Kinderimpfungen ohne Zulassung: Fachärzte aus OWL empört

Seit gestern ist der Kinder-Impfstoff von Biontech in der EU offiziell zugelassen. Doch schon länger impfen Ärzte jüngere Patienten. Dies ist im Rahmen des sogenannten Off-Label-Use auch rechtlich möglich. Einer von ihnen berichtete auf nw.de, warum er das tut – und warum er sogar sein eigenes einjähriges Kind geimpft hat. Bei Fachkollegen löst dieses Vorgehen allerdings Unverständnis und Empörung aus. Vor allem der Umstand, dass Dr. Pappa, wie der Arzt sich auf Twitter nennt, seine Patienten einen Haftungsausschluss unterschreiben lässt, ärgert Eckard Hamelmann, Direktor der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Evangelischen Klinikum Bethel. Er ist empört über das Vorgehen des Münsteraner Arztes. &bdquo;Impfungen ohne die Empfehlung der Stiko vorzunehmen, halte ich für fahrlässig. Zudem für die Eltern dann auch gilt: Kommt es zu einem Impfschaden, haben sie keinerlei Anspruch auf Schadenersatz. Sich aus diesem Risiko einfach mit einem Haftungsausschluss rausschreiben zu lassen, ist unredlich." Eigentlich hatte Dr. Pappa die Impfungen zunächst nur bei seinen eigenen Kindern vornehmen wollen. Für ihn war die Entscheidung eine Risiko-Nutzen-Abwägung: &bdquo;Das Risiko, einen schon millionenfach eingesetzten Impfstoff in einer durch Studien nachgewiesenen verträglichen Dosierung für meine Kinder zu verwenden oder sie mit einer Infektionskrankheit zu konfrontieren, deren Langzeitfolgen nicht absehbar sind", sagt er dieser Zeitung. Für ihn war die Entscheidung eindeutig. Er hat seine drei Kinder geimpft, das jüngste Kind ist gerade einmal ein Jahr alt. "Das ist der falsche Weg" Eigentlich sollte es bei diesen privaten Impfungen bleiben. Doch dann habe er unzählige Anfragen von Eltern erhalten, die ihr Kind impfen lassen möchten. Lange musste der Arzt nicht überlegen. &bdquo;Es ist für mich unvorstellbar, dass ich nur meine eigenen Kinder schütze und anderen Kindern den Schutz komplett verweigere." Und schließlich dann die ersten fremden Kinder. Große Nervosität bei mir. Die bange Frage: wird alles gut gehen? Und es ging gut. Auch darüber wieder Berichte, kleine Anekdoten. Zu diesem Zeitpunkt wollten mir viele Eltern ihre Daten nicht geben, manche waren sehr skeptisch. 6/x Dr.Pappa (@DerDrPappa) November 8, 2021Auch diese Aussage stößt bei Mediziner Hamelmann auf Unverständnis. "Das ist ein regelrechter Hype, der mittlerweile um die Impfung der Kinder gemacht wird. Dabei ist das die falsche Zielgruppe. Kinder erkranken nicht so schwer an Corona wie Erwachsene. Unter den 100.000 Corona-Toten, die wir haben, sind 20 Kinder unter 17 Jahren, die schwere Vorerkrankungen hatten. Und es kann nicht sein, dass jetzt Kinder vorschnell geimpft werden, weil zu viele Erwachsene sich nicht impfen lassen und wir keine Impfpflicht haben. Das ist der falsche Weg." Problematisch sei außerdem, dass Mediziner, die Offlabel-Impfungen vornähmen, die Expertise von Kollegen unterwanderten. &bdquo;Denn Eltern, die zu solchen Ärzten gehen, haben ja offensichtlich aus guten Gründen von ihrem eigenen Kinderarzt eine Ablehnung bekommen." Keine Erwachsenen-Dosis für Kinder Grundsätzlich verurteilen will Marcus Heidemann, Sprecher des Landesverbandes der Kinder- und Jugendärzte Westfalen-Lippe das Offlabel-Impfen nicht. &bdquo;Das kann Sinn machen, wenn es eine wirklich schwere Gefährdung gibt", sagt der Mediziner. &bdquo;Allerdings ist damit nicht nur zum Beispiel Asthma gemeint. Sondern wirklich gravierende Vorerkrankungen wie Herzfehler, Immundefekte oder schwerste Lungenerkrankungen." Grundsätzlich weist Heidemann Eltern darauf hin, zu unterscheiden: &bdquo;Wir haben jetzt die Zulassung der EMA für den Biontech-Kinderimpfstoff. Nicht die Zulassung der Erwachsenen-Dosis für Kinder. Der Kinderimpfstoff ist anders zubereitet, hat eine andere Darreichungsform. Und ist offiziell in Deutschland erst für Ende Dezember angekündigt." Auch Heidemann hält allerdings die Fokussierung auf die Kinderimpfungen für falsch. &bdquo;Wir brauchen kein verzweifeltes Warten auf eine Impfung für Kinder. Wir brauchen eine Impfpflicht für Erwachsene." Wie verzweifelt Eltern sind, erlebt auch &bdquo;Dr. Pappa". Viele seien unter Hochdruck auf der Suche nach einem Arzt, der ihre Kinder impft. An manchen Tagen stehen Dutzende Eltern mit ihren Kindern vor seiner Praxis. &bdquo;Ich habe mindestens 500 Kinder geimpft", sagt er. Viele hätten bereits die zweite Impfung erhalten. &bdquo;Ich habe erlebt, dass Eltern überglücklich in Tränen ausbrechen, wenn ich ihre Kinder impfe." Die Eltern seien wahnsinnig erleichtert, ringen um Worte und wüssten gar nicht, was sie sagen sollen. "Nicht der Handlanger der Eltern" Aber auch diese große Angst kann Mediziner Eckard Hamelmann nicht nachvollziehen. &bdquo;Diese Eltern wurden dann schlecht aufgeklärt. Es gibt derzeit keinen Grund, im Hinblick auf gesunde Kinder so eine Panik zu entwickeln." Dieser Ansicht ist auch Marcus Heidemann. Er sieht seine Aufgabe auch darin, Kinder vor übertriebenen Ängsten der Eltern zu schützen. &bdquo;Kinderärzte sind nicht die Handlanger von Eltern. Ziel ist es, gemeinsam zu einer guten Entscheidung für das Kind zu kommen. Aber in erster Linie trage ich als Arzt die Verantwortung für meinen Patienten. Und der ist das Kind." Kollegen von &bdquo;Dr. Pappa" haben diese Bedenken scheinbar nicht. Sie schicken sogar Eltern zu ihm, weil sie selbst noch nicht impfen und vor allem nicht haften wollen. Für die Altersgruppe der Fünf- bis 12-Jährigen dürfte sich das Thema Offlabel-Impfungen mit der Zulassung durch die EMA und der wohl bald folgenden Empfehlung der Stiko ohnehin bald erledigt haben. Dann will &bdquo;Dr. Pappa" auch seine anonyme Tätigkeit als Impfarzt aufgeben. Öffentlich wird er dann Corona-Impfungen für Kinder ab fünf Jahren anbieten.

Meistgelesen