Urteil: Untätigkeit von Mitarbeitern in Jugendämtern kann strafbar sein

Düsseldorf. Im Landtag tagt der Untersuchungsausschuss, der sich mit den Versäumnissen der Behörden im Fall des schweren Kindesmissbrauchs von Lügde befasst, da wird eine Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm bekannt. Und die dreht sich exakt um die Fragen, mit denen sich der Untersuchungsausschuss in nahezu jeder Sitzung befasst – dem Versagen der Jugendämter. In Hamm bestätigt das OLG letztinstanzlich die Verurteilung einer Jugendamtsmitarbeiterin aus dem Sauerland zu 3.500 Euro Geldstrafe wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen. Die Jugendamtsmitarbeiterin, die eine alleinerziehende Mutter mit deren neun Kindern betreut hat, sei untätig geblieben, obwohl es Hinweise aus einem anderen Jugendamt auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung zweier Kinder gegeben habe. Dadurch habe sie nicht erkannt, dass beide Kinder nicht ausreichend ernährt und mit Flüssigkeit versorgt worden sind, so das OLG Hamm. Warum schritten die Mitarbeiter vom Jugendamt nicht ein? Mit ihrem Beschluss hätten die OLG-Richter entschieden, dass ein Jugendamtsmitarbeiter nicht erst dann zum Handeln verpflichtet sei, wenn er von einer konkret eingetretenen akuten Gefährdung des Kindeswohls tatsächlich Kenntnis nimmt, teilt das Gericht mit. Vielmehr habe er auch für eine pflichtwidrig herbeigeführte Unkenntnis von einer solchen Gefährdung einzustehen. Anderenfalls wäre gerade derjenige Jugendamtsmitarbeiter, der alle an ihn herangetragenen Warnzeichen einer Kindeswohlgefährdung ignoriert und keinem Hinweis nachgeht, am umfassendsten vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt. Immer wieder dreht sich auch im Fall Lügde alles um die Frage, warum Mitarbeiter der Jugendämter Hameln und Lippe nicht gegen die Pflegschaft des später verurteilten Lügde-Haupttäters für ein kleines Mädchen eingeschritten sind – obwohl es mehrfach Hinweise auf Kindeswohlgefährdung und sexuellen Missbrauch des Mädchens gab. Trotz Hinweisen werden Verfahren gegen Mitarbeiter eingestellt Insgesamt gegen acht Mitarbeiter der beiden Jugendämter und gegen drei externe Familienhelferinnen ermittelte die Staatsanwaltschaft Detmold denn auch wegen Verletzung der Fürsorgepflicht. Obwohl in den Vernehmungen des Untersuchungsausschusses deutlich wurde, dass die Jugendamtsmitarbeiter trotz zahlreicher Hinweise auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung bis hin zum sexuellen Kindesmissbrauch untätig blieben, hat die Staatsanwaltschaft Detmold alle Verfahren eingestellt. Der Tatverdacht habe sich nicht erhärtet. Eine Verletzung der Fürsorgepflicht habe nicht festgestellt werden können, auch weil kein Vorsatz vorliege. Exakt in diesem Punkt haben die OLG-Richter nun anders entscheiden, weil sie die Untätigkeit der Jugendamtsmitarbeiterin im Sauerland für fahrlässig und damit strafbewehrt halten. Mitarbeiter verweisen immer wieder auf eine Nicht-Zuständigkeit Auch in der Sitzung des Untersuchungsausschusses am Freitag werden wieder zwei Mitarbeiterinnen des Jugendamtes Lippe als Zeugen vernommen. Für die Pflegschaft des Dauercampers aus Lügde für das kleine Mädchen, das sein Hauptopfer wurde, war das Jugendamt Hameln zuständig, weil das Pflegekind ursprünglich aus Hameln stammt. Für Ermittlungen wegen Kindeswohlgefährdung wiederum war das Jugendamt Lippe zuständig, weil der Wohnsitz des Kindes der Campingplatz im Kreis Lippe war. Innerhalb der Jugendämter ist für Pflegeverhältnisse der Pflegekinderdienst zuständig. Eine Mitarbeiterin des Pflegekinderdienstes in Lippe verweist vor dem Ausschuss deshalb immer wieder auf ihre Nicht-Zuständigkeit im Fall Lügde. Sie bestreitet sogar, vor dem Bekanntwerden der polizeilichen Ermittlungen gegen den Haupttäter irgendetwas von den früheren Hinweisen gegen ihn gehört zu haben. Mitarbeiterinnen des Jugendamtes Hameln sagten allerdings bei ihren Vernehmungen in früheren Ausschusssitzungen das Gegenteil aus. Einmal habe sich die Pflegekinderdienst-Mitarbeiterin aus Lippe sogar nach einem Hinweis auf mögliche Kindeswohlgefährdung in Hameln erkundigt. Mitarbeiterin des Jugendamts kann sich nicht erinnern Daran könne sie sich nicht erinnern, sagt die Mitarbeiterin des Jugendamtes Lippe dazu im Ausschuss. Seit 41 Jahren ist sie in der Jugendhilfe tätig. Und seit 25 Jahren arbeitet sie im Pflegekinderdienst. Eine andere Mitarbeiterin des Jugendamtes Lippe berichtet dem Ausschuss, dass die Bearbeitung von Hinweisen auf Kindeswohlgefährdung im Kreis Lippe inzwischen geändert worden sei. So müsse mehr fachliche Beratung und die abschließende Bewertung differenzierter erfolgen. Außerdem müssten die Verfahrensschritte besser dokumentiert werden. Die junge Jugendamtsmitarbeiterin war entgegen dem Rat ihrer Ärzte zur zweiten Vernehmung in den Ausschuss gekommen. Weil sie zur Aufklärung des Falles Lügde beitragen wolle, sagt sie. Die erste Vernehmung hat sie nervlich so mitgenommen, dass sie sich in fachärztliche Behandlung begeben musste.

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