Bielefeld. Ein heißer Sommertag beginnt, als Harald P. (Name geändert, 67 Jahre alt) am Mittwoch, 13. Juli 1994, wie jeden Morgen seinen Kiosk an der Straße Am Recksiek betritt. Es ist der letzte bewusste Tag im Leben des freundlichen Verkäufers. Denn in seinem Kiosk kommt es plötzlich zu einem Kampf um Leben und Tod.
Der alteingesessene Oldentruper verkauft seit 30 Jahren in seinem Laden Getränke, Süßigkeiten und Eis. Seine Nachbarn lieben ihn für seine kontaktfreudige Art. Die Älteren nutzen sein Angebot zum ausgiebigen Klönschnack beim Bier. Die Kinder lieben seine Witze und die Schleckereien und die Spätkommer schätzen ihn, weil er selbst nach Ladenschluss (20 Uhr) manchmal ein Auge zudrückt und für sie doch wieder öffnet. Denn der 67-Jährige wohnt im gleichen Haus. Als seine Mutter noch lebte, betrieb er dort mit ihr noch eine Heißmangel. An diesem Morgen aber kommt es zwischen 8 und 10 Uhr zu einer tödlichen Begegnung. Bis heute gibt der Fall für die Kripo Rätsel auf.
In der neuesten Folge von „OstwestFälle", dem True-Crime-Podcast der „Neuen Westfälischen", sprechen Birgitt Gottwald und „NW"-Redakteur Jens Reichenbach über einen Cold Case, der inzwischen seit mehr als 30 Jahren ungelöst ist.
Cold Case Kiosk-Raubmord – der Fall im Überblick:
- Harald P. betreibt in Bielefeld-Oldentrup einen Kiosk in seinem Wohnhaus.
- Am 13. Juli 1994 wird der Kiosk von Unbekannten ausgeraubt. Der genaue Tathergang ist unklar.
- Harald P. wird während des Raubüberfalls schwer verletzt und kommt ins Krankenhaus. Wenige Wochen später stirbt er an seinen Verletzungen.
- Die Polizei fahndet in verschiedene Richtungen – ohne Ergebnis.
- Nach mehr als 30 Jahren wird der Cold Case neu aufgerollt.
Der Bielefelder wehrt sich vehement, dann schlägt der Unbekannte zu
Harald P. wird im Kiosk mit einer Eisenstange oder einem Hammer brutal am Kopf getroffen. Zuvor muss er sich vehement gewehrt haben. P. war bereits in der Vergangenheit überfallen worden. Immer wieder hatte er Freunden seine Angst vor dem nächsten Überfall geschildert.
Der Kampf gegen den Räuber endet mit einem Schlag gegen seinen Kopf. Der 67-Jährige sinkt zu Boden und bleibt bewusstlos liegen. Als ihn erst einen Tag später ein Getränkelieferant aufsucht, hört der hinter der Eingangstür ein Wimmern. Harald P. lebt noch. Der Zeuge steigt durchs offene Fenster ins Innere und sieht all das Blut.
Rettungshubschrauber Christoph 13 eilt sofort mit einem Notarzt zum Tatort. Doch der gibt ihm angesichts der massiven Kopfverletzungen nur geringe Überlebenschancen. Nach einer einstündigen Versorgung kommt er ins Krankenhaus. Dort kämpfen die Ärzte noch 23 Tage lang um sein Leben, am 6. August verliert der Patient im Koma den Kampf.
Sechs Bielefelder Cold Cases werden von der Kripo nun neu aufgerollt
Der gewaltsame Tod von Harald P. ist einer von sechs ungeklärten Bielefelder Mordfällen, den die neu eingerichtete Cold-Case-Unit der Kripo Bielefeld nun wieder aufrollen will. Bei der Analyse des alten Falles haben erfahrene Ermittler neue Ermittlungsansätze entdeckt, mit denen sie nun nach fast 30 Jahren doch noch den Täter überführen wollen. Damals sichern die Ermittler menschliche Spuren, die sie auch heute noch in die Lage versetzen, den Täter zu überführen, hieß es bereits 1994.
