Der Doppelmord von Quedlinburg: Warum ein Sohn seine Familie auslöschen wollte

Bielefeld/Quedlinburg. Es sollte ein entspannter Spieleabend mit der Familie werden. Mit dem Kartenspiel &bdquo;Knack“ hatte es sich die Familie rund um Rainer R. (alle Namen geändert) in der Wohnung seines Vaters gemütlich gemacht. Doch dann wird der gesellige Abend im beschaulichen Quedlinburg im Ostharz (Sachsen-Anhalt) plötzlich zum Albtraum, am Ende sind zwei Menschen tot, eine Person schwebt in Lebensgefahr. Es ist kurz vor Weihnachten 2012. Am 14. Dezember erschießt der 25-jährige Rainer R. seinen Vater Fritz (72) nach einem Streit in dessen Wohnung in Quedlinburg. Auch auf seinen Halbbruder (40) schießt R. an jenem Abend zwei Mal. Die Projektile treffen und verletzen den 40-Jährigen lebensgefährlich. Seine Stiefmutter (62) schlägt er kurz darauf mit einer Taschenlampe nieder, um sie dann mit Tritten tödlich zu verletzen. Schnell wird klar, der zweite Sohn der Familie ist der Täter. Aber was treibt einen Sohn dazu, seine gesamte Familie auszulöschen? In der neuen Folge von &bdquo;OstwestFälle“, dem True-Crime-Podcast der &bdquo;Neuen Westfälischen“, spricht Moderatorin Birgitt Gottwald mit dem Bielefelder Strafverteidiger Carsten Ernst über den Doppelmord, der einen Spieleabend zum Horror werden ließ und eine Familientragödie aufdeckte, die lange im Verbogenen blieb. Der Doppelmord in Quedlinburg – der Fall im Überblick: Während eines Kartenspiels erschießt ein 25-Jähriger seinen Vater und verletzt seinen Halbbruder lebensgefährlich in der Wohnung des Vaters in Quedlinburg. Seine Stiefmutter erschlägt Rainer R. mit einer Taschenlampe. Gefasst wurde der Täter 24 Stunden nach den Morden in Bielefeld. Der Vater soll beide Söhne regelmäßig misshandelt und geschlagen haben. Rainer R. wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, unter Berücksichtigung der besonderen Schwere der Schuld. Das geschah am Abend des Doppelmordes in Quedlinburg Rainer R. war zu Besuch in der Wohnung seines Vaters, dort lebte der zusammen mit Rainers Stiefmutter und dessen Halbbruder. Zusammen spielten die Männer das Kartenspiel &bdquo;Knack“ (auch bekannt als &bdquo;Schwimmen“). Doch der Abend blieb nicht so friedlich. Im Laufe des Abends geraten die Männer in Streit. Laut Anklage der Staatsanwaltschaft zog R. schließlich sogar eine Kleinkaliber-Pistole und schoss zunächst mehrmals auf seinen Halbbruder. Dieser konnte sich trotz seiner lebensgefährlichen Verletzungen aus der Wohnung retten, um nach Hilfe zu rufen. Er überlebte die Tat als einziger. Dann schoss R. auch auf seinen Vater, der sich noch in den Flur schleppen konnte, dort aber schließlich zusammenbrach und aufgrund seiner ernsten Schussverletzungen starb. Seine Stiefmutter hatte bei dem Kartenspiel nicht mitgespielt, nachdem sie die Schüsse aber gehört hatte, war sie zum Vater in den Flur geeilt. Auch R.’s Stiefmutter musste an dem Tag sterben. R. zog seine Pistole aber nicht ein drittes Mal. Diesmal schlug er mit großer Wucht mit einer Taschenlampe zu. Die Frau sank zu Boden, wo der 25-Jährige der Frau mit mehreren tritten tödliche Verletzungen zufügte. Täter hätte eigentlich im Gefängnis sitzen sollen Nach der Bluttat flüchtet Rainer R. nach Bielefeld. Dort lebte der 25-Jährige seit Mai 2011, hatte das Carl-Severing-Berufskolleg besucht und in den vergangenen Monaten in einer Baukolonne gearbeitet. Die Ermittler in Sachsen-Anhalt alarmierten sehr schnell ihre Kollegen in Bielefeld. Denn R. war polizeilich bereits bekannt. Er galt als gewaltbereit und war bereits vor dem Doppelmord mehrfach als Angeklagter vor Gericht gelandet. Unter anderem auch wegen eines Raubes im Mai 2011 in Bielefeld. Dafür wurde er damals zu einer Haftstrafe von 2 Jahren und drei Monaten verurteilt. Doch das Urteil wurde nie vollstreckt, weil sein Anwalt, der Bielefelder Strafverteidiger Carsten Ernst, Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt hatte. Zum Verfahren in nächster Instanz kam es nicht mehr. Der Bielefelder Rechtsanwalt musste plötzlich die Verteidigung seines Mandanten in einem Doppelmordfall übernehmen. Per Handyortung wird der Täter in Bielefeld aufgespürt Da der Tatverdächtige weiterhin bewaffnet sein könnte, schaltete Ralf Östermann, erfahrener Mordermittler der Bielefelder Kripo, damals das für solche Festnahmen speziell trainierte Spezialeinsatzkommando (SEK) ein. Denn die Bielefelder Ermittler hatten bereits per Handyortung festgestellt, dass R. in Hannover in einen Zug gestiegen und nun auf dem Weg in seine neue Heimatstadt war. Die Polizei verfolgte den Standort des Tatverdächtigen weiter und erfuhr