"Der Ausbau der Windkraft in OWL hat ganze Ortschaften gespalten"

Herr Tschischke, Herr Fietz. Sie engagieren sich ehrenamtlich im Landesverband Vernunftkraft NRW, der sich für einen gemäßigten Ausbau der Windenergie ausspricht. Kennen Sie eigentlich den Nimby-Vorwurf, der so viel bedeutet wie: Windkraft ja, aber bitte nicht in meiner Nachbarschaft? Ralf-Peter Fietz: Sie meinen das St.-Florian-Prinzip, also, dass Menschen für Windkraft sind, aber davon nichts mehr wissen wollen, sobald die Anlagen in der Nähe ihres Vorgartens stehen? Ja, das Argument habe ich schon mehrfach gehört. Ich kann verstehen, dass Menschen keine Windräder in der Nähe ihrer Gärten haben wollen. Wir setzen uns nicht nur für uns selbst ein, sondern für eine vernünftige und rücksichtsvolle Planung und Installation der Windkraft grundsätzlich, überall im Land. Was stört Sie denn an Windenergie? Fietz: Windräder haben viele negative Begleiterscheinungen: Die Größe ist erschlagend, neue Anlagen sind mittlerweile schon 250 Meter hoch. Hinzu kommen der Schlagschatten durch die Flügel und der Lärm sowie Infraschall. Windkraft kann auf Dauer krank machen. Ich bin auch der Meinung, dass dadurch der Wert der Immobilie sinkt. Vor diesem Hintergrund ist die geplante Aufhebung der 1.000 Meter Abstandsregelung in NRW eine unglaubliche Zumutung für die nahen Anwohner, die Politik macht es sich da sehr einfach, mehr Platz für die Windkraft zu finden. Aber wird nicht gerade jetzt deutlich, wie wichtig der Umstieg auf erneuerbare Energien und damit Windkraft ist? Tschischke: Doch, das ist absolut richtig. Aber mich stört, dass im Land keine technologie-offene Diskussion geführt wird. Windkraft ist eine volatile Energieform. Sie steht nicht immer zur Verfügung, sondern nur, wenn der Wind weht. Sie ist also unzuverlässig. Sie muss gespeichert werden und das Netz ist dafür überhaupt nicht ausgelegt. Und wenn zu viel Wind weht, werden Windräder abgestellt und Leistung geht verloren. Deshalb kann ich nicht nachvollziehen, dass die NRW-Regierung das Ziel von 1.000 neuen Windrädern in fünf Jahren ausgibt. Das macht keinen Sinn, weil man nicht weiß, wie viel Leistung damit tatsächlich verbunden ist. Aber genau darum muss es doch gehen: Um ausreichend Leistung und nicht um Flächen- und Stückangaben. Dann können Sie sicher Gegenvorschläge machen, wie wir unsere Energie stattdessen gewinnen, oder? Tschischke: Es gibt in Deutschland eine Reihe Möglichkeiten, um Energie zu erzeugen. In Frage kommen Geothermie, also Erdwärme, die zum Beispiel Warmwasser erzeugt. Wir haben eigene Ressourcen in der Erde wie Schiefergas und wir könnten stärker auf Photovoltaik setzen, die aber auch besonders für Privatpersonen besser gefördert werden muss, besonders was die Einspeisevergütungen angeht. Aber auch das Thema Kernenergie, besonders der vierten und fünften Generation, wie &bdquo;Dual-Fluid“, sollte Berücksichtigung finden, da es eine sehr saubere und umweltfreundliche Energie ist. Lehnen Sie Windenergie denn persé ab? Tschischke: Nein. Windkraft eignet sich hervorragend als ergänzende Energieform, aber sie darf und kann nicht der alleinige Motor sein. Und sie muss mit Augenmaß ausgebaut werden. Das ist in unserer Region nicht der Fall. Sie meinen den Kreis Paderborn, wo aktuell rund 550 Anlagen stehen. Kaum ein anderes Gebiet liefert so viel Windenergie. Ist das nicht eigentlich eine gute Nachricht, auf die man stolz sein kann? Fietz: Nein, auf keinen Fall. Der südliche Raum von OWL ist unverhältnismäßig