OWL Crime – mit Podcast

Mord an kleiner Jennifer: So tragisch war der Tod des Mädchens aus Versmold

Im Januar 1998 verschwindet die elfjährige Schülerin aus ihrem Zuhause, nur einen Tag später wird ihre Leiche gefunden. In der ganzen Republik herrscht Entsetzen über diese grausame Tat.

Gleich am Morgen nach dem Verschwinden von Jennifer suchen Hunderte Polizeibeamte und Rettungskräfte nach dem kleinen Mädchen rund um sein Zuhause in Versmold-Peckeloh. | © Matthias Foede

Nicole Donath
17.04.2025 | 06.05.2025, 16:20

Versmold. Mordfälle, Tötungsdelikte, Gewaltverbrechen erschüttern die Menschen jedes Mal aufs Neue. Doch wenn es sich bei dem Opfer um ein kleines Kind handelt, ist die Betroffenheit noch mal eine ganz andere. So verhält es sich auch in diesem Fall, der sich vor 27 Jahren ereignet hat. Es ist der 13. Januar 1998, als sich Gabriele G. gegen 14 Uhr von ihrer elfjährigen Tochter verabschiedet und zur Arbeit in einer nahe gelegenen Fleischwarenfabrik fährt. Jennifer bleibt allein in dem abgelegenen Bauernhaus im Ortsteil Peckeloh zurück, während ihre kleine Schwester (7) von der Tante betreut wird. Den Abend wollen die drei bis zur Rückkehr der Mutter gemeinsam verbringen. Doch als die Tante und die Schwester gegen 17.30 Uhr am Haus der Familie eintreffen, ist Jennifer nicht da. Auf dem Tisch liegen ihre Malstifte, an der Garderobe hängt ihre Jacke – von dem Kind selbst fehlt indes jede Spur.

Die Tante fragt zunächst in der Nachbarschaft, telefoniert mit Bekannten, mit Familienangehörigen – aber niemand weiß irgendetwas. Als die Mutter schließlich gegen 21.30 Uhr am Abend von der Arbeit kommt und Jennifer immer noch nicht wieder aufgetaucht ist, sind die Frauen in größter Not und verständigen die Polizei. Die leitet umgehend eine Fahndung nach dem Mädchen ein, zumindest an dem Abend jedoch noch ohne Erfolg.

Am nächsten Morgen startet die Polizei gegen kurz nach 9 Uhr eine groß angelegte Suche: Etwa 100 Beamte durchkämmen die Umgebung. Drei Helikopter kontrollieren die Gegend – darunter auch ein Hubschrauber der britischen Armee. Als ein Suchtrupp gegen 11 Uhr hinterm Haus ein Halstuch findet, fordert die Einsatzleitung sofort Unterstützung an, sodass kurze Zeit später nun rund 250 Polizeibeamte zusammen mit der DLRG und der Freiwilligen Feuerwehr die Suchaktion ausdehnen.

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Spaziergängerinnen finden die Leiche der kleinen Jennifer (11)

Jennifer (11) aus Versmold wird im Januar 1998 Opfer eines Gewaltverbrechens. - © Reproduktion: Nicole Donath
Jennifer (11) aus Versmold wird im Januar 1998 Opfer eines Gewaltverbrechens. | © Reproduktion: Nicole Donath

Mantrailer durchkämmen Wald- und Wiesengebiete. Taucher gehen in die Hessel und in die Ems. Außerdem werden die umliegenden Seen untersucht. Und im Stadtgebiet verteilten die Beamten Zettel mit einem Bild der Vermissten. Dann überschlagen sich die Ereignisse: Gegen 12 Uhr finden Einsatzkräfte ein Fahrrad, einen Rucksack und ein Teppichmesser. Nur gut drei Stunden später melden sich zwei Spaziergängerinnen, die eine fürchterliche Entdeckung gemacht haben: Es ist der leblose Körper des kleinen Mädchens in einer Fichtenschonung.

