Achim Post: "Helmut Kohl würde sich im Grab umdrehen"

Herr Post, Sie gelten als Schlüsselfigur hinter den Kulissen bei Verhandlungen in der Bundespolitik. Jetzt wollen Sie auch noch Chef der NRW-SPD werden. Warum? Achim Post: Ich bin vor 47 Jahren in die SPD eingetreten und seitdem immer noch im selben Ortsverein in Ostwestfalen-Lippe. Ich habe der Partei sehr viel zu verdanken. Die NRW-SPD braucht einen Neuanfang. Und zu meiner und unserer politischen DNA gehört es, regieren zu wollen. Ich bin überzeugt davon, dass uns das auch in NRW wieder gelingen wird. Wenn die SPD-Delegierten Sarah Philipp und mich Ende August auf dem Parteitag in Münster zu den neuen Landesvorsitzenden wählen sollten, würde NRW im Bund noch mehr Gewicht bekommen. Sarah und ich werden alles dafür tun, dass die Sozialdemokratie in NRW wieder nach oben kommt und wir haben richtig Lust darauf. Übernehmen Sie sich? Nein, ich werde mein Amt als Chef der NRW-Landesgruppe in der SPD-Bundestagsfraktion abgeben, damit ich mit voller Kraft die neue Aufgabe anpacken kann. Der Vorstand der Landesgruppe hat bereits Wiebke Esdar und Dirk Wiese als Nachfolger vorgeschlagen. Darüber entscheidet die Landesgruppe in der nächsten Woche. Und in NRW setzen wir ja bewusst auf ein starkes Team, denn nur so können wir wieder erfolgreich werden. Wer gehört zum Team? Neben Sarah Philipp als Teil der Doppelspitze soll Frederick Cordes als neuer Generalsekretär Verantwortung übernehmen, was ich sehr begrüße. Auch die Vize-Parteichefs haben eine enorm wichtige Rolle – aus unserer Region gerade auch der Bürgermeister von Werther, Veith Lemmen. Das gleiche gilt für den neuen Fraktionschef Jochen Ott und unsere Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in NRW. Wir werden die SPD mit Selbstbewusstsein und Zuversicht Schritt für Schritt wieder nach oben bringen. Die Realität zeigt aber: Das wird ein weiter Weg. CDU und Grüne regieren hier recht harmonisch, anders als Sie mit den Grünen und der FDP im Bund ... Das sehe ich anders. In der NRW-SPD gab es Mitte Juni ein Wochenende der neuen Einigkeit, als wir einstimmig vom Landesvorstand als neue Führung vorgeschlagen wurden. So wollen wir das weiter handhaben. Die Scharmützel zwischen Friedrich Merz und Hendrik Wüst rund um die Kanzlerkandidatur unterstreichen stattdessen die alte Zerrissenheit der CDU. Was meinen Sie damit? Der Konflikt zwischen Herrn Merz und Herrn Wüst ist kein bloßes Medienphänomen, sondern eine reale und offene Machtfrage. Es ist mir schleierhaft, warum sich Hendrik Wüst nur ein Jahr nach der gewonnenen Landtagswahl offenbar bereits als Kanzlerkandidat der Union in Stellung bringt. Eigentlich gibt es in NRW gerade jetzt genug zu tun. Was? Bildung, gute Arbeit und handlungsfähige Kommunen – das gehört für mich noch stärker in den Mittelpunkt. Es braucht zudem eine deutlich aktivere Wirtschafts- und Industriepolitik. Ich bin für einen Industriestrompreis, damit wir im Vergleich zu anderen Staaten und Weltregionen wettbewerbsfähig bleiben. Das würde Beschäftigung sichern und unseren Betrieben in den kommenden Jahren Planungssicherheit geben. Am Ende geht’s ums Geld. Teile der SPD fordern eine Vermögens- und Reichensteuer. Wie sehen Sie das als Haushaltsexperte und Fraktionsvize Ihrer Partei im Bund? Der Bundeshaushalt steht aufgrund zahlreicher Krisen und der Transformation enorm unter Druck. Deshalb ist für mich auch klar: Wir können auf Dauer nicht einfach so weitermachen wie bislang. Ich kann mir zum Beispiel eine einmalige Krisenabgabe sehr gut vorstellen, die dafür sorgt, dass bei den Krisenlasten und ihren Folgekosten starke Schultern finanziell mehr tragen als schwache. Wie sollte die aussehen? Über Details kann man reden. Wichtig ist, dass es unbürokratisch ist, vor dem Verfassungsgericht Stand hält und es letztlich dafür eine politische Mehrheit gibt. Das wird noch viel Arbeit verlangen. Ich bin aber überzeugt davon, dass man das in den nächsten Jahren hinbekommen kann. Doch auch kurzfristig müssen wir was tun: Für das zweite Halbjahr ist ein Gesetz gegen Steuerschlupflöcher angekündigt. Das ist eine Frage der Fairness gegenüber den ehrlichen Steuerzahlern und kann eine Milliardensumme auch für den Haushalt bedeuten. Hier werde ich mit der SPD-Fraktion im Bundestag weiter Druck machen. Aber auch dafür braucht es eine Mehrheit in der Ampel. Die Menschen sind müde vom Streit in der Koalition. Sind Sie nicht kompromissfähig? Alle Ampel-Parteien sind gleichermaßen kompromissfähig. Unsere und auch meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Ampel besser und schneller wird. Beim Sondervermögen für die Bundeswehr, dem Bau der LNG-Terminals oder den Energiepreisbremsen und Entlastungspaketen für die Bürgerinnen und Bürger haben wir gezeigt, dass wir das können. Dennoch ist die Unzufriedenheit mit Ihrer Politik groß, was sich auch an den hohen Umfragewerten für die AfD zeigt. Wie blicken Sie darauf? Wir dürfen die AfD weder verharmlosen noch aufblasen. Sie hat es in NRW vor einem Jahr nur knapp in den Landtag geschafft. Am Ende zählen Wahlergebnisse und keine Umfragewerte. Dennoch müssen wir als Ampel dafür sorgen, dass der gute Geist der Anfangszeit wieder stärker sichtbar wird. Und ich bin zuversichtlich, dass uns das auch gelingt. Wie wird es mit der AfD mit Blick auf anstehende Wahlen weitergehen? Das beste Mittel ist anständige Politik – und die werden wir machen. Aber es geht auch um die grundsätzliche Haltung. Ich erwarte vor allem von CDU und CSU, dass die Brandmauer zur AfD steht. Bei Manfred Weber, dem Chef der Europäischen Volkspartei EVP, beobachte ich aktuell leider eher das Gegenteil. Er schmiedet einen Pakt nach dem anderen mit rechtsextremen und rechtsradikalen Kräften in Europa. Der große Europäer Helmut Kohl würde sich im Grab umdrehen, wenn er das sehen würde.

Meistgelesen