Gefährdungspotenzial

Kriegswaffen in Haus der RAF-Terroristin Klette gefunden – Komplizen in Berlin vermutet

Jahrzehnte nachdem sich die RAF offiziell aufgelöst hat, gibt es einen Fahndungserfolg. Die Ermittler vermuten Klettes Komplizen in Berlin. Spuren des Trios führten bis nach OWL.

Die frühere Terroristin der Roten Armee Fraktion (RAF), Daniela Klette, ist heute 65 Jahre alt. | © Imago

01.03.2024 | 01.03.2024, 05:47

Berlin (dpa/AFP). Nach der Festnahme der früheren RAF-Terroristin Daniela Klette vermuten die Ermittler, dass sich ihre Komplizen Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg in Berlin aufhalten könnten. Das teilten das Landeskriminalamt Niedersachsen und die Staatsanwaltschaft Verden am Donnerstag mit. Das Landeskriminalamt intensiviere daher die Fahndung. In der Wohnung von Daniela Klette wurden am Mittwoch eine Granate entdeckt. Zudem wurden „schwere Kriegswaffen“ gefunden, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Verden am Donnerstag.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Zielfahnder des LKA Niedersachsen haben die frühere Terroristin der Roten Armee Fraktion (RAF), Daniela Klette, am Montagabend in Berlin festgenommen. Sie lebte mehr als 30 Jahre lang im Untergrund.
  • Die früheren RAF-Terroristen Ernst-Volker Staub (69) und Burkhard Garweg (55) halten sich vermutlich in Berlin auf. Das Landeskriminalamt Niedersachsen intensiviert nach eigenen Angaben vom Donnerstag die Fahndungsmaßnahmen in und um Berlin und geht aufgrund der Waffen- und Sprengmittelfunde von einem Gefährdungspotenzial für die Bevölkerung aus.
  • Klette, Staub und Garweg werden der sogenannten dritten Generation der Terrorgruppe zugeordnet. Ihnen wird Raub und versuchter Mord zur Last gelegt.

Was ist seit Montagabend passiert?

Klette wurde bereits am Montagabend in Berlin im Stadtteil Kreuzberg festgenommen. Die Festnahme erfolgte vor allem durch die Polizei aus Niedersachsen, die Berliner Polizei war nur als Unterstützung dabei. Klette leistete bei der Festnahme keinen Widerstand. Klettes Identität wurde unter anderem durch Fingerabdrücke eindeutig bestätigt. Seit Mittwochmorgen setzt die Polizei ihren Einsatz in der Wohnung von Daniela Klette fort.

Zudem wurde eine weitere verdächtige Person in Berlin festgenommen. Es handele sich um einen Mann im „gesuchten Alterssegment“, sagte der Präsident des Landeskriminalamts Niedersachsen, Friedo de Vries. Nach der Überprüfung der Identität des Mannes wurde jedoch am Mittwochmorgen klar, dass es sich nicht um Ernst-Volker Staub (69) oder Burkhard Garweg (55) handelt.

Der Mann wurde aus den polizeilichen Maßnahmen entlassen, wie das Landeskriminalamt Niedersachsen in Hannover mitteilte. Daher wird die Fahndung nun fortgesetzt. „Aktuell laufen die Auswertungen beim LKA und der Staatsanwaltschaft Verden“, sagte eine Sprecherin des niedersächsischen Innenministeriums am Mittwoch.

Die Handouts des Bundeskriminalamtes mit den gesuchten Ex-RAF-Terroristen Burkhard Garweg (l.-r.), Ernst-Volker Staub und Daniela Klette. - © Bka
Die Handouts des Bundeskriminalamtes mit den gesuchten Ex-RAF-Terroristen Burkhard Garweg (l.-r.), Ernst-Volker Staub und Daniela Klette. | © Bka

Der frühere Stuttgarter Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger hält es für wenig wahrscheinlich, dass die beiden weiter gesuchten Ex-RAF-Terroristen dem Fahndungsdruck nachgeben und sich freiwillig stellen. „Ich habe eine kleine Hoffnung“, sagte Pflieger, der in den 1980er-Jahren an mehreren RAF-Ermittlungen und Anklageschriften insbesondere gegen die erste und zweite Generation der Rote Armee Fraktion (RAF) beteiligt war. „Ich gehe aber eher davon aus, dass sie nach so langer Zeit mit falscher Identität versuchen werden, weiter verdeckt zu leben und zu agieren.“

