
Paderborn. Diesen Anblick wird der Autofahrer, der in jener Juli-Nacht auf dem Rastplatz an der A44 zwischen Wünnenberg-Haaren und Büren Halt macht, nie vergessen. Auf einer Bordsteinkante liegt die Leiche eines Jungen. Der Mann aus Norddeutschland ruft um 0.50 Uhr sofort die Polizei.
Was niemand ahnt: Der 13-jährige Junge ist nur eines von mehreren Opfern eines Serienmörders. In der neuesten Folge von Ostwestfälle, dem True-Crime-Podcast der Neuen Westfälischen, sprechen Birgitt Gottwald und Martin Fröhlich über den Fall.
Nach der Obduktion steht fest, dass der Junge erdrosselt wurde. Und schnell ist klar, um wen es sich handelt. Es ist Lukas K. (Name von der Redaktion geändert) aus Wiesbaden. Die Ermittler finden bei ihm eine Ferienkarte der Stadt Mainz. Der Schüler hat am Samstag gegen 13 Uhr sein Elternhaus verlassen, um mit dem Bus in ein Freibad im benachbarten Mombach zu fahren. Danach verliert sich jede Spur.

Als sich die Eltern am Abend an die Polizei wenden, beginnt die Suche. Am Sonntag feiert Lukas seinen 13. Geburtstag. Ausgerechnet jetzt ist er verschwunden. Doch die Suche bleibt vorerst erfolglos. Sie endet erst 36 Stunden nach dem Verschwinden 300 Kilometer entfernt mit dem grausigen Fund auf dem Rastplatz an der A44.
Die Kinderleiche an der A44 - Alle Fakten im Überblick
- Im Juli 1989 wird die Leiche des 13-jährigen Lukas K. aus Wiesbaden auf einem Rastplatz im Kreis Paderborn gefunden.
- Eigentlich war der Junge in seiner Heimat auf dem Weg ins Freibad.
- Zeugenaussagen belegen, dass er dort tatsächlich gewesen ist. Dann verliert sich jedoch die Spur.
- Acht Wochen später wird der Fall erfolglos bei "Aktenzeichen XY" aufgegriffen.
- Erst weitere zwei Jahre später wird ein 49-jähriger Lkw-Fahrer aus Belgien festgenommen, der mehrfach wegen Kindesmissbrauch vorbestraft war.
- Er gesteht, neben Lukas K. auch zwei weitere Kinder getötet zu haben.
- Der psychisch vorerkrankte Täter hat Lukas K. vermutlich auf einer Lkw-Tour zufällig vor dem Mainzer Freibad getroffen und aufgegriffen.
- Wie viele Kinder der Mann tatsächlich getötet hat, bleibt unklar. 2001 stirbt er im Gefängnis in Scheveningen.
Was nach Lukas K.s Freibadbesuch geschah, war lange unklar
Zunächst weiß niemand, ob der blonde Junge jemals im Freibad angekommen ist, oder was seitdem mit ihm geschehen ist. Fest steht nur: Sein Leben endete viel zu früh. Doch wie geriet seine Leiche von Mainz nach Paderborn?
Die Eltern beschreiben ihren Sohn der Polizei als einen gegenüber Fremden zurückhaltenden Jungen, der keine Neigung zum Trampen hat. Flutblattaktionen bringen nur die Gewissheit, dass Lukas tatsächlich im Freibad war, dieses nach 15.30 Uhr verließ und danach nicht mehr gesehen wurde.
Sämtliche Mülleimer an den Autobahnen zwischen Mainz und Paderborn werden abgesucht – erfolglos. Gesucht werden eine Sporttasche mit dem Aufdruck Adidas, eine braune Badehose, ein grünes Badetuch, eine Brille und eine linke schwarze Sandale.
