"Skandalöses Millionengrab": Pflegekammer in NRW startet trotz viel Kritik

Düsseldorf. Das Land NRW hat jetzt offiziell eine Pflegekammer. Die rund 220.000 Pflegekräfte im Land müssen Mitglied in dem Gremium werden, das Interessen bündeln und der Pflege eine starke Stimme verleihen soll. Doch die Kritik bleibt groß, was sich auch an einer sehr geringen Wahlbeteiligung zeigt. Das wirft die Frage auf, wie groß die Legitimation für die Pflegekammer überhaupt ist. Von den rund 220.000 Pflegekräften in NRW haben sich bislang erst 102.000 registriert, obwohl dies verpflichtend ist. An der Wahl der Kammerversammlung hatten sich vor einigen Wochen nur 22.000 Pflegekräfte beteiligt, was rund zehn Prozent entspricht. Und: 25 der insgesamt 60 Sitze der Kammerversammlung sind an Kammerkritiker gegangen. Die SPD fordert deshalb eine Urabstimmung, also eine erneute Befragung aller Pflegekräfte, ob sie eine Kammer wollen. Die SPD-Abgeordnete Christina Weng kritisiert, dass an einer Befragung Ende 2018 nur 1.500 Pflegende teilgenommen hatten. &bdquo;Die Entstehungsgeschichte der Pflegekammer in NRW stand von Anfang an unter einem schlechten Stern. Ihre geringe Legitimation bietet bis heute immer wieder Anlass für Ärgernis", meint der SPD-Abgeordnete Thorsten Klute. Land übernimmt Anschubfinanzierung von 32 Millionen Euro Auch Pflegekräfte wie der Bielefelder Krankenpfleger Ulrich Sigrist üben seit Beginn der Planungen immer wieder Kritik. Sie glauben nicht, dass die Kammer die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern kann, da man im Gemeinsamen Bundesausschuss über kein Stimmrecht verfüge. Sigrist und weitere Kritiker wie Pflegerin Sandra Klünter monieren im Gespräch mit dieser Redaktion, dass sie in der Kammer verpflichtend Mitglied werden und einen monatlichen Beitrag zahlen müssen. "Die Kammer kann nichts für uns tun", glaubt Sigrist. Die Landesregierung hatte auf die Kritik zwischenzeitlich reagiert und den Start verschoben. Außerdem übernimmt das Land bis 2027 den Mitgliedsbeitrag, der nach Angaben der Organisatoren vorerst fünf Euro pro Monat beträgt. Insgesamt 32 Millionen Euro steuert das Land als Anschubfinanzierung bei. Während der Bund der Steuerzahler in NRW von einem "skandalösen Millionengrab" und einer "Steuerverschwendung nach Plan" spricht, zeigt sich inzwischen auch die FDP skeptisch. Die Liberalen hatten bis Mai als Teil der damaligen Landesregierung noch für die Kammer plädiert, doch jetzt sind auch sie dafür, dass der Plan "kritisch hinterfragt" werde. Die FDP bringt eine freiwillige Mitgliedschaft ins Spiel. "Eine Durchsetzung der Pflichtmitgliedschaft um jeden Preis wäre hingegen im Vorhinein zum Scheitern verurteilt", sagt die sozial- und gesundheitspolitische Sprecherin Yvonne Gebauer. Laumann: Pflegekammer "genau das Richtige" Angesichts der Kritik schien den Verantwortlichen bei der Konstituierung der Kammer am Freitag nicht so recht nach Feiern zumute. "Die Wahlbeteiligung hätten wir uns höher gewünscht", räumte die Vorsitzende des Errichtungsausschusses, Sandra Postel, ein. Die aktuelle Situation führen sie und ihre Vorstandskollegen vor allem auf fehlende Informationen unter den Pflegenden zurück. Es entstehe Widerstand aus Unwissen heraus. "Wir stellen fest, wie wenig unser Berufsstand aktuell organisiert ist", sagte Postel. Vorstandskollege Ludger Risse betonte, dass sich die anfängliche Skepsis vieler Kollegen "doch anders darstellt", sobald diese in Ruhe über Hintergründe informiert würden. Viele Zweifel seien durch Fehl- oder Halbinformationen begründet. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) bezeichnete die Kammer als Instrument zur Selbstverwaltung von beruflichen Interessen. Eine Pflegekammer sei "genau das Richtige", damit sich die Profession selber weiterentwickele. "Es kommt darauf an, dass Pflege über sich entscheidet. Sie sitzt in wichtigen Gremien bislang häufig nicht mit am Tisch. Das wird sich jetzt grundlegend ändern", sagte Laumann. Auf die Frage nach einer Urabstimmung antwortete er, dass die Kammer in NRW auf einem "demokratisch legitimierten Vorschlag" des Landtags beruhe. Mehr Legitimation könne er sich eigentlich nicht vorstellen. Wie das Gremium nach 2027 finanziert werden solle, müsse dann der Landesgesetzgeber entscheiden. "Zu einer Eigenverantwortlichkeit gehört am Ende auch eine Eigenfinanzierung", sagte Laumann. So wie der Minister sieht auch Postel aktuell "keine Alternativen" zu einer Pflegekammer, um die Anliegen der Pflegekräfte zu stärken.

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