer zur Verfügung stehen könnte. Der Bielefelder Oberstaatsanwalt hat einen 600-seitigen Antrag auf Einziehung des Vermögens beim Landgericht Bielefeld eingereicht. Sollte der positiv beschieden werden, folge das Rechtshilfeersuchen an die britischen Behörden.
Auszahlung an die Opfer nach dem Windhund-Prinzip
Wann genau das Geld zur Verfügung stehen wird, ist auch im Februar 2025 immer noch völlig unklar. Erst wenn es grünes Licht von den Behörden gibt, werde die Summe irgendwann im Bundesanzeiger veröffentlicht. Dann gilt für die Geschädigten des OneCoin-Skandals das Windhund-Prinzip: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Ist das Geld weg, gehen alle, die dann noch Ansprüche anmelden, leer aus.
Sehenswert: Zur WDR-Doku „Die Krypto-Queen“