Carsten Linnemann: „In der Politik gibt es keine Freunde“

Herr Linnemann, Sie sind viel unterwegs im Land, vor allem zwischen Ihrem Wahlkreis Paderborn und der Bundeshauptstadt Berlin. Welche Themen begegnen Ihnen am meisten? Carsten Linnemann: Die Menschen haben die Sorge, dass wir unseren Wohlstand einfach nicht mehr halten können. Das Land steht auf der Kippe. Das höre ich in jedem zweiten Gespräch. Wo liegen die größten Probleme? Bei der Migration und der Wirtschaft. Ist die Lage bei der Migration nicht von den Zahlen deutlich entspannter als 2015? Wo ist das Problem? Leider nicht. Wir haben damals den Fehler gemacht, dass wir zu lange den Eindruck erweckt haben, dass jeder zu uns kommen kann. Diesen Fehler haben wir aber durch das Türkei-Abkommen korrigiert. Seitdem gingen die Flüchtlingszahlen runter – und die Umfragewerte der Protestparteien. Jetzt ist die illegale Migration sehr hoch und die Bundesregierung ist nicht bereit, Maßnahmen zu ergreifen, die die Zahlen senken. Der Kanzler redet gerne vom Deutschlandpakt, ich fürchte aber einen Rohrkrepierer. Was schlagen Sie vor? Fast alle Migrationsforscher sagen: Es dürfen nur noch Menschen zu uns kommen, die einen positiven Asylbescheid haben. Dazu müssen die Verfahren in Drittstaaten ablaufen. Es gibt nicht die eine Lösung, aber das wäre der zentrale Aspekt. War der Deutschlandpakt von Scholz also gar nicht ernst gemeint? Ich hoffe, dass er das Thema ernst nimmt. Aber das Problem ist: Wichtige Schritte, die wir als Union für wichtig erachten, wird die Bundesregierung nicht mitgehen. Insbesondere die Grünen stehen da auf der Bremse. Ich wiederhole es gerne: Unsere Tür ist zwar grad zu, aber nicht abgeschlossen. Wir wollen das Migrationsthema endlich lösen. Dann werden im Übrigen auch die Proteststimmen weniger. Hat das Thema Auswirkungen auf die gesellschaftliche Stabilität bei uns im Land? Ja. Meine größte Sorge ist eine gesellschaftliche Spaltung. Die ist in Teilen schon da. Ich spüre das in Berlin, wo es ganze Stadtteile gibt, die sich nicht mehr begegnen. Sie blicken kritisch auf die Grünen. Ist Schwarz-Grün als Modell nach dem Koalitionsende in Hessen schon wieder am Ende? Nein. Boris Rhein hat in Hessen einfach knallhart sondiert, was für das Land und die CDU am besten ist. Und beim Thema Migration sind Unterschiede zwischen den Grünen und uns einfach sehr groß. Was mir bei den Grünen auch nicht gefällt, ist der Top-down-Ansatz. Also, dass sie oben etwas entscheiden, was die Menschen unten umsetzen sollen. Das hat zum Beispiel beim Heizungsgesetz zu ganz viel Verunsicherung geführt. Was würde mit dem Heizungsgesetz passieren, wenn Sie regieren sollten? Dann würden wir das Gesetz zurücknehmen. Dieses Gesetz hat Angst geschürt. Viele Menschen wissen nicht, wie sie sich das leisten sollen und fühlen sich völlig überfordert. Sie sind seit Juli Generalsekretär der CDU. Was ist Ihre Strategie? Es geht mir um CDU pur. Wir brauchen Kernthemen und die will ich stark machen. Ist mein Geld sicher? Ist mein Job sicher? Lebe ich sicher? Wie gestalten wir die Zukunft unserer Kinder? Darauf müssen wir uns als Volkspartei konzentrieren. Erkennen Sie Erfolge? Wir sind jetzt wieder regierungsfähig. Als Partei sind wir wieder geschlossen. Und unser Grundsatzprogramm ist fertig. Wir haben festgeschrieben, wofür wir als Christdemokraten stehen und wo wir hinwollen. Und? Wir sind die Volkspartei der Mitte. Wir wollen Zusammenhalt stärken und Wohlstand sichern. Wir sind die Partei, die Sicherheit gibt, aber Menschen so leben lässt, wie sie sind. Übersetzt auf westfälisch heißt das vielleicht: Wir wollen, dass man sich die eigenen vier Wände leistet, ein Auto, Urlaub – und eine Bratwurst isst, ohne schlechtes Gewissen haben zu müssen. Wo sehen Sie als Oppositionspolitiker aktuell neben der Migration den größten Handlungsbedarf? Das Bürgergeld muss in dieser Form abgeschafft werden. Wenn jemand Sozialleistungen bezieht und arbeiten kann, kann er nicht erwarten, dass andere, die arbeiten gehen, die Nichtarbeit für ihn finanzieren. Doch das passiert im Moment. Ich finde das dänische Modell richtig: Wer dort Sozialleistungen bekommt und arbeiten kann, muss spätestens nach sechs Monaten eine Arbeit annehmen und ansonsten gemeinnützig tätig sein. Was spricht gegen staatliche Unterstützung? Es ist richtig, Menschen zu unterstützen, die Hilfe brauchen. Aber Solidarität bedeutet auch, dass jeder den Beitrag leistet, den er leisten kann. Sonst funktioniert ein faires Staatswesen nicht. Ist es nicht an der Zeit, die Schuldenbremse über Bord zu werfen? Nein. Die Schuldenbremse ist Ausdruck von Generationengerechtigkeit. Ich wundere mich, wie locker man in Deutschland damit umgeht. Die Schuldenbremse gehört zur CDU, wie der Fisch das Wasser braucht. Wenn wir die jetzt über Bord werfen, ist die für immer weg. Wir sollten an unsere künftigen Generationen denken und daran, dass ein Ende der Schuldenbremse auch die Inflation anheizt. Wir müssen stattdessen die Ausgabenseite in den Blick nehmen: Wenn der Staat beispielsweise 100.000 Leute aus dem Bürgergeld in einen Job überführt, spart er drei Milliarden Euro. Bei einer Million Menschen wären das schon 30 Milliarden Euro. Im nächsten Jahr stehen wichtige Wahlen an. Verfolgen Sie die Umfragen? Jede Umfrage interessiert mich. Ist doch klar. Bleibt die Union denn intern geschlossen? Ja. Wir haben ein starkes einendes Band. Sie sind bereits seit 14 Jahren im Bundestag. Haben Sie dort enge Wegbegleiter und Freunde gefunden? In der Politik gibt es keine Freunde. Wenn ich aus der Politik ausscheide und dann noch Kontakt haben sollte, dann ist das ein Freund. Aber natürlich verstehe ich mich mit vielen Kollegen gut, wie zum Beispiel mit Jens Spahn oder Wolfgang Bosbach. Die zwei gehören eher zum bürgerlichen Lager, oder? Zufall? Früher hat man gesagt, Wolfgang Bosbach hat einen gesunden Menschenverstand. Heute heißt es, er ist rechts. So weit ist es schon gekommen. Ich schätze ihn sehr.

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