stark von Windkraft betroffen. Die Planungen haben immer wieder zu viel Protest geführt und Ortschaften gespalten. Aber am Ende hat sich die Windkraft-Lobby durchgesetzt. Wie stellt sich der Protest heute dar? Sind Sie Einzelkämpfer? Tschischke: Er ist noch vorhanden, vor allem dann, wenn neue Anlagen genehmigt werden sollen. Aber im Laufe der Jahre ist der Widerstand leider mächtig abgeebbt. Es handelt sich inzwischen um einen stillen Protest, mit der Faust in der Tasche. Fietz: Die Leute sind oftmals lethargisch, nur wenige sind so motiviert wie wir. Aber viele sind dennoch gegen zu viel Windkraft. Wenn wir mit Leuten vor Ort sprechen, äußern sie Unmut über Windräder, aber das machen sie nur selten laut und öffentlich. Viele sind auch nicht bereit, aktiv zu werden und sich zu engagieren. Sie klopfen uns dann eher auf die Schultern und animieren uns dazu, weiterzumachen. Hat der Protest nicht auch deshalb nachgelassen, weil Anwohner inzwischen in Form von Bürgerwindparks an den Windkraft-Erlösen beteiligt werden können? Fietz: Das hängt davon ab, wie stark sie von Windkraft betroffen und mit wie viel Geld sie an Bürgerwindparks beteiligt sind. Für Grundbesitzer und Betreiber ist Windkraft eine Lizenz zum Gelddrucken. Es wird ein großer Druck erzeugt. Aber ich finde, dass man Akzeptanz nicht kaufen kann. Tschischke: In den mir bekannten Bürgergesellschaften sind vor allem große Landwirte und Rechtsanwälte vertreten. Die Frage ist ja: Wer kann es sich leisten, dort zu investieren? Damit werden vielleicht zwei bis drei Prozent der Bevölkerung erreicht, also jemand, der im Monat 500 bis 1.000 Euro übrig hat. Aber nicht der &bdquo;normale Bürger“. Ist Ihre Kritik lösungsorientiert? Wie müsste die Windenergie denn Ihrer Meinung nach gestaltet werden? Tschischke: Eine Lösung liegt im Repowering, bei dem alte Anlagen durch neue ersetzt werden. Ein Gutachten hat ergeben, dass neueste Windkraftanlagen in bis zu 300 Metern Höhe die zwei- bis dreifache Windgeschwindigkeit abdecken. Das heißt, dass dort 8- bis 27-mal so viel Strom gewonnen werden kann. Das kann ein Weg sein, um die Windkraft zu stärken, aber nicht, indem immer weitere Flächen ausgewiesen werden, die wir zum Beispiel als landwirtschaftliche Flächen nutzen könnten. Können Sie das Repowern konkretisieren? Tschischke: Eine repowerte Anlage ersetzt von der Leistung ungefähr drei bis fünf alte Anlagen. Für den Kreis Paderborn würde das bedeuten, dass dort künftig nicht mehr 550, sondern knapp 200 Anlagen stehen würden. Damit könnten wir leben. Das wäre erträglich, solange die Abstände zur Wohnbebauung passen. Wir fordern 5 H, also die fünffache Höhe eines Windrads. Das wären bei neuen Anlagen knapp 1.300 Meter. Nimmt die Landespolitik Sie wahr und ernst? Fietz: Wir werden hier und da gehört. Aber vor allem die Grünen wollen sich nicht mit uns befassen, wir kommen kaum an sie heran – entgegen ihrer Ankündigungen im Wahlkampf. Bei der CDU und FDP ist das oft anders, deren Vertreter unterhalten sich wenigstens mit uns. Was wünschen Sie sich? Tschischke: Ich wünsche mir Rücksichtnahme auf die Anwohner und Natur und eine ganzheitliche, sinnvolle Planung für eine saubere Energieplanung der Zukunft. Immer neue Windräder können allein nicht die Lösung sein. Hier muss es eine technologie- offene Diskussion geben. Nur so können verschiedene Energieformen miteinander abgewogen werden, was in der Vergangenheit leider nicht stattgefunden hat.

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