"Ich bin entsetzt": Ärzte gegen Stopp für Telefon-Krankschreibung

Bielefeld/Gelsenkirchen. Wer sich krank fühlt, soll sich von diesem Montag an wieder bei seinem Arzt in der Praxis vorstellen. Ärzte, Kliniken und andere Fachleute sträuben sich allerdings gegen das am Freitag beschlossene Ende der Ausnahme-Erlaubnis für telefonische Krankschreibungen. Sie befürchten eine erhöhte Ansteckungsgefahr, wenn auch Patienten mit Corona-verdächtigen Symptomen wieder in die Wartezimmer kommen. Bielefelder Hausärzte wollen dem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses von Ärzten, Kliniken und Krankenkassen daher nicht folgen: "Patienten mit Symptomen wie Fieber oder Husten werden wir nicht in unsere Praxen lassen", sagte Ulrich Weller als Sprecher der Hausärzte. Bürger, die diese Symptome am Telefon schildern, wollen die Bielefelder Ärzte zunächst in den Corona-Diagnosezentren testen und für diese Zeit krankschreiben lassen. So wolle man Mitarbeiter und andere Patienten vor einer Ansteckung schützen. Allgemeinmedizinerin zeigt sich "entsetzt" Weller hält die Entscheidung des Bundesausschusses, die Ausnahmeregelung nicht zu verlängern, für völlig unangemessen und riskant. Er ist damit auf einer Linie mit vielen Kollegen. "Ich bin entsetzt", sagt etwa die Allgemeinmedizinerin Anja Läer aus Stemwede. Sie sei "extrem verwundert" über die sehr schnelle Umsetzung des Beschlusses bereits ab Montag - dadurch würden Patienten ebenso wie das medizinische Personal gefährdet. Hans-Albert Gehle, der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hat Verständnis für niedergelassene Ärzte, die sich von der Situation überfordert fühlen und im Zweifel weiterhin auf telefonische Krankschreibungen setzen. Grundsätzlich gehöre zu jeder Krankschreibung zwar eine direkte körperliche Untersuchung, sagt der Gelsenkirchener Internist - dies sei im Sinne des Patienten, um eine schwere Erkrankung rechtzeitig zu erkennen. Doch die nun geplante Öffnung der Praxistüren gehe zu schnell: "Besser wäre es, eine zwei- bis dreiwöchige Übergangsphase zu haben, um organisatorische Änderungen vorzunehmen", so Gehle. Mehr Beachtung für Patienten mit anderen Krankheiten Ähnlich wie Krankenhäuser könnten manche Praxen künftig eigene Isolationsbereiche für Infektionskrankheiten wie Covid 19 schaffen. In vielen Orten könnten auch spezielle "Fieber-" oder "Schwerpunkt-Praxen" eingerichtet oder ausgebaut werden. "Es sind verbesserte Strukturen nötig", so Gehle. Grundsätzlich sollte jeder Patient sich vor einem Praxisbesuch weiterhin telefonisch anmelden, fordern die Mediziner. Solange es keinen Impfstoff gebe, werde sich eine "Corona-Normalität" herausbilden müssen, sagt Gehle: Dazu gehöre, dass andere Patienten mit schweren Erkrankungen wieder mehr in den Fokus rückten. Derzeit sei es leider so, dass mancher Patient mit Herzproblemen oder Diabetes zu spät den Weg zum Arzt finde - oft einfach, weil die Angst vor einer Corona-Infektion zu groß sei. Stopp der Ausnahmeregelung gegen Willen der Mediziner Ärzte und Kliniken betonten am Wochenende, die Entscheidung, telefonische Krankschreibungen nicht mehr zu ermöglichen, sei gegen ihren Willen getroffen worden. Sie sei weder für die Praxen noch für die Patienten gut, hieß von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), die die Praxisärzte vertritt. Der Beschluss sei vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) und dem unparteiischen Vorsitzenden des G-BA getroffen worden, gegen die Stimmen der Ärzte, Zahnärzte und der Krankenhäuser, so die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). Der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, Klaus Müller, nannte den Beschluss des Bundesausschusses einen Fehler und &bdquo;unverantwortlich". Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Maria Klein-Schmeink, forderte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf, diesen kurzfristig außer Kraft zu setzen.

Meistgelesen