
Minden-Lübbecke. Es ist der Abend vor Fronleichnam im Jahr 1985. Sabine R. feiert in der damaligen Disco „Sir Henry“ gemeinsam mit einer Freundin. Dort lernt sie den 25-jährigen Richard S. kennen. Er ist mit der britischen Armee in Minden-Lübbecke stationiert.
Am Ende dieser feuchtfröhlichen Nacht bringt Richard S. die 18-Jährige nach Hause und begibt sich dann zurück zur Kaserne. Doch am nächsten Morgen erhält er die schockierende Nachricht: Sabine R. ist vergewaltigt und ermordet worden und er soll der Täter sein. Das entscheidet auch das Landgericht in Bielefeld und so wird Richard S. zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Doch ist er wirklich der Mörder?
Der Bielefelder Strafverteidiger Peter Wüller ist Gast in der aktuellen Podcastfolge. Er hat viele Informationen über den Fall, den er selbst einige Zeit nach der Verurteilung erneut aufrollt. Und tatsächlich gelingt es ihm, die Freilassung von Richard S. zu erwirken. Doch bis zu diesem Moment sitzt der Brite achteinhalb Jahre unschuldig hinter Gittern.
Der Fall Richard S. - Alle Fakten im Überblick
- Am Abend vor Fronleichnam im Jahr 1985 lernen sich der 25-jährige britische Soldat Richard S. und die 18-jährige Sabine R. in der Disco „Sir Henry“ in Minden-Lübbecke kenne. Sie trinken viel Alkohol und kommen sich an diesem Abend körperlich näher.
- Um etwa 3.30 Uhr bringt Richard S. sowohl Sabine R. als auch ihre Freundin nach Hause. Sabine R. wird in dieser Nacht vergewaltigt und umgebracht. Richard S. erfährt davon am nächsten Morgen von seinem Offizier in der Kaserne.
- Viele Indizien sprechen dafür, dass Richard S. der Täter ist. Er hat Kratzspuren an seinen Unterarmen, kann sich an die Nacht nicht mehr erinnern. Außerdem werden Faserspuren an der Leiche gefunden, die von seinem Armee-Shirt zu stammen scheinen.
- Richard S. beteuert seine Unschuld, wird allerdings wegen Mordes und Vergewaltigung zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Im Jahr 1992 rollt der Bielefelder Strafverteidiger Peter Wüller den Fall neu auf und beantragt eine weitere DNA-Analyse.
- Die Analyse ergibt, dass das Sperma in der Leiche nicht von Richard S. stammt. Er wird nach achteinhalb Jahren aus der Haft entlassen und später freigesprochen. Der wahre Mörder von Sabine R. wird bis heute nicht gefunden.
Richard S. und Sabine R. lernen sich in der Disco kennen
Die Diskothek „Sir Henry“ hat in Minden-Lübbecke im Jahr 1985 den Ruf, ein Treffpunkt für die britischen Einsatzkräfte zu sein. Am Abend vor Fronleichnam sind einige Soldaten - unter anderem Richard S. - zum Feiern vor Ort. Er lernt dort Sabine R. kennen und die beiden kommen sich schnell näher. Beide trinken viel, küssen sich und werden auf der Tanzfläche körperlich.
Um 3 Uhr schließt die Disco und kurze Zeit später bietet Richard S. an, die 18-Jährige und ihre Freundin nach Hause zu bringen. Dass er am nächsten Tag an den Heimweg aufgrund des vielen Alkohols keine Erinnerung mehr hat, wird ihm später zum Verhängnis.
Denn Sabine R. wird in dieser Nacht vergewaltigt und ermordet. Richard S. erfährt davon am nächsten Morgen, als ein Offizier ihn in der Kaserne weckt und die Nachricht überbringt. Schnell ist klar: Der 25-Jährige ist der Hauptverdächtige, er soll Sabine R. umgebracht haben. Der junge Mann ist überrumpelt, kann nicht glauben was ihm vorgeworfen wird.
Die Indizien sprechen gegen Richard S.
Trotzdem sprechen die Indizien gegen ihn. Er ist die letzte Person, die gemeinsam mit Sabine R. gesehen wurde. Das bestätigt auch ihre Freundin, die sich mit beiden auf den Heimweg gemacht hat. An der Leiche werden zudem Faserspuren gefunden, die zu einem olivgrünen T-Shirt gehören könnten. Ebenso grün wie die Armee-Shirts der britischen Soldaten also.

Außerdem hat Richard S. Kratzwunden an seinen Unterarmen. Diese sind auf eine Nylon-Allergie zurückzuführen. Der Soldat muss am Vortag in der Kaserne Fallschirme zusammenlegen, reagiert allergisch darauf und zerkratzt sich als Reaktion die Arme. Das Gericht sieht das jedoch anders: Es wertet die Kratzer als sogenannte Abwehrverletzungen.
Auch eine Spermaprobe des Mannes wird genommen und es erfolgt ein Vaginal-Abstrich der Leiche. Die Analysetechnik ist zu dieser Zeit allerdings noch nicht ausgereift. So geben die untersuchten Merkmale zwar keinen konkreten Aufschluss auf Richard S. als potenziellen Vergewaltiger, schließen ihn jedoch auch nicht aus. Entsprechend wird er wegen Mordes sowie Vergewaltigung zu 15 Jahren Haft verurteilt.
Der Fall Richard S. wird neu aufgerollt
Im Jahr 1992 kommt Bewegung in den Fall. Richard S. möchte in seine Heimat versetzt werden. Eine Möglichkeit, die ausländische Strafgefangene haben, nachdem sie über die Hälfte ihrer Haftstrafe abgesessen haben. Er kontaktiert 96 Anwälte, doch nur der Bielefelder Strafverteidiger Peter Wüller lässt sich darauf ein und setzt sich mit dem jungen Mann auseinander.
Schnell spürt er, dass das Urteil nicht zu den Gutachten der Sachverständigen passt. So veranlasst Wüller eine erneute DNA-Analyse, um möglicherweise ein Wiederaufnahmeverfahren des Falles beantragen zu können. Tatsächlich kann nun bewiesen werden, dass es sich beim Sperma im Körper der Leiche nicht um das von Richard S. gehandelt hat, sondern dass es von einem anderen Mann stammen muss.
„Da der Mord im direkten Zusammenhang mit dem Sexualdelikt steht, ist damit auch dieser hinfällig“, sagt Wüller. Entsprechend wird Richard S. nach achteinhalb Jahren Haft entlassen. Zwar beteuert er in dieser Zeit immer seine Unschuld, den Glauben an eine vorzeitige Haftentlassung verliert er allerdings.
Freispruch für Richard S.
Es dauert acht weitere Jahre, bis es 2002 zum Wiederaufnahmeprozess kommt. Laut Wüller sind verschiedene Justizfehler daran schuld. Richard S. wird in allen Anklagepunkten freigesprochen.
Bereits im Jahr 1992 gibt es einen Zeugen, der gehört haben will, wie Sabine R. in der Nacht mit einem anderen Mann als Richard S. gesprochen habe. Beide hätten sich auf deutsch unterhalten, eine Sprache, in der Richard S. lediglich vereinzelte Wörter kannte. Trotz weiterer Ermittlungen wird der Täter nie gefunden, die Ermordung von Sabine R. ist bis heute ein sogenannter „Cold Case“.