OWL Crime - mit Podcast

Terror-Trio der RAF auf der Flucht: Wieso die Spuren nach OWL führen

In Löhne rauben sie einen Supermarkt aus, im Raum Bielefeld kaufen sie mehrere Fluchtfahrzeuge. Drei ehemalige RAF-Terroristen sind seit Jahrzehnten auf der Flucht. In dieser Podcast-Folge geht es um die Suche nach den Menschen, die zu den meistgesuchten Verbrechern Europas zählen.

Unter anderem mit Steckbriefen wie diesen suchen die Ermittler nach dem untergetauchten RAF-Trio. | © Lukas Brekenkamp

27.02.2024 | 28.02.2024, 15:08

Bielefeld/Löhne. Seine Zähne sind nicht wirklich gepflegt. Trotzdem grinst Ernst-Volker Staub breit auf einem Foto, das das Bundeskriminalamt (BKA) für die Fahndung öffentlich gemacht hat. Staub gehört zur RAF, einer linksextremistischen Terrororganisation, die seit den späten 1960er Jahren Dutzende Personen getötet hat. Ebenso zur RAF zählen Burkhard Garweg und Daniela Klette.

>>> Update: RAF-Terroristin Daniela Klette gefasst

Das Trio war Teil der sogenannten dritten Generation der Organisation, die sich in den 1990er Jahren auflöste. Am 20. April jährt sich die Selbstauflösung der linksextremistischen Terrorgruppe Rote Armee Fraktion (RAF) zum 25. Mal. Die letzte bekannte Aktion der RAF ereignete sich Ende März 1993: Gegen die JVA Weiterstadt bei Darmstadt kommt es zu einem Sprengstoffanschlag. Zwar werden keine Menschen verletzt, der Schaden an dem Gefängnis ist mit 90 Millionen D-Mark aber enorm. DNA-Spuren legen später nahe: Klette, Garweg und Staub könnten beteiligt gewesen sein.

Bis heute ist das Trio abgetaucht, verschwunden. Das Landeskriminalamt (LKA) in fahndet seit 2015 nach ihnen. "Versuchter Mord in Zusammenhang mit Raubüberfällen" steht auf dem Fahndungsplakat. Bis zu 80.000 Euro Belohnung wurden ausgelobt. Fortschritte gibt es kaum, obwohl die Kriminellen durchaus Spuren hinterlassen haben. Das Trio, da sind sich Ermittler sicher, lebt aktuell im Untergrund - finanziert durch Überfälle auf Geldtransporter oder Supermärkte haben sie genug Geld erbeutet, um mittlerweile knapp 30 Jahre unentdeckt zu überleben.

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Die Fakten zum Terror der RAF-Fraktion in Deutschland

Die RAF entsteht Anfang der 70er Jahre aus radikalisierten ehemaligen Mitgliedern der westdeutschen Studentenbewegung. Sie wähnen sich in einem revolutionären Krieg gegen ein kapitalistisches und imperialistisches Ausbeutungssystem.

Die führenden Köpfe der ersten RAF-Generation sind Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof. Erste Straftaten begeht die RAF ab 1970, darunter Banküberfälle. Den ersten Mord verübt sie 1971 an einem Hamburger Polizisten.

1972 wird Baader, Ensslin und Meinhof der Prozess gemacht und eine zweite Generation bildet sich. Die zweite Generation entführt Martin Schleyer, parallel bringen verbündete palästinensische Terroristen das Lufthansa-Flugzeug "Landshut" in ihre Gewalt - damit beginnt der "Deutsche Herbst".

Ab Mitte der 80er Jahre wird eine dritte Generation aktiv. Sie verlagert den Fokus wieder mehr auf Anschläge auf Repräsentanten des US-Militärs, 1985 gibt es bei einem Bombenanschlag auf eine US-Basis in Frankfurt am Main zwei Tote.