Und in der Tat: Eine Leserin berichtet, dass ihr Bruder und vermutlich zahlreiche andere Personen, die mit P. damals zu tun hatten, 2021 um eine DNA-Probe gebeten wurden – 27 Jahre nach der Tat. Die Technik der heutigen DNA-Analyse ist deutlich weiter fortgeschritten, sodass möglicherweise am Tatort zurückgebliebene Erbinformationen bei der Aufklärung des Falles beitragen können.
Schon damals setzt die Mordkommission allerhand in Bewegung, um den Mörder zu finden. Lautsprecherwagen fahren durch die Oldentruper Nachbarschaft und machen auf die Ermittlungen aufmerksam. Die Menschen sollen auf eine mögliche Tatwaffe achten, in Mülltonnen und Gebüschen nachsehen.
Polizisten ermitteln in viele Richtungen
Auch eine Einsatzhundertschaft durchkämmt das Gebiet, öffnet Gullyschächte und lässt sogar einen Fischteich leer laufen. Beamte fragen an den Haustüren nach einem jungen Mann, den eine Zeugin mit blutverschmierter Kleidung weglaufen sehen hat. Zwei Verdächtige werden schließlich vorübergehend festgenommen. Doch sie scheiden schon bald als Täter aus. Beide kommen wieder auf freien Fuß.
Später veröffentlicht die Kripo noch ein Phantombild und führt schließlich eine der größten Fingerabdruck-Aktionen der bisherigen Ermittlungsgeschichte durch. Alle Kiosk-Kunden sollen ihr einzigartiges Fingerbild hinterlassen. Denn die Spurensicherung hat auf den Möbeln fremde Abdrücke identifiziert. Nun suchen sie die dazu passende Person. Mehr als 100 Kundinnen und Kunden kommen zur Überprüfung. Doch wieder gibt es keinen Treffer.
Andere Mordermittler überprüfen gleichzeitig alle Gütersloher, die einen blauen Passat besitzen (Zeugen hatten einen solchen Wagen zur Tatzeit in der Straße gesehen). Mehr als 350 Passatbesitzer werden befragt. Die Kripo setzt schließlich 3.000 DM als Belohnung zur Ergreifung des Täters aus. Doch auch diese Ermittlungsstränge führen zu keinem Verdacht, auch der finanzielle Anreiz verpufft.
Anreiz für den Täter: Der Bielefelder bezahlte Lieferanten immer in bar
Die Ermittler gehen am Ende von einer Raubtat aus. S. bezahlte seine Lieferanten immer in bar. Er hatte also immer Bargeld im Haus. Tatsächlich fehlen einige Hundert Deutsche Mark aus der Kasse. Gut möglich, dass S. einen Einbrecher in seinem Kiosk überrascht hat und ihm dann den Fluchtweg versperrt. Der Täter greift sich ein Werkzeug und geht zum Angriff über. Die Tatwaffe wird nie gefunden. Zeugen hatten einen Mann weglaufen sehen, der etwas unter seiner Jacke zu verstecken schien. Vielleicht war es die Tatwaffe.
Viele Fragen blieben in diesem Fall ungeklärt. Eine davon ist die Frage, wie der Täter in den Kiosk kam? Als der Lieferant das Opfer fand, waren sowohl die Wohnungstür als auch die Eingangstür verschlossen. Ein Fenster zum Kiosk stand offen. Dass ein Einbrecher durch ein Fenster einsteigt, ist nicht verwunderlich. Aber das gehbehinderte Opfer wird wohl kaum auf die gleiche Weise in den verschlossenen Laden gekommen sein?
Wer Hinweise zur Aufklärung des Todes von Harald P. geben kann, meldet sich bei der Kripo unter Tel. (0521) 54 50.