Trotz gegenteiliger Ratschläge Blinder Student erfüllt sich in Bielefeld seinen Traum

Halle/Bielefeld. Mit schnellen und sicheren Schritten bewegt sich Jonas Schlingmann durch die langen, dunklen Flure der Universität Bielefeld. Die Wege zwischen Hörsälen, Seminarräumen und Mensa kennt der Student auswendig. So steuert der 19-Jährige auch zielsicher sein Büro an, schließt die Tür auf, setzt sich vor seinen Computer und beginnt mit dem Lernen. Nichts Ungewöhnliches für einen Studenten. Doch Schlingmann ist nicht allein in der Universität unterwegs, immer mit dabei ist sein Blindenführhund Milo. Denn obwohl Schlingmann vor neun Jahren erblindet ist, erfüllt der Haller sich seinen Traum vom Jura-Studium. &bdquo;Diesen Wunsch habe ich schon seit der siebten Klasse, deshalb kam für mich nach dem Abitur auch nichts anderes infrage.“ Seit Herbst 2021 studiert der 19-Jährige in Bielefeld und weiß inzwischen auch, dass es genau der richtige Weg für ihn ist: &bdquo;Das Studium macht mir unglaublich viel Spaß und es klappt auch alles.“ Selbstverständlich erscheint das sehenden Menschen nicht. Für Schlingmann ist es das aber, obwohl er immer wieder hört, dass er wegen seiner Schwerbehinderung lieber andere Wege gehen soll. &bdquo;Kurz nach dem Wechsel von der Grundschule auf das Gymnasium bin ich erblindet und mir wurde geraten eine Blindenschule zu besuchen, doch das hat für mich nichts mit Inklusion zu tun.“ Zudem gibt es in Deutschland nur ein Gymnasium für Blinde und das befindet sich im hessischen Marburg. &bdquo;Ich hätte also auf ein Internat wechseln müssen und das kam für mich nicht infrage.“ Stattdessen lernt Schlingmann Blindenschrift nach dem Unterricht. Ziel: So selbstständig wie möglich leben Auch bei der Wahl des Studienortes wird Schlingmann von seiner Wunschuniversität Bielefeld abgeraten. &bdquo;Die Philipps-Universität Marburg ist für Blinde sehr gut geeignet, weil es viele Hilfen gibt, doch ich wollte unbedingt in OWL und damit meiner Heimat treu bleiben.“ Die Entscheidungen erweisen sich für Schlingmann schnell als richtig. Das Abitur besteht er mit sehr guten Noten und auch im Studium überzeugt der 19-Jährige mit seinen Leistungen. &bdquo;Natürlich begegnen mir immer wieder Hindernisse, ich erlebe Herausforderungen und treffe auf wenig hilfsbereite Menschen, doch diese negativen Erlebnisse überwiegen in meinem Leben nicht“, sagt Schlingmann. Zudem könne er stets auf die Unterstützung seiner Familie und Freunde zählen. Auch von seinen Kommilitonen fühlt er sich unterstützt. &bdquo;Mein Ziel war es immer und ist es auch weiterhin, so selbstständig wie möglich zu leben und dazu gehört natürlich auch die Ausbildung meiner Wahl.“ Jeden Tag von 8 bis 20 Uhr in der Uni Selbstständig meistert Schlingmann sowohl seinen Alltag zu Hause in Halle, als auch seinen Alltag als Student in Bielefeld. &bdquo;Ich bin bei meinen Eltern ausgezogen, weil ich allein leben wollte und pendle jeden Tag mit dem Zug von Halle nach Bielefeld.“ Mittlerweile ohne Unterstützung, lediglich der Blindenstock und Hund Milo sind dabei. &bdquo;Ich habe den Weg aber trainiert, mit der Hilfe meines Vaters, der mich dabei begleitet hat.“ An den meisten Tagen verbringt Schlingmann den Tag von 8 bis 20 Uhr in der Universität. &bdquo;Blind zu kochen ist nicht so einfach, deshalb esse ich gerne in der Mensa.“ Außerdem benötigt der 19-Jährige für das Aneignen von Inhalten mehr Zeit als seine sehenden Kommilitonen. &bdquo;Weil ich durch die Blindenschrift langsamer lese und ja vor allem durch das Hören lerne.“ Am Computer nutzt Schlingmann eine sogenannte Braillezeile, ein Computer-Ausgabegerät, das Zeichen in Blindenschrift darstellt. &bdquo;Ansonsten nutze ich vor allem die Vorlesefunktion.“ Die Unterlagen seiner Dozenten erhält Schlingmann vor Vorlesungen und Seminaren, damit er sich vorbereiten kann. &bdquo;Und für Klausuren erhalte ich als Nachteilsausgleich mehr Zeit. Statt drei Stunden dauern meine Klausuren sechs Stunden.“ Zwei Studienassistenten als Unterstützung Unterstützt wird Schlingmann dabei von zwei Kommilitonen, die er als Studienassistenten anstellt und über den Landschaftsverband Westfalen-Lippe als Teil der Eingliederungshilfe pro Woche für jeweils 15 Stunden bezahlt. &bdquo;Sie bereiten zum Beispiel die Vorlesefolien unserer Dozenten so vor, dass ich sie mir vorlesen oder in Blindenschrift übersetzen lassen kann. Ich bin sehr dankbar, dass die beiden mich so gut unterstützen und auch noch vom Fach sind, da sie auch beide Jura studieren.“ Die beeindruckenden Leistungen des 19-Jährigen sowie sein Engagement als Presbyter in der evangelischen Kirchengemeinde Halle und in der Schwerbehindertenvertretung an der Universität Bielefeld beeindrucken nicht nur Dozenten und Kommilitonen, sondern auch die Stiftung Studienfonds OWL. So zählt Schlingmann seit Herbst 2022 zu den Stipendiaten der Stiftung, die aktuell mithilfe von Spenden und Mitteln des Bundesforschungsministeriums mehr als 500 Studenten an den fünf Hochschulen in der Region über das Programm &bdquo;Deutschlandstipendium“ fördert. Die Stipendiaten erhalten 3.600 Euro im Jahr und können an dem ideellen Förderprogramm teilnehmen. Blinder Richter in Münster als Vorbild &bdquo;Ich bin sehr froh über die Förderung, denn dank der monatlich 300 Euro muss ich mir weniger Sorgen machen. Das ideelle Förderprogramm hat für mich aber einen ebenso hohen Wert, weil ich dadurch Teil einer tollen Gemeinschaft bin und sehr gut Kontakte zu Unternehmen und anderen Förderern knüpfen kann.“ Davon hat Schlingmann auch schon häufiger profitiert. &bdquo;Ich hatte schon tollen persönlichen Austausch mit Juristen in Unternehmen und Kanzleien und hoffe sehr, dass es so weiter gehen wird.“ Für die Zukunft kann sich Schlingmann als Jurist viele Tätigkeitsfelder vorstellen, aktuell denkt er dabei vor allem an das Strafrecht. &bdquo;In Münster arbeitet der blinde Jurist Ulrich Badde als Vorsitzender Richter am Landgericht, es ist also alles möglich.“

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