Im Jahr 1991 erschießt ein Scharfschütze der RAF das letzte Opfer, den Chef der Treuhandanstalt, Detlev Rohwedder. Ein Sprengstoffanschlag auf den Neubau eines Gefängnisses im hessischen Weiterstadt, im März 1993 ist ihr letztes Attentat, danach wird es still um die Gruppe.

Überfälle mit schweren Waffen

In Beschreibungen weisen die Ermittler explizit auf die schlechten Zähne von Ernst-Volker Staub hin. - © LKA Niedersachsen
In Beschreibungen weisen die Ermittler explizit auf die schlechten Zähne von Ernst-Volker Staub hin. | © LKA Niedersachsen

Zwölf Taten rechnet das LKA Niedersachsen dem Trio zu. Im Juli 1999 zum Beispiel sollen Staub, Klette und Garweg einen Geldtransporter in Duisburg überfallen haben. Im Dezember 2006 sollen die drei in einem Real-Markt in Bochum, 2009 in einem Marktkauf im ostwestfälischen Löhne (Kreis Herford) zugeschlagen haben. Ein paar Jahre später - Anfang 2015 - sollen sie im niedersächsischen Osnabrück einen Kaufland-Markt überfallen haben. Die Ermittler bezeichnen die Durchführung der Taten als "professionell", teils drohten die Täter mit schweren Waffen wie Sturmgewehren oder einer Panzerfaust.

Das Foto soll Burkhard Garweg zeigen. - © LKA Niedersachsen
Das Foto soll Burkhard Garweg zeigen. | © LKA Niedersachsen

Beispiel Löhne: Von dem Überfall kurz nach Ostern 2009 sollen nur wenige Kunden und Mitarbeiter etwas mitbekommen haben. Hauptbetroffen war damals eine Kassiererin, die gerade den Kassenraum betreten wollte. Als die Sicherheitstür geöffnet war, drängten zwei Maskierte die Frau in den Raum, bedrohten dort Mitarbeiterinnen und verlangten das Geld. Schließlich flüchteten sie in einem roten VW Golf II.

Ausgerechnet die vielen Fluchtautos des RAF-Trios spielen eine zentrale Rolle bei der Suche nach Klette, Garweg und Staub. Die Spuren führen dabei häufig nach OWL: Im Großraum Bielefeld kauften die Kriminellen mehrere ihrer späteren Fluchtfahrzeuge, die sie entweder am Tatort zurückließen oder nach der Flucht anzündeten.

Bielefeld und Porta Westfalica "von besonderem Interesse"

So auch am 29. November 2013: In Bielefeld kaufen die Kriminellen damals einen dunkelblauen VW Golf III. Im August 2014 soll das Fahrzeug bei einem Überfall auf einen Marktkauf in Elmshorn bei Hamburg genutzt worden sein. Bei ihren Käufen ging das RAF-Trio immer ähnlich vor: Sie reisten mit öffentlichen Verkehrsmitteln an.

Von Daniela Klette existieren nur ältere Bilder - dieses soll Mitte bis Ende der 80er Jahre entstanden sein. - © LKA Niedersachsen
Von Daniela Klette existieren nur ältere Bilder - dieses soll Mitte bis Ende der 80er Jahre entstanden sein. | © LKA Niedersachsen

Bei einer Probefahrt setzte sich der Käufer auf den Beifahrersitz, anschließend zahlte er in bar. Die Verkäufer mussten das Fahrzeug auf dem Grundstück des Händlers oder auf einem Parkplatz bereitstellen. Abgeholt wurde es nach Geschäftsschluss.

Im November 2014 kaufte das Trio in Bielefeld einen blauen VW Passat Kombi, den sie etwa zwei Monate später bei dem Überfall in Osnabrück nutzten. Im Dezember 2015 kaufen sie einen Ford Mondeo, wieder in Bielefeld, im März 2016 zudem einen Opel Corsa aus Porta Westfalica (Kreis Minden-Lübbecke).

