Ganztagsbetreuung für alle Grundschüler: Warum NRW vor dem Scheitern steht

Herford/Bielefeld. Ein sicherer Platz für den Nachwuchs im Ganztag – so lautet das Versprechen für Eltern ab 2026. Zunächst gilt die Regelung nur für Erstklässler, ab 2030 dann für alle Grundschüler. Immer mehr Experten aber sehen keine Chance, das Vorhaben in Nordrhein-Westfalen bis dahin umzusetzen. Zum einen gibt es viel zu wenig Fachkräfte, um die Betreuung zu gewährleisten. Zum anderen ist anderthalb Jahre nach Beschluss des Gesetzes die Finanzierung noch nicht geklärt. Die Probleme reichen aber noch tiefer. Woran es als Erstes hapert: ein aussagekräftiges Bild über die aktuelle Betreuungssituation für Grundschulkinder in der Region zu bekommen. Denn es gibt weder eine genaue Aufstellung darüber, ob wirklich jede Grundschule ein Ganztagsangebot hat, noch darüber, wie viele Schüler bei einem bestehenden Angebot dennoch keinen Platz bekommen. Jene, die in der täglichen Arbeit damit zu tun haben, schätzen den Bedarf aber hoch. "Ich bekomme hier jede Woche Anfragen von Eltern, deren Kinder zu anderen Schulen gehen, und die verzweifelt versuchen, bei uns unterzukommen", sagt Martina Reiske, Leiterin der Sudbrackschule in Bielefeld. Sie befürchtet, dass die Situation sich in den kommenden Jahren noch verschlechtern wird. "Auch ein Rechtsanspruch auf einen Platz ändert nichts daran, dass wir kein Fachpersonal haben, um die Kinder zu betreuen." Städtetag NRW kritisiert fehlende Planung Auch Wibke Poth, stellvertretende Vorsitzende des Verbandes für Bildung und Erziehung NRW, weiß um die prekäre Lage vieler Einrichtungen. "Fehlende finanzielle Mittel, zu kleine Räumlichkeiten, zu wenig Personal – diese Faktoren prägen oftmals den Alltag. Wer die Realität vieler Ganztagsgrundschulen kennt, weiß, dass noch viele Schritte notwendig sind, um allen Kindern einen Ganztag anbieten zu können, den sie für ihre Entwicklung benötigen. Es ist kaum absehbar, dass diese großen Herausforderungen bis 2026 bewältigt werden." Rund 17.000 Fachkräfte fehlen laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung bis 2030 in NRW. Woher sie kommen sollen, weiß niemand. Zusätzlich fehlt bisher ein verlässlicher Plan für die Finanzierung. Dass dieser nicht vorliegt, kritisiert der Städtetag NRW. "Seit fast eineinhalb Jahren steht auf Bundesebene fest, dass der Rechtsanspruch 2026 kommt, aber eine zügige Umsetzung in Nordrhein-Westfalen ist aus vielerlei Gründen fraglich", so der Vorsitzende Thomas Kufen. "Auch, weil das Land noch keine Klarheit über die konkreten Rahmenbedingungen geschaffen hat." Eigentlich müssten die Städte in den Augen von Kufen längst begonnen haben, weiteren Schulraum auszubauen, zu sanieren und damit Platz für die zusätzlichen Angebote zu schaffen. "Da schon jetzt in den Kommunen viele Bauprojekte aus dem Zeit- und Kostenrahmen rutschen, ist es wenig motivierend, beim Ausbau der Ganztagsbetreuung immer noch nicht zu wissen, wie viel Geld das Land zur Verfügung stellt." Fraglich sei auch, wer das künftige Personal einstellen und ausbilden solle, das auf dem Arbeitsmarkt ohnehin fast nicht zu finden sei. "Den notwendigen Ausbau für den Rechtsanspruch bis 2026 noch hinzubekommen, wird somit zu einer fast unlösbaren Aufgabe.“ Sozialdezernent aus Herford sorgt sich um Familien Schon jetzt gibt es zahlreiche Schulen, die zwar einen Offenen Ganztag mit limitierten Plätzen anbieten, jedoch vollkommen unzureichend ausgerüstet sein werden, wenn 2026 verpflichtend alle Erstklässler in die Ganztagsbetreuung kommen. "Stand heute wissen wir weder, wo wir die alle unterbringen können, noch, wo und wie wir eine Mensa einrichten sollen", sagt ein Schulleiter aus der Region, der namentlich nicht genannt werden möchte. Auch die Kommunen kritisieren die fehlende Planbarkeit. Die Stadt Herford hat sich deshalb mit einem Brief an Schulministerin Dorothee Feller gewandt. "Noch immer fehlen seitens der Landesregierung verbindliche Aussagen dazu, wie der Anspruch auf Ganztagsbetreuung operativ realisiert werden soll", sagt Patrick Puls, Leiter des Sozialdezernats Herford. Es gebe nur die "Überschrift" des Rechtsanspruchs und damit den Umsetzungsdruck auf die Kommunen. "Dabei drängt die Zeit mehr denn je. Die Landesregierung hat die organisatorische, personelle und finanzielle Verantwortung für die Umsetzung und muss dieser endlich Rechnung tragen und nicht auf Kosten der Kommunen und am Ende der Kinder und Familien aussitzen." Auch die Personalsituation bereitet Puls Sorgen. "Unklarheit über die künftig geltenden Beschäftigungsbedingungen im Ganztag erzeugt die Gefahr, dass derzeit eingesetzte Fachkräfte sich neu orientieren. Ohnehin gibt es eine wachsende Konkurrenz um Fachkräfte zwischen Ganztagsangeboten für Schulkinder und Kindertageseinrichtungen."

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