so, dass er tatsächlich am Bielefelder Hauptbahnhof ausgestiegen war. Weil unklar blieb, ob Rainer R. noch bewaffnet ist, sahen die Beamten von einer Verhaftung am Hauptbahnhof ab. Zu groß war das Risiko, dass Unbeteiligte verletzt werden könnten. Die Ortung blieb also weiterhin bestehen und so überwältigten SEK-Einheiten den wegen Doppelmords gesuchten Bielefelder am Samstagabend, 15. Dezember 2012, an der Straßenecke Paulusstraße/Kavalleriestraße. Die sechsschüssige Kleinkaliberwaffe, die er bei der Tat eingesetzt hatte, hatte er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bei sich. Er hatte sich die Waffe zwei Monate vor der Tat in Bielefeld beschafft. Rainer R. kam nach Magdeburg in Untersuchungshaft. Gleichzeitig begann ein Ermittlungsverfahren, dass nicht nur die Details der Tat aufdecken sollte, sondern auch die grausamen Hintergründe in Rainer R.’s Leben. Hintergrundgeschichte zeigt düstere Abgründe der Familie Wie sich im Laufe des Prozesses später zeigte, war Rainer R. in sehr schweren Familienverhältnissen aufgewachsen. Rainer und seine Geschwister sollen von ihrem sadistischen Vater regelmäßig geschlagen, ausgepeitscht und sogar stranguliert worden sein. Auch von Drogen und Alkoholmissbrauch war in den Zeugenvernehmungen die Rede. Vor Gericht bestätigten die Geschwister des Angeklagten die jahrelangen, grausamen Misshandlungen durch den Vater. Jedes Mal, wenn Vater Fritz betrunken nach Hause kam, suchte er sich eines der Kinder aus, an dem er seinen Frust loswerden konnte. Auf einem Tisch legte er dann Gürtel, Stock und weitere Gegenstände. Die Kinder mussten sich aussuchen, mit welchem Gegenstand ihr Vater sie an dem Abend verprügeln sollte. Rainer R. soll sich immer die schmerzhaftesten Gegenstände ausgesucht haben, um allein damit seinem Vater die Stirn zu bieten. Misshandlungen der Geschwister in Quedlinburg fiel nie auf Die Schwester des Angeklagten sagte während des Prozesses: &bdquo;Ich verstehe nicht, warum jetzt auf einmal so ein großes Theater veranstaltet wird, nur weil der Fritz tot ist. Jetzt auf einmal interessiert das alles, was er getan hat. Früher hat es auch keinen interessiert (...).“ Denn jahrelang sei nichts gegen die Misshandlungen der Kinder getan worden. Rainer R.’s Stiefmutter soll von all dem gewusst haben, aber nie etwas unternommen haben, um die Kinder vor dem gewalttätigen Vater zu schützen. Rainer R. soll seiner Stiefmutter immer vorgeworfen haben, dass diese ihn und seine Geschwister in seiner gesamten Kindheit nie vor den Schlägen und Misshandlungen des Vaters geschützt hatte. Doch die Familiengeheimnisse gehen noch tiefer: Rainer R.’s leibliche Mutter war die Stieftochter seines Vaters. Rainers Stiefschwester war also gleichzeitig auch seine leibliche Mutter. Diese soll der 72-jährige 26 Jahre zuvor vergewaltigt und dabei geschwängert haben. Bei seiner Geburt war Rainer R.’s Mutter gerade erst volljährig. Das Urteil im Doppelmord von Quedlinburg Nachdem die Schrecken aus der Kindheit von Rainer R. ans Licht gekommen waren, stand die Frage im Raum, ob Rainer R. überhaupt schuldfähig ist. Ein psychiatrischer Gutachter wurde daraufhin gebeten, nochmals die Schuldfähigkeit des 25-Jährigen zu klären. Seine Diagnose nach einem langen Gespräch mit dem Angeklagten: Eine schwere Persönlichkeitsstörung, durch die bei ihm zum Tatzeitpunkt eine verminderte Schuldfähigkeit vorlag. Rainer R. war nach Angaben des Gutachters in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkt. Die Forderung der Staatsanwaltschaft hat daraufhin selbst den erfahrenen Strafverteidiger Carsten Ernst überrascht. Während er für seinen Mandanten eine zwölfjährige Haftstrafe mit anschließender Einweisung in die Psychiatrie gefordert hatte, blieb die Staatsanwaltschaft – trotz der verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten – wegen der Schwere der Schuld bei der Forderung nach einer lebenslangen Haft. Während Verteidigung und Staatsanwaltschaft von einer verminderten Schuldfähigkeit ausgingen und eine Unterbringung in der Psychiatrie anstrebten, kam das Gericht zu einem anderen Ergebnis: Die Schwurgerichtskammer kam zu dem Schluss, dass sich die Persönlichkeitsstörung nicht auf die Tat ausgewirkt habe. Deshalb verurteilte sie Rainer R. zu lebenslanger Haft mit der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Mit diesem Zusatz ist eine vorzeitige Entlassung des Doppelmörders nach 15 Jahren nicht mehr möglich. Die meisten Betroffenen haben in solchen Fällen erst nach 20 oder 25 Jahren eine erste Möglichkeit auf eine vorzeitige Entlassung.

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