Aktenzeichen XY greift den Fall auf - ohne Erfolg
Wochen vergehen, ohne jede Spur. Schließlich wird der Fall am 8. September in der Sendung "Aktenzeichen XY" aufgegriffen. Dort werden ein Foto des Jungen, ein Bild vom Tatort, ein Lageplan des Fundorts und die Adidas-Tasche gezeigt. 8.000 D-Mark Belohnung werden für Hinweise ausgelobt. Doch die Ermittler finden weiterhin keine heiße Spur zum Täter.
Mehr als zwei Jahre gehen ins Land. Dann trifft eine Nachricht aus den Niederlanden ein. Dort ist ein gewisser Michel S. aus Belgien festgenommen worden unter dem Verdacht, im Juli 1991 eine Elfjährige getötet zu haben. Auch sie verschwand nach einem Freibadbesuch. In den Vernehmungen gesteht der mehrfach wegen Kindesmissbrauchs vorbestrafte Lkw-Fahrer, dass er das Mädchen ermordet hat. Und er berichtet den entsetzten Polizeibeamten auch, dass er Lukas K. aus Wiesbaden und einen zehnjährigen Jungen aus Neustadt an der Weinstraße getötet hat. Drei Kinder hat er brutal aus dem Leben gerissen.
Der 49-jährige Täter ist in den 1980er-Jahren lange in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. 1987 fängt er nach seiner Entlassung in einem Speditionsunternehmen an. Sein Arbeitgeber beschreibt ihn als väterlichen Typen. Vielleicht macht es ihm genau dieser Wesenszug so einfach, Jungen und Mädchen anzusprechen. Im November 1992 wird Michel S. wegen dreifachen Kindermordes zu 20 Jahren Haft verurteilt.
Opfer und Täter sind sich vermutlich zufällig begegnet
Doch wie traf er auf sein Opfer aus Mainz? Ermittler beschreiben nach Befragungen die Ereignisse so: Lukas K. begegnet seinem Mörder am Schwimmbad in Mombach. Der Lkw-Fahrer kommt gerade aus Italien und hat in Mainz Früchte aufgeladen. Er überredet den Jungen zu einer Fahrt mit seinem Lkw, zu einem Abenteuer. Gemeinsam fahren sie zu einer Marmeladenfabrik in Paderborn, wo der Belgier die Früchte ablädt. Danach missbraucht er den Jungen im Lkw. Weil er wohl fürchtet, das Kind könne ihn anzeigen, erdrosselt er es und legt es auf dem Autobahn-Rastplatz ab. Er versucht nicht einmal, die Leiche zu verstecken.
Unklar bleibt, wie viele Kinder Michel S. tatsächlich kaltblütig getötet hat. Waren es mehr als drei? Der Verdacht besteht bis heute, denn etliche ähnlich gelagerte, ungelöste Fälle werden mit ihm in Verbindung gebracht. Allein die Beweise dafür fehlen.
Der Belgier, bei dem eine schwere Persönlichkeitsstörung diagnostiziert wird, stirbt 2001 im Gefängnis von Scheveningen. Die Umstände seines Todes sind unklar. Die Behörden erklären, er habe bei einem Unfall in einer Gefängniswerkstatt schwere Verbrennungen erlitten, denen er erlag. Es gibt aber auch Gerüchte über einen Selbstmord oder einen Anschlag.
Auch im Gefängnis sorgte der Belgier für Aufsehen
Selbst im Gefängnis hat der Serienmörder zuvor noch einmal für Empörung gesorgt. Er stellte nach einigen Jahren Haft einen Antrag auf Zahlungen wegen Arbeitsunfähigkeit, der vom niederländischen Staat nach damals geltendem Recht genehmigt wurde. Über die Jahre hätte er damit hinter Gittern ein kleines Vermögen kassiert. Sein Tod beendet diese Absurdität.
Lukas K. aus Wiesbaden wäre heute Ende 40. Er bleibt für immer im Gedächtnis seiner Eltern, seiner Schwester und seiner Freunde. Und jenes Autofahrers, der in einer Juli-Nacht 1989 auf einem Rastplatz an der A44 zwischen Paderborn und Büren die wohl schrecklichste Entdeckung seines Lebens machte.