Neue Vorwürfe nach Serienvergewaltigung an Bielefelder Klinik

Bielefeld. Lange Zeit ahnte keine der betroffenen Frauen, dass sie Opfer eines Serienvergewaltigers geworden ist. Doch mittlerweile herrscht bei vielen Gewissheit: Sie wurden während ihres Aufenthalts am Evangelischen Klinikum Bethel betäubt und missbraucht. Ein Fall, der ganz Deutschland schockt. Noch immer. Was hat sich seitdem getan? Der September 2020 verändert das Leben vieler Menschen schlagartig. Es wird bekannt, dass gegen den Arzt Philipp G. ermittelt wird. Die Vorwürfe schockieren: Er soll zwischen 2019 und 2020 gleich mehrere Frauen in ihrem Klinikbett mit dem Medikament Propofol betäubt haben, um sie dann zu vergewaltigen. Zudem filmte der damals 32-Jährige seine Taten. G. wird verhaftet und in Untersuchungshaft gebracht. Kurz darauf tötet er sich in seiner Zelle selbst. Was bleibt, ist der Fall eines Serienvergewaltigers - vielleicht einer der größten Fälle Deutschlands. Und noch immer gibt es Vorwürfe, die im Raum stehen.Für die Opfer des Vergewaltigers bedeuten die Ermittlungen allerdings den Beginn eines Martyriums. Weil Philipp G. mittlerweile tot ist, werden die Ermittlungen eingestellt. Auch gegen Klinik-Verantwortliche wegen einer möglichen Beihilfe zur Vergewaltigung durch Unterlassung wird nicht weiter vorgegangen. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm beschäftigt sich mehrere Monate mit dem Fall, stellt die Ermittlungen aber später ein.Zudem entscheidet sich die Bielefelder Staatsanwaltschaft, die Opfer nicht zu informieren. Dabei sind viele bereits identifiziert - durch die Videoaufnahmen, die in Philipp G.s Wohnung gefunden wurden. Die Staatsanwaltschaft argumentiert mit dem Opferschutz. Staatsanwaltschaft Duisburg übernimmt Ermittlungen "Unverständlich", kommentiert Stefanie Höke heute. Die Anwältin vertritt acht Opfer des Arztes, die von ihrem Schicksal wissen. "Die Staatsanwaltschaft berief sich in ihrer Entscheidung auf die Aussage von Traumatherapeuten, die sagen, man solle die Opfer lieber nicht informieren", berichtet die Anwältin weiter. "Auch wir haben mit verschiedenen Traumatherapeuten gesprochen. Doch die haben das Gegenteil gesagt."Schließlich nimmt die Staatsanwaltschaft Duisburg den Fall an sich - auf Anordnung des NRW-Justizministeriums. Die Ermittlungen gegen Klinikmitarbeiter sollen wieder aufgenommen werden. Eine Sprecherin des Ministeriums begründet das damit, dass "eine bislang nicht mit dieser Angelegenheit befasste Behörde" eine unvoreingenommene Prüfung der rechtlichen und tatsächlichen Fragen vornehmen solle. Man habe die Sorge gehabt, dass "die Generalstaatsanwaltschaft Hamm die gebotene Unvoreingenommenheit und Distanz in dieser Angelegenheit hatte vermissen lassen und auch perspektivisch womöglich nicht in der Lage war, ihre diesbezüglichen Aufgaben unbefangen wahrzunehmen." Ungewöhnlich sei dieses Vorgehen aber nicht."Die Frauen leiden an den Folgen" Die Staatsanwaltschaft Duisburg entscheidet sich dazu, alle Opfer zu informieren. Mehr als 30 Frauen wurden identifiziert. Doch wie geht es den Opfern? "Meine Mandantinnen sind froh, informiert worden zu sein", sagt Anwältin Stefanie Höke. "Aber die Frauen leiden an den Folgen." Da gebe es eine junge Frau, die nach ihrer Vergewaltigung, für die sie von dem Arzt betäubt wurde, keine Nähe mehr zugelassen hat. "Das ging so weit, dass sie sich von ihrem langjährigen Freund getrennt hat", sagt die Anwältin. Lange Zeit war nicht klar, woher dieses Trauma kommt. Bis sie von der Bielefelder Kriminalpolizei