Mord an kleiner Jennifer - Alle Fakten im Überblick

  • Jennifer bleibt am 13. Januar 1998 allein in ihrem Elternhaus. Als die Mutter gegen 21.30 Uhr von der Arbeit kommt, verständigt sie die Polizei, weil Jennifer bereits seit Stunden verschwunden ist.
  • Die Polizei leitet eine Fahndung nach dem Mädchen ein, etwa 100 Beamte durchkämmen die Umgebung, drei Helikopter kontrollieren die Gegend, zwei Spaziergängerinnen, finden einen leblosen Körper eines kleinen Mädchens.
  • Die Obduktion der Leiche ergibt, dass der Täter das Mädchen zunächst sexuell missbraucht und es dann erwürgt hat, am Hals sind tiefe Stichwunden aufzuweisen.
  • Der Stiefonkel von Jennifer wird schnell zum Hauptverdächtigen. Er verhält sich auffällig, hat kein Alibi und fährt ein schwarzes Auto, was ein Zeuge an dem Tag gesehen haben will.
  • Im Verhör gesteht er dann, dass er Jennifer erwürgt und anschließend noch Schnitte am Hals zugefügt habe. Er wird verurteilt, doch nach zehn Jahren Haft wird er später vorzeitig entlassen und nach Spanien abgeschoben.

Diese Schonung befindet sich nur etwa einen Kilometer von Jennifers Zuhause entfernt; die Leiche ist teilweise entkleidet. Es ist der Augenblick, in dem allen Beteiligten klar ist: Jennifer ist Opfer eines Gewaltverbrechens geworden.

Obduktion der Leiche beweist sexuellen Missbrauch und Tod durch Erwürgen

Die Obduktion der Leiche ergibt, dass der Täter das Mädchen zunächst sexuell missbraucht und es dann erwürgt hat. Außerdem berichtet Staatsanwalt Hans-Dieter Heidbrede, dass der Hals tiefe Stichwunden aufweist. Deshalb wird eine Mordkommission eingesetzt. Unter anderem bittet die Polizei die Bevölkerung um Mithilfe. Das Teppichmesser, das in der Nähe des Tatorts entdeckt wurde, sowie Fasern, die vermutlich aus dem Futter der Jacke des Täters stammen, werden untersucht. Außerdem meldet sich ein Zeuge, der gesehen haben will, wie am Dienstagnachmittag ein schwarzer Wagen vom Grundstück der Familie gefahren ist.

Im Überblick: True-Crime-Fälle aus OWL - mit Podcasts

Hunderte Beamte sowie Helfer von DLRG und Freiwilliger Feuerwehr suchen die Umgebung rund um den Versmolder Ortsteil Peckeloh ab. - © Andreas Großpietsch
Hunderte Beamte sowie Helfer von DLRG und Freiwilliger Feuerwehr suchen die Umgebung rund um den Versmolder Ortsteil Peckeloh ab. | © Andreas Großpietsch

Auch der Stiefonkel von Jennifer hat sich am Mittwochmorgen an der Suche nach der Vermissten beteiligt. Was der Polizei schnell auffällt: Der Mann ist ungewöhnlich nervös und raucht unnormal viel, sodass er relativ schnell zum Kreis der Verdächtigen der Bielefelder Mordkommission um Leiter Klaus Lowack zählt. Ein echtes Alibi hat er nicht, angeblich will er an dem Dienstagnachmittag einen Schaufensterbummel gemacht haben – alleine. Hinzu kommt, dass er ein schwarzes Auto fährt, und ein schwarzes Auto hat auch der Nachbar gesehen. Also wird das Fahrzeug sichergestellt und der 25-Jährige von den Ermittlern immer wieder ausgiebig befragt. Am Ende ist die Beweislast erdrückend.

Beweislast ist erdrückend: DNA-Abgleich überführt den Stiefonkel von Jennifer

So haben die Ermittler allen Personen aus dem engeren Umfeld von Jennifer Speichelproben entnommen und diese mit den Gewebespuren verglichen, die im Zuge der Obduktion von der Leiche des Mädchens entnommen worden sind. Das Ergebnis: Die Wahrscheinlichkeit beträgt 100 Milliarden zu eins, dass es der Stiefonkel gewesen ist, der die Elfjährige zunächst missbraucht und dann getötet hat. Im Verhör gesteht er dann, dass er Jennifer erwürgt und anschließend noch Schnitte am Hals zugefügt habe. Seine Erklärung dafür: „Ich wollte sicher sein, dass sie auch wirklich tot ist.“

Ein bitterer Randaspekt dieses ohnehin schon tragischen Falls: Jennifers Tante ahnt bis zum Geständnis ihres Mannes nichts davon, dass er der Täter ist, nach dem gesucht wird. Sie bittet unter anderem in der Redaktion des „Haller Kreisblatts“ während der stundenlangen Vernehmungen um Spenden für ihre Schwester und die kleinere der beiden Nichten. Und erklärt dabei: „Hoffentlich finden sie den Kerl bald ...“ Und auch die Medien spielen eine unrühmliche Rolle.

