Ein Lost Place in der Bielefelder Innenstadt: Was wird aus dem Cinestar?

Bielefeld. Wo bin ich hier gelandet? Gerade noch war ich im Einkaufszentrum Loom, wo dichter Betrieb herrschte. Es war proppevoll dort an diesem tristen Montagabend, vielleicht auch nur, weil kalter Regen die Passanten in Trockene trieb. Ich nahm den nördlichen Ausgang und überquerte die kaum belebte Zimmerstraße. Jetzt befinde mich in einer anderen Welt. Eine gähnend leere Passage, aber in festlicher Beleuchtung. Auswärtige Besucher wären vielleicht stutzig geworden beim Blick auf die Reklameplakate über dem Eingang: Werbung für Filme wie Fast & Furious, Teil 9. Das Erscheinungsjahr war 2021. Es könnte ganz schön sein hier. Rot gestrichene Decken, blitzsaubere helle Terrazzo-Böden, gläserne Wände. Doch die Gänge des einstigen Filmpalastes Cinestar sind wie ausgestorben, und das seit Jahren. Nur wenige Menschen kreuzen meinen Weg durch diesen Lost Place im Herzen der Bielefelder Innenstadt. Die meisten von ihnen sind Nutzer des unterirdischen Parkhauses mit seinen 360 Stellplätzen. Das an einem Schaufenster in der Passage platzierte, noch ganz frisch wirkende Plakat für den zweiten Teil des Horrorfilms &bdquo;A Quiet Place“, der 2020 in die Kinos kam, trifft es perfekt. Ein &bdquo;stiller Ort“. Das Ende des Kinobetriebs war hier am 13. März 2020 gekommen. Die Corona-Pandemie fraß sich durchs Land, die Kinos gehörten zu den Opfern der langen Lockdowns. Auch das Bielefelder Cinestar schloss die Türen seiner zehn Kinosäle. Es war die Zeit, als der australische Mutterkonzern AHL die Lübecker Cinestar-Kette eigentlich an den britischen Kinokonzern Vue Entertainment verkaufen wollte. Die Briten betreiben in Deutschland den Konkurrenten Cinemaxx. Doch die Übernahme scheiterte im Chaos der Coronakrise. Defizitär: Großkino Cinestar schließt Pleiten und Pannen pflasterten den Weg des Cinestar-Projekts. Am 29. März 2000 eröffnete das Haus mit seinen 2.300 Kinosesseln als zweites Bielefelder Multiplex nach dem Ende 1998 eingeweihten Cinemaxx am Boulevard. Vorangegangen war der Bielefelder &bdquo;Kino-Krieg“. Alle Experten wussten, dass es in der Stadt jetzt zu viele Filmtheater gab. Kinostadt Bielefeld: Blockbuster und Softpornos Der Projektentwickler Cafer Sagir musste für sein Planungsbüro noch im Eröffnungsjahr einen Insolvenzantrag stellen. Der Gebäudekomplex, zu dem das für mehr als 20 Millionen Euro erbaute, jahrelang defizitäre Kinocenter an der Zimmerstraße 10 sowie das Bürohaus an der Feilenstraße 5 gehören, wurde Anfang 2004 unter Zwangsverwaltung gestellt. Die Eigentümer um den Bielefelder Kaufmann Andreas Husemann, die H&H Immobilien Projektentwicklungs-GmbH & Co KG, verkauften die Immobilie 2006 unter Wert an das britische Brüderpaar Nick und Edward Hutley. Die Hälfte der 2.600 Quadratmeter Büro-Nutzfläche stand schon damals leer, und die sieben Gastronomie-Lokale ebenfalls, berichtete die NW 2004. Die Hoffnung, dass die Kinogäste nach dem Film in die Restaurants des Centers einkehren, war nur ein unrealistischer Wunschtraum. Die Leere zieht ungebetene Gäste an Und die Kinobetreiber? Das Lübecker Unternehmerpaar Heiner und Marlis Kieft hatte die Cinestar-Kette zum deutschen Marktführer mit mehr als 50 Großkinos aufgebaut. Doch ihre hochverschuldete Kieft & Kieft Filmtheater GmbH wurde schon Ende 2003 vom australischen AHL-Konzern geschluckt. Aus AHL wurde EVT, und die Australier betreiben die Cinestar-Kette bis heute. Nur eben nicht mehr in Bielefeld und Gütersloh. Seit 2020 ist der Filmpalast verlassen, eine Brache der Unterhaltungsindustrie. Immerhin, es gibt einen