Beide Autos sollen mit einem Überfall in Cremlingen im Juni 2016 im Zusammenhang stehen. Im April 2016 kaufen sie zudem wieder in Bielefeld einen dunkelblauen VW Polo. Diesen nutzten sie nur wenige Tage später bei einem Überfall auf einen Rewe-Supermarkt in Hildesheim. Es war eine der wenigen Taten, bei dem das Trio ohne Beute flüchten musste.

Auch wegen dieses Musters legen die Ermittler weiterhin einen Fokus auf OWL. Schon 2017 hieß es vom LKA Niedersachsen: "Die Gebiete um die Städte Bielefeld, Porta Westfalica und (...) Osnabrück sind für die Fahnder von besonderem Interesse. Hier dürften die Gesuchten besonders häufig gewesen sein."

Mittlerweile unter meist gesuchtesten Verbrechern

Die Ermittler gehen davon aus, dass Staub, Klette und Garweg unter falscher Identität leben. "Auch ein Aufenthalt im Ausland kann hier nicht ausgeschlossen werden", sagt ein Sprecher des LKA Niedersachsen. Genauer wolle er nicht werden – "aus ermittlungstaktischen Gründen."

Insgesamt haben die Ermittler 2.500 Hinweise erhalten, ohne Erfolg. Brisant: Ein Passant hatte vor dem Überfall 2016 in Cremlingen die Terroristen beim Ausspähen der Örtlichkeit, an der sie später einen Geldtransporter überfielen, erkannt. Die Polizei lag daraufhin auf der Lauer. Doch die schwer bewaffneten Täter tauchten erst auf, als die Polizei wieder abgezogen war - die Beamten hatten die Observation zu früh abgebrochen.

Mittlerweile steht das Trio auch auf einer Liste der meist gesuchtesten Verbrecher Europas. Seitdem gingen beim LKA weitere 100 Hinweise aus 14 Nationen ein. Der Sprecher bürokratisch: "Alle hier eingegangenen Hinweise führten bisher nicht zu einer Lokalisierung der Gesuchten."

Die Ziele und Entwicklung der RAF

Die "Rote Armee Fraktion” wird 1968 von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof gegründet und nennt sich eine terroristische linksextremistische Vereinigung. Wegen ihrer Gründungsmitglieder ist die Fraktion auch bekannt unter dem Namen "„Baader-Meinhof-Gruppe".

Ziel der Terror-Gruppe ist es, die politische und soziale Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich zu ändern. Ihre Mittel: terroristische Anschläge, Morde, Entführungen, Raubüberfälle. Die RAF zählt in ihrer Hochphase etwa 80 Mitglieder.

Die RAF ermordet laut Bundesanwaltschaft 34 Menschen. Bei Terroranschlägen sowie Schusswechseln etwa bei Festnahmeversuchen sterben unter anderem auch niederländische Grenzbeamte, deutsche Polizisten und Dienstwagenfahrer und eine Passantin. 26 Prozesse gegen führende Angehörige der RAF-Kommandoebene enden im Lauf der Jahrzehnte mit lebenslangen Haftstrafen, der letzte 1998.

1998 löst sich die von Baader, Meinhof und Ensslin gegründete Rote Armee Fraktion in Eigenregie auf.

Stadt Stammheim gilt als Symbolort der Linksterroristen

Die Stat Stammheim steht in besonderer Verbindung mit der Bekämpfung der RAF. 1977 werden Mitglieder der "ersten Generation” der RAFim Gerichtssaal in Stammheim wegen ihrer Taten zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Diese sollen sie in der JVA Stammheim absitzen – doch dazu kommt es nicht. 1976 und 1977 begehen die führenden Köpfe der RAF im Gefängnis in Stammheim Suizid.

Durch die Prozesse in Stammheim ist die Stadt zum Symbol für die Herausforderung des Rechtsstaates durch den Terrorismus geworden. Nun soll der Symbolort für Linksterroristen bald abgerissen werden.