Staatsanwalt Hans-Dieter Heidbrede berichtet vor der Versmolder Polizeistation Dutzenden Medienvertretern über den aktuellen Stand der Ermittlungen. - © Nicole Donath
Staatsanwalt Hans-Dieter Heidbrede berichtet vor der Versmolder Polizeistation Dutzenden Medienvertretern über den aktuellen Stand der Ermittlungen. | © Nicole Donath

Journalisten aus der ganzen Republik sind im Januar 1998 nach Versmold gekommen, um über den Fall zu berichten. Öffentlich-rechtliche TV-Sender haben ebenso wie die privaten Sender „RTL“ oder „Sat1“ große Teams entsandt, dasselbe gilt für Nachrichtenmagazine wie „Spiegel“, „Stern“, „Focus“ sowie überregionale und regionale Zeitungen. Mehrere Dutzend Redakteure belagern die Kleinstadt wie Heuschrecken und benehmen sich teilweise derart daneben, dass der damalige Polizeisprecher einen Vorfall im Zusammenhang mit einem lokalen Radiosender sogar dem Innenministerium meldet.

Kindermord wird vor dem Landgericht Bielefeld verhandelt

Der Prozess gegen den Stiefonkel beginnt am 29. Oktober 1998. Die Staatsanwaltschaft hat den Mann mittlerweile wegen Mordes angeklagt. Zu Beginn der Verhandlung schildert der Staatsanwalt zunächst die Tat vom 13. Januar: Demzufolge sei der Angeklagte nach einem Streit mit seiner Stieftochter zum Haus seiner Schwägerin gefahren. Seine elfjährige Nichte habe ihm im Bademantel die Tür geöffnet, das soll ihn sexuell erregt haben. Daraufhin habe er das Kind dazu überredet, mit ihm zu kommen – angeblich wollte er es zu der Tante fahren.

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Das Mädchen habe sich daraufhin angezogen und sei in den schwarzen Opel gestiegen. Der Angeklagte soll das Mädchen daraufhin im Intimbereich berührt haben, wogegen es sich wehrte. Jennifer soll heftig geweint und einen Stopp zur Flucht in ein Waldstück genutzt haben. Allerdings hatte der Mann sie wohl bald eingeholt – um sie dann zu töten und Jennifers Leiche im Wald zu verstecken.

Wenige Tage nach ihrem gewaltsamen Tod wird Jennifer auf dem Friedhof in Versmold beigesetzt. Hunderte Trauerende nehmen Abschied. - © Nicole Donath
Wenige Tage nach ihrem gewaltsamen Tod wird Jennifer auf dem Friedhof in Versmold beigesetzt. Hunderte Trauerende nehmen Abschied. | © Nicole Donath

Der Angeklagte wird zu Beginn des Prozesses – schluchzend und völlig aufgelöst – auf seinen Platz geführt. Seinen Kopf hat er in die Hände gestützt, er wird von Weinkrämpfen geschüttelt. Im weiteren Prozessverlauf wird sogar einmal ein Notarzt gerufen, nachdem er eine Kreislaufschwäche erleidet. Unter Tränen und heftigem Schluchzen wendet er sich in seinem Schlusswort an die Eltern von Jennifer. Er sagt: „Ich bereue die Tat zutiefst in meinem Herzen, wenn ich könnte, würde ich sie ungeschehen machen. Bitte glaubt mir, es tut mir leid, es tut mir leid.“

Am Ende wird der Mann, den Freunde und Verwandte als „freundlich und hilfsbereit“ beschrieben haben und dem der Gutachter „geistige Gesundheit“, eine „durchschnittliche Intelligenz“ und „Anpassung bis hin zur Selbstaufgabe“ bescheinigt, zu lebenslanger Freiheitsstrafe wegen Mordes, versuchter sexueller Nötigung und versuchtem sexuellen Missbrauch eines Kindes verurteilt. Nach zehn Jahren Haft wird er später vorzeitig entlassen und nach Spanien abgeschoben.

Wenn Sie selber von Kindesmissbrauch betroffen sind, ganz gleich, ob als Opfer oder Zeuge: Hilfe gibt es beim Hilfetelefon von NINA e.V. – kostenlos und anonym: 0800 22 55 530.