Pflieger ist überzeugt davon, dass die früheren RAF-Terroristen ein Netzwerk von Helfern gehabt haben müssen. „Wir haben das bei allen RAF-Generationen erlebt, dass es jede Menge Unterstützer gab, die etwa Unterschlupf angeboten haben“, sagte Pflieger. „Manche Dinge wie Arztbesuche und andere Dinge des täglichen Lebens sind nur schwer zu erledigen ohne eine solche Hilfe. Es gab sicher Hilfe.“

Experte: RAF hält sich an Schweigegebot

Er rechnet nicht damit, dass Klette die Kronzeugenregelung in Anspruch nehmen wird, um Namen zu nennen. „Die Tradition der RAF zeigt, dass die Leute zu 99 Prozent versucht haben, das Schweigegebot einzuhalten“, sagte der Terrorexperte. „Ich habe die Sorge, dass sich Frau Klette daran hält.“ Dennoch sollte der Staat die festgeschriebene Kronzeugenregelung weiter offensiv anbieten, damit die früheren Terroristen ihre Geheimnisse offenbaren. „Es muss uns wichtig sein, die bislang offenen Fragen zu den Attentaten und Opfern zu beantworten“, sagte Pflieger. „Wenn wir kein Zugeständnis machen, werden wir die historische Wahrheit vielleicht nie erfahren.“

Der frühere Jurist erwartet zudem weitere Überfälle auf Geldtransporter: „Sie müssen ja von etwas leben, wenn ihnen das Geld ausgeht. Und dann machen sie halt von dem Gebrauch, was sie gelernt haben.“ Dabei werde der Druck auf sie steigen. Seit Jahrzehnten fahndet die Staatsanwaltschaft nach den früheren RAF-Terroristen Burkhard Garweg (55), Ernst-Volker Staub (69). Erst kürzlich wurde in einem Regionalzug ein Mann fälschlich unter dem Verdacht Staub zu sein, festgenommen.

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Was haben die Behörden bei der Wohnungsdurchsuchung gefunden?

Die Berliner Polizei setzt seit der Festnahme ihre Ermittlungen in dem Wohnhaus in der Sebastianstraße fort. Am Mittwochmorgen standen zunächst drei Mannschaftswagen der Berliner vor dem Gebäude. Der Hauseingang war weiterhin mit Flatterband abgesperrt, wie ein dpa-Reporter berichtete. Auch das Bundeskriminalamt unterstützt die Ermittlungen.

Bei der Durchsuchung der Wohnung fanden die Ermittler dem LKA zufolge bisher unter anderem Magazine einer Waffe und Patronen. Zudem sind Waffen gefunden worden. Das bestätigte am Mittwochabend eine Sprecherin des Landeskriminalamtes Niedersachsen.

Beamte tragen einen als gefährlich eingestuften Gegenstand, der einer kleineren Granate ähnelt, aus dem Wohnhaus. - © Paul Zinken
Beamte tragen einen als gefährlich eingestuften Gegenstand, der einer kleineren Granate ähnelt, aus dem Wohnhaus. | © Paul Zinken

Am Mittwochnachmittag war das Mietshaus wegen einer möglichen Gefahr geräumt worden. Alle Bewohner mussten ihre Wohnungen verlassen, der Gehweg vor dem Haus und einem Nachbarhaus wurde gesperrt. Die Polizei hat anschließend einen Gegenstand herausgetragen, der einer kleineren Granate ähnelte. Ein Beamter vom Kampfmittelräumdienst verstaute den Gegenstand am Mittwochabend in einem Auto in einer Sicherheitskiste, wie ein dpa-Reporter beobachtete.

Wie die Berliner Polizei bestätigt, handelt es sich bei dem Fund um eine Granate. „Es sieht aus wie eine Mörsergranate, ist aber keine, kommt dem aber ganz nah“, sagte ein Polizist dazu. Sie wurde an einem sicheren Ort unschädlich gemacht.

In der Nacht zu Donnerstag und am frühen Donnerstagmorgen wurden weitere gefährliche Gegenstände aus dem Haus transportiert. Dabei handelt es sich um „schwere Kriegswaffen“. Das bestätigte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Verden am Donnerstag.

Damit ist die Wohnungsdurchsuchung nach Angaben der Polizei abgeschlossen. Die Bewohnerinnen und Bewohner sind am Donnerstagvormittag wieder in ihre Wohnungen zurückgekehrt.

