Fall für den Verfassungsschutz? Querdenken-Demos in NRW: Jeder Zehnte ist rechtsextrem oder Reichsbürger

Bielefeld/Düsseldorf. Die Querdenken-Bewegung, die deutschlandweit immer wieder auf die Straße geht und gegen die Corona-Maßnahmen demonstriert, wird in Baden-Württemberg vom Verfassungsschutz beobachtet. In NRW ist das noch nicht der Fall. Doch mahnt Innenminister Herbert Reul (CDU) zur Vorsicht. Dass ausgerechnet das südwestliche Bundesland die Querdenken-Bewegung nun offiziell beobachtet, ist wenig überraschend. Zum einen, weil es sich bereits zuvor angedeutet hatte - zum anderen, weil die Bewegung ihren Ursprung in der Landeshauptstadt Stuttgart hat. Immer wieder wurde vor einem zunehmenden Einfluss von Rechtsextremen in der Bewegung gewarnt. Und: Zuletzt wurden verschiedene Stimmen laut, die den Verfassungsschutz in Sachen Corona-Demos in der Pflicht sehen. Manche Bundesländer schlossen eine Beobachtung nicht aus. "Die eine, bestimmte 'Anti-Corona-Bewegung' gibt es nicht" NRW hält sich allerdings noch zurück. Innenminister Reul sagt gegenüber nw.de mit Blick auf Corona-Demos: "Hier laufen Impfgegner neben Verschwörungsideologen, da hält der Rechtsextremist sein Plakat neben Bürgerinnen und Bürgern, die Angst um ihr Geschäft haben oder ihre Enkel gerne wiedersehen wollen. Die eine, bestimmte 'Anti-Corona-Bewegung' gibt es nicht." Dennoch macht er auch deutlich: "Die Sicherheitsbehörden müssen sehr genau im Blick haben, was da passiert, denn es gibt eine Radikalisierung, je länger die Maßnahmen dauern. Zumal immer mehr Rechtsextremisten diese Szene für sich entdecken." "Bewegung im Auge behalten" Den Schritt des Landes Baden-Württemberg, die Querdenken-Bewegung durch den Verfassungsschutz beobachten zu lassen, hält Reul für richtig - immerhin radikalisiere sich die Gruppe immer weiter. "Wir sind aber alle gut beraten, diese Bewegung im Auge zu behalten. Bei uns in Nordrhein-Westfalen setzen sich die Anti-Corona-Demonstrationen aus sehr unterschiedlichen Gruppen zusammen. Darunter finden sich Extremisten, aber zum Beispiel auch Esoteriker, Impfgegner oder Menschen, die schlicht in Sorge sind. Das sind unterschiedliche Beweggründe, aber wir müssen diese Entwicklung ernst nehmen." Eine Antwort des NRW-Verfassungsschutzes auf Anfrage von nw.de zeigt, dass auch Grund zur Sorge besteht: "Die ursprüngliche Intention der Proteste, gegen die von staatlicher Seite veranlassten Corona-Maßnahmen zu protestieren, gerät jetzt zum Teil in den Hintergrund. Die Proteste werden auch genutzt, um Regierungen und Medien selbst zum 'Protest- und Hassobjekt' zu machen." Immer wieder Warnungen Die meisten Teilnehmer solcher Corona-Demos lassen sich in das bürgerliche Spektrum einordnen - doch neben Esoterikern und Co. seien auch Verschwörungsideologen und Wutbürger dabei. In NRW gibt es zusätzlich auch die Corona-Rebellen Düsseldorf. Die Mitgliederzahl beziffert der NRW-Verfassungsschutz auf rund 3.000. Die Gruppe sei immer wieder auch bei Veranstaltungen von Querdenken zu sehen. Erschreckend: Der Anteil von bekannten Rechtsextremen und Reichsbürgern bei den Querdenken-Demos in NRW liegt laut Verfassungsschutz bei rund zehn Prozent. Zuletzt appellierte auch der NRW-Chef des Landeskriminalamtes gegenüber nw.de an die Teilnehmer von Corona-Demos: "Lasst euch nicht von Rechtsextremen einvernehmen! Lasst euch nicht von Rechtsextremen eure Botschaften abnehmen! Trennt euch, löst euch und separiert euch von denen. Das sind nicht die Menschen, mit denen man gemeinsam auf die Straße gehen sollte, um ein solches Thema im Rahmen einer Meinungsbildung an den Staat zu bringen." 400 Corona-Versammlungen in NRW In NRW gab es bis jetzt rund 400 solcher Versammlungen. Auch in OWL fanden mehrere solche Demonstrationen statt. Laut einer aktuellen Studie der Hochschule Düsseldorf wurden die meisten in Paderborn registriert. Zudem sind vier Querdenken-Bewegungen in der Region aufgefallen: in Paderborn, Bielefeld, Minden sowie Porta-Westfalica/Minden. Ebenfalls besorgniserregend: Verschiedene, teils einflussreiche Protagonisten der rechtsextremen Szene mischen sich laut NRW-Verfassungsschutz unter die Protestierenden und suchen Gesprächskontakt. "Dabei werden von ihnen rechtsextremistische und verschwörungsideologische Positionen transportiert. Über die verbindende Ablehnung der Corona-Schutzmaßnahmen wird versucht, verfassungsfeindliche Themen salonfähig zu machen, als vorgeblich Verbündete von Querdenken die anderen Demonstrationsteilnehmer gezielt zu beeinflussen", heißt es. "Einzelpersonen oder kleinere Gruppen immer radikaler" Das öffentliche Interesse für den Corona-Protest schaffe für die teilnehmenden Rechtsextremisten die Möglichkeit, durch gezielte und gut wahrnehmbare Provokationen eine breite Öffentlichkeitswirkung zu erreichen. "Die Sicherheitsbehörden sehen aber mit Sorge, dass Einzelpersonen und kleinere Gruppen immer radikaler werden." Es wird jedoch auch betont: Häufig stoßen die Rechtsextremen auf solchen Demos auch auf Ablehnung. Ein Zeichen dafür, dass die Demonstrationsteilnehmer heterogen sind. Der NRW-Verfassungsschutz warnt jedoch auch vor der Gefahr, dass Rechtsextreme die Corona-Proteste instrumentalisieren könnten, um ihre eigenen Ziele durchzusetzen. "Kritisch ist, dass die Versuche der rechtsextremistischen Szene, das Vertrauen in die demokratische Ordnung zu erschüttern, anscheinend zunehmend auch Sympathie im nicht-extremistischen Protestspektrum finden", heißt es. "Daher wird die versuchte Unterwanderung der Corona-Demonstrationen durch Protagonisten der rechtsextremistischen Szene von den Sicherheitsbehörden intensiv beobachtet."

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