Infektwelle: Wann Kinder in Arztpraxis oder Notaufnahme gehören

Bielefeld. Die Situation in den Kinderarztpraxen und den Notaufnahmen in der Region ist ernst, die Überlastung groß. Das hängt auch damit zusammen, dass viele Kinder zur Untersuchung gebracht werden, deren Zustand nicht bedrohlich ist. Im Ansturm fehlt dann Zeit und Kapazität, um die Kinder herauszufiltern, die wirklich umgehend medizinische Versorgung brauchen. Marcus Heidemann, Vorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Westfalen-Lippe, Eckard Hamelmann, Ärztlicher Direktor des Kinderzentrums im Evangelischen Klinikum Bethel und Sebastian Gaus, Leitender Arzt in der Notaufnahme des Kinderzentrums, erklären hier deshalb ganz genau, wann Kinder in einer Praxis oder Notaufnahme vorgestellt werden sollten. Ab wann zum Kinderarzt "Ein Kind, das zum Kinderarzt gehört, ist in der Regel deutlich sichtbar krank", sagt Pädiater Marcus Heidemann. Zu den Anzeichen dafür gehörten zum Beispiel extreme Schlappheit, Schläfrigkeit oder starke Schmerzen, die nicht mit einem leichten Schmerzmittel behandelbar seien. "Kinder, um die man sich deutlich Sorgen machen muss, reagieren zum Beispiel weniger auf Ansprache und Reize, sind schläfrig und schwer zu wecken, sie sind benommen oder haben Bewusstseinsprobleme." Deshalb sei es auch problematisch, anhaltendes Fieber als Symptom zu benennen. "Es gibt Kinder, die sind mit 40 Grad relativ fit, spielen, lachen, trinken gut. Und es gibt Kinder, die sind schon bei 38 Grad in einem schlechten Zustand. Die Temperatur sagt nichts aus, wichtig ist: Wie ist das Kind drauf." Weitere Warnsignale sind laut Heidemann starke Blässe bei Säuglingen, Kreislaufprobleme, Nackensteifigkeit bei Fieber und anhaltende Verweigerung oder Unvermögen, zu trinken. "Und natürlich muss ein Kind, das verletzt ist, stark blutet, oder sich wegen einer Verletzung nicht mehr richtig bewegen kann, ebenfalls zum Arzt." Problematisch ist in den Augen des Kinderarztes derzeit die große Ängstlichkeit von Eltern. "Wir haben sehr viele Situationen, in denen die Eltern kommen, um sicherzugehen, dass ein Kind, das lediglich erkältet, aber ansonsten fit ist, nichts verschleppt. Oder die kommen, weil sie denken: Falls es sich verschlechtert, dann müssen wir am Wochenende nicht los in die Notaufnahme. Oder, um zu fragen, ob sie nicht doch noch mehr Hustensaft geben sollen. Und für diese ,Auf-Nummer-sicher'-Besuche haben wir keine Kapazitäten mehr. Dafür warten Kinder länger, die sofort Hilfe bräuchten." Ab wann in die Notaufnahme Hier gehören Kinder und Jugendliche hin, die Notfälle sind. Deren Zahl hat nach Aussage von Eckard Hamelmann, Ärztlicher Direktor des Kinderzentrums am Evangelischen Klinikum Bethel (EvKB) in Bielefeld, dramatisch zugenommen. "Wir müssen die Notaufnahme daher wieder stärker für ,echte' Notfälle frei halten." Aus diesem Grund hat er gemeinsam mit seinem Kollegen Sebastian Gaus, Leitender Arzt in der Notaufnahme am EvKB, eine Liste mit Symptomen und Verletzungen erstellt, die als solche Notfälle gelten. "Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und kann nicht die individuell notwendige ärztliche Einschätzung ersetzen." Dennoch sei es wichtig, Eltern zu vermitteln, dass nicht jeder einfache Infekt ärztlich gesehen oder sogar in einer Kindernotaufnahme vorgestellt werden müsse. Zu den Symptomen und Verletzungen, mit denen Kinder und Jugendliche in die Notaufnahme oder ins Kinderzentrum gehören, gehören laut Hamelmann Knochenbrüche und Verletzungen mit Schädelbeteiligung, dazu Wunden, die versorgt werden müssen oder bei denen die Blutung gestillt werden muss. Hinzu kommen Verbrühungen und Verbrennungen oder der Fall, wenn ein Kind einen Fremdkörper verschluckt hat. "Außerdem gehören hier Kinder her, bei denen kurz nach einer Operation Probleme auftreten." Grundsätzlich sollten zudem Kinder in die Notaufnahme gebracht werden, die Bewusstseinsstörungen aufweisen, Wesensveränderungen oder Krampfanfälle haben. Auch akute Atemnot, ausgeprägte allergische Reaktionen, stärkste Schmerzen zum Beispiel in Kopf, Bauch oder am Nacken sollten vorgestellt werden. Säuglinge unter drei Monaten sollten bereits dann gebracht werden, wenn sie länger als zwei Tage fiebern. Bei Jungen seien Hodenschmerzen ein Alarmzeichen. "Wichtig ist bei allen Kindern auch, auf Nüchternerbrechen zu achten", so Sebastian Gaus. Gemeint ist damit das Erbrechen ohne vorherige Nahrungsaufnahme. Grundsätzlich, so Hamelmann, führe die aktuelle Situation zu einer massiven Überlastung in den Kindernotaufnahmen. "In deren Folge wird es trotz geübter Ersteinschätzungssysteme immer schwieriger, das aus ärztlicher Sicht wirklich kranke Kind herauszufischen, das einer stationären Behandlung bedarf."

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