Streit um mögliche Corona-Testpflicht in NRW-Kitas

Bielefeld/Düsseldorf/Stuttgart. Seit einer Woche hat Familie M. ihre beiden Kinder zuhause. Krank sind sie nicht. Aber in der Nachbargruppe gibt es einen Coronafall. "Und das ist auch schon alles, was wir wissen", sagt Vater Richard M. "Wir haben keine Ahnung, wer da mit wem Kontakt hatte und vor allem: Weil die Tests freiwillig sind, und viele nicht testen, wissen wir nicht, wer sonst noch alles asymptomatisch betroffen sein könnte. Diese Situation war uns zu unsicher. Deshalb haben wir die Kinder rausgenommen." So wie Familie M. dürfte es derzeit vielen Familien in NRW gehen. Im Fall von Annika K. ist die Sorge noch größer. "Wir wissen, dass wir in der Kita auch Familien haben, die Corona leugnen. Die tragen keine Maske, die testen aus Prinzip nicht. Und schicken ihre Kinder in die Einrichtung. Da ist man wütend und hilflos. Ich möchte nicht, dass mein Sohn mit diesen Kindern Kontakt hat - aber ich bin auch auf die Betreuung angewiesen." Es ist ein Rekordwert, den das Monitoring des Familienministeriums für diese Woche verkündet: Über 2.400 coronakranke Kinder, fast 1.800 coronakranke Mitarbeiter. Damit haben sich die Zahlen im Vergleich zum Oktober nahezu versechsfacht. Die Dunkelziffer dürfte noch höher liegen. Denn in Kitas wird immer noch nicht verpflichtend getestet - ein Umstand, den Fachleute kritisieren und der viele Eltern empört. Tests sind Ladenhüter in Kitas Überhaupt wird in Kitas wenig getestet, wissen auch die großen Träger AWO und Katholische Kitas aus dem Raum Minden-Ravensberg-Lippe und Hochstift. In vielen Einrichtungen stapeln sich seit Monaten die Testkartons. Auch bei der Stadt Bielefeld ist man sich des Problems bewusst. "Wir können nicht nachhalten, wie oft Eltern ihre Kinder tatsächlich auch testen. Ich befürchte, dass nicht wenige darauf verzichten", sagt Sozialdezernent Ingo Nürnberger. Er appelliert daher eindringlich an Eltern, ihre Kinder zu testen. >>> Kitas in NRW bekommen neue Alltagshelfer Eine Testpflicht würde die Situation klären. Doch bislang gibt es vom Land NRW keine Signale, sie einzuführen, wie es zum Beispiel Bayern am Dienstag getan hat. Gegenüber dem WDR begründete Familienminister Joachim Stamp das mit der Ablehnung durch die Gewerkschaften. Diese hätten sich mehrfach dagegen ausgesprochen, weil die Zusatzbelastung nicht zu leisten sei. Die Gewerkschaften dementieren das. "Die Aussagen des Ministers sind irreführend", sagt Marlene Seckler, Gewerkschaftssekretärin für den Sozial- und Erziehungsdienst bei Verdi NRW. "Wir fordern bereits seit Herbst 2020 ein flächendeckendes Testmanagement für Kinder in Kindertageseinrichtungen. Mit Unterstützung von zusätzlichem Personal oder auf Grundlage von entsprechenden PCR-Pooltestungen muss die Landesregierung endlich landesweit Test-Strukturen schaffen." Erzieher nicht zum Testen berechtigt Auch die Gewerkschaft für Erziehung und Bildung NRW steht hinter dieser Forderung. Die Vorsitzende Ayla Çelik betont: "Wir haben in Gesprächen mit dem Ministerium stets betont, dass wir eine Intensivierung mit PCR-Pooltestungen auch in den Kitas brauchen. Gleichzeitig haben wir allerdings deutlich gemacht, dass zusätzliche Aufgaben nicht on top kommen dürfen. Der Fachkräftemangel ist massiv, viele Kolleg*innen sagen, dass sie ohnehin kaum ihrer eigentlichen pädagogischen Arbeit nachkommen können." Zusätzliche Aufgaben könne es nicht zum Nulltarif geben. Die Kitas bräuchten hier dringend personelle Unterstützung. "In diesem Zusammenhang haben wir massiv