Ansprechpartner (&bdquo;Facility Manager“) für die letzten Mieter des Komplexes, den ich anrufen kann. Ich treffe auf Menschen in einer Spielhalle an der Zimmerstraße, ich lasse mir vom hilfsbereiten Wächter der Tiefgarage seine Gewölbe zeigen. Bei einem gut beschäftigten Frisör im Haus an der Feilenstraße erkundige ich mich und plaudere nebenan mit dem freundlichen Pfarrer einer christlichen Freikirche. Doch die meisten Flächen stehen völlig leer. Und die Leere ziehe ungebetene Gäste aus dem Bahnhofsviertel an, so wird erzählt. Bisweilen würden Obdachlose aus dunklen Ecken herausgeholt oder aus den verbotenen oberen Etagen. Es werde versucht, die Immobilie bestmöglich zu erhalten und zu pflegen. Alle Ideen für eine neue Nutzung sind bisher im Sande verlaufen – etwa die Pläne eines Reformhausbetreibers, aus dem Cinestar das neue &bdquo;Cinecenter“ zu machen, hier ein internationales Kinoprogramm zu zeigen und die Säle auch für Public Viewing bei Sportereignissen zu nutzen. Er scheitert in der Coronakrise. Ehemaliges Cinestar: Corona ruiniert Kino-Pläne Könnte aus dem Kinocenter ein &bdquo;Haus der Marken“ werden? &bdquo;Wir wären sehr interessiert an einer profitablen Lösung für die Immobilie“, betont ein Manager der EC Advisors GmbH, die sich im Auftrag der Eigentümer von Frankfurt aus um die Immobilie kümmert. Bisher gebe es aber bedauerlicherweise noch keine aussichtsreichen Verwertungsmöglichkeiten, so ist zu erfahren. Dabei sei man regelmäßig im Austausch auch mit Verantwortlichen der Stadt Bielefeld. Im Bielefelder Rathaus scheint Ratlosigkeit zu herrschen, was aus dem Komplex werden soll. Aus dem Baudezernat oder von der Wirtschaftsförderungsgesellschaft WEGE gibt es kaum Neues über Pläne. Nur eines scheint klar: Ein Kinobetrieb bietet keine Perspektive mehr in Zeiten von Streaming. Hinter vorgehaltener Hand wird über die Idee gesprochen, Showrooms für bekannte ostwestfälische Markenhersteller in den Kinosälen einzurichten – Bekleidungs- und Schuhmodemarken kämen in Frage, Lebensmittel- und Getränkehersteller oder Gerätebauer. Ein &bdquo;Haus der Marken“ in der City. Doch die Stadt könnte nichts bewerkstelligen ohne die Eigentümer. Im Schatten des Looms geht der Einzelhandel ein Erst vor wenigen Monaten hatte sich das Bielefelder Filmmuseum &bdquo;MuMa-Forum“ darum bemüht, eine Etage des Cinestar-Komplexes mit vier Kinosälen für einen Neuaufbau des Museums anzumieten. Aber es sei nur ein Vertragsangebot mit dreimonatiger Kündigungsfrist gekommen, sagte MuMA-Macher Holger Schettler später enttäuscht. Auch von Seiten der EC Advisors GmbH gibt es Andeutungen, dass die Immobilie freigehalten werden soll. Wird der Kinokomplex saniert und umgebaut – etwa um dort Büros und Wohnungen zu errichten? Oder läuft es auf den Abriss hinaus? Die Eigentümer scheinen Zeit zu haben und sich notfalls mit Abschreibungen zu begnügen. Hoffnung für Filmmuseum: Wäre das leere Cinestar ein guter Standort? Der leere Filmpalast bietet eine ansehnliche Fassade aus Naturstein und Glas an der Zimmerstraße. Doch im Schatten des Looms herrscht heute nur trostloses Hinterhof-Flair. Der Fahrradladen &bdquo;Radraum“ und das HiFi-Studio &bdquo;Hört sich gut an“ mussten vor kurzem aufgeben – die Entwicklung spricht Bände. Ich verlasse den erst 25 Jahre alten Komplex an der Feilenstraße. Hier ist es wieder laut und hektisch, das Leben pulsiert. Das verlorene Kinocenter ist zur friedlichen Insel im Getöse geworden. In manchen Städten entstehen Baulücken, die irgendwann zu Biotopen und Blumeninseln werden, träume ich kurz.

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