Wer ist die RAF und was wird dem Trio vorgeworfen?

Die linksextremistische Vereinigung Rote Armee Fraktion (RAF) galt in der Bundesrepublik über Jahrzehnte als Inbegriff von Terror und Mord. Insgesamt ermordete die RAF mehr als 30 Menschen, mehr als 200 wurden verletzt.

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Klette wird zur dritten Generation der linksextremistischen Rote Armee Fraktion (RAF) gezählt. Vertreter der Generation sollen den damaligen Chef der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, und den Treuhand-Chef, Detlev Karsten Rohwedder, umgebracht haben. Das RAF-Kommando hatte ihn aus einer Kleingartenlage und mehr als 60 Metern Entfernung ins Visier genommen. Es war der letzte RAF-Mordanschlag.

Klette selbst steht nach dpa-Informationen im Verdacht, an einem Schusswaffen-Angriff auf die US-Botschaft in Bonn 1991 beteiligt gewesen zu sein. Vermutet wird außerdem eine Beteiligung an einem Sprengstoffanschlag auf die Justizvollzugsanstalt Weiterstadt 1993. Spuren deuten darauf hin, dass sie auch bei der Anti-Terror-Aktion 1993 im mecklenburgischen Bad Kleinen am Tatort war. Bei der Aktion starben damals der Polizist Michael Newrzella und der RAF-Mann Wolfgang Grams. Die frühere RAF-Terroristin Birgit Hogefeld wurde verhaftet.

Die Behörden werfen Garweg, Staub und Klette zudem versuchten Mord und eine Serie schwerer Raubüberfälle zwischen 1999 und 2016 vor. Tatorte waren unter anderem Osnabrück, Wolfsburg und Stuhr in Niedersachsen sowie Hagen und Bochum-Wattenscheid in Nordrhein-Westfalen. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die Überfälle nicht politisch motiviert waren. Die Beschuldigten sollen die Taten begangen haben, um an Geld zu gelangen.

Nach dem Fahndungserfolg am Montag ist in Hamburg am linksautonomen Kulturzentrum Rote Flora ein Solidaritätsbanner angebracht worden. In Bezug auf Klette sowie die beiden ehemaligen RAF-Mitglieder Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg war darauf am Mittwoch zu lesen: „Solidarität mit Burkhard Daniela Volker“. Außerdem standen dort die Zeilen „Wir stehen zusammen!“ und „Für Euch Gesundheit & Glück!“.

Tatorte in NRW: Warum führen die Spuren nach OWL?

Im Zuge der Raubstraftaten zwischen 1999 und 2016 könnte es eine Verbindung nach OWL geben: Kurz nach Ostern 2009 sollen die drei Gesuchten in Löhne im Kreis Herford einen Marktkauf überfallen haben.

Auch die Suche nach den Fluchtautos führte nach OWL: Im Großraum Bielefeld kauften die Kriminellen mehrere ihrer späteren Fluchtfahrzeuge, die sie entweder am Tatort zurückließen oder nach der Flucht anzündeten.

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Daniela Klette wurde gefasst

Wie kamen die Ermittler der 65-Jährigen auf die Schliche?

Die entscheidenden Informationen, die zur Festnahme führten, hatten sich aus Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Verden und des LKA Niedersachsen ergeben. „Dies ist ein bedeutender Erfolg für die gemeinsame Ermittlungsarbeit von Staatsanwaltschaft Verden und LKA Niedersachsen. Es ist den Fahnderinnen und Fahndern des LKA gelungen, jahrelang die vielen Hinweise zu filtern, zu bewerten und immer wieder in polizeiliche Maßnahmen umzusetzen“, sagte der Präsident des Landeskriminalamts Niedersachsen, Friedo de Vries, bei einer Pressekonferenz.

Nach einem Fernsehaufruf in der ZDF-Sendung Aktenzeichen XY waren rund 250 Hinweise eingegangen waren. Dies hätten jedoch nicht zur Festnahme beigetragen, da diese sich weiterhin in der Auswertung befänden. Neben Ernst-Volker Staub (69) und Burkhard Garweg (55) gehörte auch Daniela Marie Luise Klette zu den Gesuchten.

Wie hat Klette vor ihrer Festnahme gelebt?