kritisiert, dass das Alltagshelfer-Programm nicht fortgeführt wurde." Die von den Gewerkschaften geforderte Lösung schließt das Land allerdings kategorisch aus. &bdquo;Eine landesweite PCR-Pooltestung ist aus Gründen der Logistik im ländlichen Raum und nicht ausreichender Laborkapazitäten ausgeschlossen", heißt es auf Anfrage dieser Zeitung. Es gibt allerdings noch ein Problem. So sind Erzieher laut Landesverband Westfalen-Lippe nicht berechtigt, medizinische Handlungen an Kindern vorzunehmen, so dass man bei einer Testpflicht entweder auf die Eltern vertrauen müsste, den Test korrekt zuhause durchzuführen oder aber nur Kinder verpflichten könnte, die alt genug sind, ihn selbst vorzunehmen, wie in der Grundschule. "Was wir brauchen, ist die Impfpflicht für Erwachsene" Aus diesem Grund sieht auch Kinderarzt Marcus Heidemann, Sprecher der Kinder- und Jugendärzte Westfalen-Lippe eine Testpflicht kritisch. "Aus medizinischer Sicht ist das natürlich sinnvoll, wie überall anders auch. Ich halte die Umsetzung aber für sehr schwierig. Was wir brauchen ist die Impfpflicht für Erwachsene und zwar schnell." Stuttgart allerdings hat sich entschieden, den Versuch zu wagen. Die Stadt hat in ihrer Allgemeinverfügung eine Testpflicht in Kitas festgesetzt - bereits zum zweiten Mal in der Pandemie. Auch im Winter-Lockdown 20/21 hatten Eltern nur Anspruch auf Betreuung, wenn ihr Kind per Bescheinigung von den Eltern einen negativen Schnelltest vorweisen konnte oder in der Kita durchführte. "Wir fahren damit sehr gut", sagt Jörg Schulze-Gronemeyer, Leiter der Abteilung Jugend und Soziales der evangelischen Kirche Stuttgart. Testpflicht in Stuttgart Der freie Träger betreibt 104 Kitas in Stuttgart, bietet 5.500 Plätze. Alle Beteiligten fühlten sich sicherer, der Großteil der Eltern trage das Verfahren mit. "Aus der Elternschaft kamen sogar als erstes die Forderungen, die Pflicht wieder einzuführen, als die Zahlen im Herbst stiegen." Auch Pooltest-Versuche wurden in einigen Einrichtungen in Stuttgart durchgeführt. "Die sind sicherer, ohne Frage", so Schulze-Gronemeyer. "Aber hier sind die Labore so überlastet, dass es für alle Kitas nicht zu stemmen wäre." Dieses Problem besteht in großen Teilen Deutschlands, auch in NRW. Der Verband Akkreditierte Labore in der Medizin (ALM) meldet eine Auslastung der meisten Labore von 82 Prozent, vielerorts noch höher, und damit an der Belastungsgrenze. Zwar gibt es in NRW das Angebot vom Land, dass Kommunen finanziert auf Pooltests umstellen können. Ob die örtlichen Labore Kapazitäten dafür haben, ist aber fraglich. Außerdem ist die Teilnahme an diesen Tests immer noch freiwillig. "Und das geht so nicht mehr angesichts der stetig steigenden Zahlen", sagt Thorsten Klute, Geschäftsführer der AWO OWL. "Wir brauchen mehr Schutz in den Kitas, sowohl für die Kinder, als auch für die Mitarbeiter. Außerdem darf man die Familien nicht vergessen, die ständige Quarantäne und die sonstige Virenwelle stemmen müssen." Wirklich logisch findet Klute zudem nicht, dass das Einführen eines Wattestäbchens in den Mund für Erzieher als medizinische Handlung gelten soll. "Schließlich füttern Erzieher Kinder auch und führen dabei Löffel in den Mund ein." Auch Dennis Maelzer, familienpolitischen Sprecher der SPD im Landtag, hält die Einführung der Pool-Tests als überfällig. "Es kann ja nicht sein, dass das Infektionsgeschehen einfach laufen gelassen wird. Dafür brauchen Kitas jede helfende Hand. Alltagshelfer müssen dringend wiederkommen."

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