über ihre Vergewaltigung informiert wird. Mittlerweile befindet sie sich in Therapie.Eine andere Frau habe regelmäßig "Flashbacks", berichtet die Anwältin. Sie leide an Albträumen. Immer wieder sehe sie dabei einen Arzt vor sich. Nie sei ihr klar gewesen, woher diese Träume kommen. Bis jetzt. Frauen mit Geschlechtskrankheiten infiziert? Und da gebe es eine Frau, die mittlerweile an Geschlechtskrankheiten leidet. Eben diese Krankheiten wurde nach seinem Tod bei Philipp G. festgestellt. "In einer standardisierten Abfrage wird die Krankheit nicht erkannt. Erst, als sich meine Mandantin auf genau diese hat testen lassen, wurde klar, dass sie sich angesteckt hatte", so die Anwältin weiter. Eine mögliche Folge der Krankheit ist die Unfruchtbarkeit - laut Experten sei das selten. "Wir haben Strafanzeige gegen die Staatsanwaltschaft Bielefeld erstattet", berichtet Anwältin Höke. Der Grund: Womöglich zu lange sei die Krankheit nicht behandelt worden, weil das Opfer nicht ahnte, Opfer einer Vergewaltigung geworden zu sein.Höke und ihre Mandantinnen wollen Aufklärung. Und Konsequenzen. "Wieso konnte der Arzt so lange weitermachen?", fragt sich Höke. Immerhin haben viele Frauen etwa mit dem Chefarzt über merkwürdige Vorkommnisse gesprochen. Darüber, dass ihnen Philipp G. etwas verabreicht habe. Darüber, dass sie plötzlich wie weggetreten waren. Darüber, dass sie sich an nichts erinnern können. Ein Opfer fand sogar eine Flasche Propofol in ihrem Bett.Polizei ruft Namen spät im System ab Zudem sorgt ein Umstand bei der Polizei Bielefeld für Diskussionen. Eine Patientin erstattete 2019 Anzeige gegen den jungen Arzt, es ging um Körperverletzung. Ihr sei etwas gespritzt worden, wovon sie bewusstlos wurde. Doch die Bielefelder Kripo rief erst gut sechs Monate später den Namen von Philipp G. im System ab. Brisant: Gegen den Arzt wurde bereits 2016 wegen Vergewaltigungsvorwürfen ermittelt, damals in Krefeld. Er soll mit einer ähnlichen Methode in einem Krankenhaus eine Frau missbraucht haben. Ein Umstand, den die Kripo so direkt erkannt hätte.Die Staatsanwaltschaft Duisburg, die die Ermittlungen mittlerweile übernommen hat, bestätigte auf Anfrage, dass eine erste Anzeige der Frau im September 2019 erfolgte und die ersten Maßnahmen im März 2020 umgesetzt wurden. Doch wieso so spät? Der ermittelnde Beamte sei unter anderem in Mordermittlungen eingebunden gewesen, so die Sprecherin. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld habe den Umstand später geprüft, aber nichts strafrechtlich Relevantes in der Verzögerung gefunden. Weitere Aussagen zu dem Fall macht die Sprecherin nicht - auch nicht auf die Frage, ob es womöglich noch mehr Opfer gibt.Klinik hat "vollumfänglich kooperiert" Das Klinikum in Bethel will wegen des laufenden Verfahrens keine Angaben im Detail machen. "Klinikleitung und Geschäftsführung haben seit Bekanntwerden des Verfahrens vollumfänglich mit den Behörden kooperiert, und dies werden wir auch hier tun", betont ein Sprecher. Oberste Priorität habe die Hilfe der Opfer. "Wir haben unter Federführung interner wie externer Expertinnen und Experten zahlreiche Maßnahmen eingeführt, um solche Taten zukünftig zu verhindern", berichtet der Sprecher weiter.Wie der WDR berichtet, soll die Polizei gegenüber einem Opfer den vagen Verdacht geäußert haben, dass die Filmaufnahme der Vergewaltigung nicht von Arzt Philipp G., sondern einer weiteren Person gefilmt worden sei. Die Staatsanwaltschaft Duisburg wollte sich nicht dazu äußern.

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