Nach Angaben des „Redaktionsnetzwerks Deutschland“ habe Klette im Anschein der Normalität in Berlin gelebt. Im fünften Stock eines Mehrfamilienhauses wohnte sie 20 Jahre. Sie habe Schülern Nachhilfe in Mathematik gegeben und zu Weihnachten Kekse verschenkt, berichtete ein Nachbar. Klette habe eher oberflächliche Kontakte zur Nachbarschaft gepflegt und lebte unter dem Vornamen Claudia.

In diesem Wohnhaus lebte die frühere RAF-Terroristin Daniela Klette in Berlin bis zu ihrer Festnahme. - © dpa
In diesem Wohnhaus lebte die frühere RAF-Terroristin Daniela Klette in Berlin bis zu ihrer Festnahme. | © dpa

Eine Jugendliche aus der Nachbarschaft berichtet gegenüber der dpa: „Sie hat immer Hallo gesagt und war eigentlich ganz nett. Ich habe sie immer nur alleine gesehen, mit ihrem Hund und ihrem Fahrrad.“ Vor dem großen Hund der 65-Jährigen habe die junge Frau etwas Angst gehabt. Klette selbst sehe ganz freundlich aus, trage die grauen Haare zum Zopf gebunden, sei aber nie in Begleitung gewesen, schildern mehrere Anwohner.

Wo ist Daniela Klette jetzt?

Die 65-Jährige sitzt inzwischen in Untersuchungshaft. Klette sei nun in einer Justizvollzugsanstalt, sagt der Leiter der Staatsanwaltschaft Verden, Clemens Eimterbäumer. Laut LKA wurde sie am Dienstag mit einem Hubschrauber nach Bremen geflogen und von dort aus weiter zum Amtsgericht Verden gebracht.

Bei ihrer Vorführung beim zuständigen Ermittlungsrichter am Amtsgericht Verden habe Klette sich nicht zur Sache geäußert, sagte eine Sprecherin des niedersächsischen Justizministeriums. Es bleibe abzuwarten, ob sie sich im Laufe der nächsten Tage und Wochen einlassen werde.

Die niedersächsischen Behörden äußerten sich zunächst nicht zu der Frage, in welche Justizanstalt Klette gebracht wurde. Eine Sprecherin des Justizministeriums führte Sicherheitserwägungen an. Sie wollte sich auch nicht dazu äußern, ob Klette etwa in Einzelhaft sitze. Sie habe auch keine Erkenntnisse, ob Klette zur Bundesanwaltschaft nach Karlsruhe gebracht werden sollte.

Was erwartet die RAF-Terroristen?

Gemeinsam mit dem LKA Niedersachsen muss die Staatsanwaltschaft Verden die Verdachtshypothesen überprüfen und zeitnah entscheiden, ob und in welchen Fällen Anklage zu erheben ist. Dazu muss insbesondere das umfangreiche Beweismaterial bewertet werden. Die Beschuldigte hat nun die Möglichkeit, ihre Sicht der Dinge zu schildern, sagt Eimterbäumer. Die Raubstraftaten der Ex-RAF-Terroristin seien laut dpa nicht verjährt.

Wie reagieren Betroffene?

Der jüngste Sohn des ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer hat erleichtert auf die Festnahme der ehemaligen RAF-Terroristin Daniela Klette reagiert, aber deutliche Kritik an den Behörden geäußert. „Die Tatsache, dass eine RAF-Terroristin 20 Jahre vom Verfassungsschutz unentdeckt und unbehelligt mitten in Berlin leben kann, ist mir unheimlich“, sagte Jörg Schleyer (70) der „Bild“. Diesen Umstand müsse nun die Politik untersuchen und über Konsequenzen „nachdenken“.

Aus Sicht von Michael Buback, Sohn des 1977 von der terroristischen Roten Armee Fraktion (RAF) ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback, findet die Geschichte des Terrorismus in Deutschland kaum öffentliche Aufmerksamkeit. „Die Erinnerung an die RAF spielt keine besondere Rolle im kollektiven Gedächtnis, auch nicht in Schulbüchern“, sagte der 79-Jährige dem „Tagesspiegel“ in Berlin.

Auf die Frage nach einem Gedenktag sagte er: „Als Betroffener des Terrors sollte ich dies nicht besonders beanstanden und auch keinen Gedenktag fordern. Angesichts der sicher manchem noch gegenwärtigen, erheblichen Bedrohung des Staates ist die wenig engagierte Befassung mit dem Phänomen RAF allerdings etwas besorgniserregend.“