Illegale Polizeigewalt wird selten angezeigt

Bochum. Vier Jahre hat das Verfahren gedauert. 2018 verurteilte das Bielefelder Landgericht in einer Berufungsverhandlung einen 42-jährigen Polizisten aus Herford wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt, Freiheitsberaubung, Verfolgung Unschuldiger im Amt sowie wegen versuchten Betrugs zu einer Bewährungsstrafe von elf Monaten und einer Geldstrafe. 2014 war der Polizist während einer Verkehrskontrolle einen Mann angegangen. Das Verfahren ist ein Beispiel von Polizeigewalt, die angezeigt wurde. Einer Studie zur Erforschung illegaler Polizeigewalt in Deutschland zeigt, dass es fünf weitere Fälle geben dürfte, die nicht angezeigt wurden. Das Dunkelfeld liegt demnach bei mindestens 10.000 mutmaßlichen Gewalttaten durch Polizisten pro Jahr. Forscher der Ruhr-Universität Bochum werten seit März die Befragungen von Opfern von Polizeigewalt aus. Es ist die erste Studie dieser Art in Deutschland. Am Dienstag haben sie einen Zwischenbericht der Studie "Körperverletzung im Amt" veröffentlicht. Dafür haben ihnen knapp 3.400 mutmaßliche Opfer von rechtswidriger Polizeigewalt Auskunft gegeben. Kurz nach der Veröffentlichung der Studie melden sich Twitternutzer zu Wort. "Das wirft ein schlechtes Licht auf all diejenigen Polizisten die hart arbeiten, um uns zu schützen. Und wie immer dominieren dann einzelne Deppen das Bild der Gesamtheit", so ein Nutzer. "Wichtige Studie", schreibt ein weiterer. "Hab selbst mehrmals Polizeigewalt erfahren. Einmal sagte der Bulle danach: "Wenn du mich nicht anzeigst, zeig ich dich auch nicht an."" Wichtige Studie. Hab selbst mehrmals #Polizeigewalt erfahren. Einmal sagte der Bulle danach:"Wenn du mich nicht anzeigst, zeig ich dich auch nicht an". https://t.co/Wzx8DigpoT Phillie Banks (@PhilliBanks) September 17, 2019 Die Polizeigewerkschaft erkennt keinen Fehler Laut amtlicher Statistik wird gegen rund 4.000 Polizisten Jahr für Jahr von den Staatsanwaltschaften ermittelt - wegen 2.000 Verdachtsfällen illegaler Polizeigewalt. Das ist das sogenannte Hellfeld bekannt gewordener Vorfälle. Mit dem errechneten Verhältnis von 1:5 von Hell- zu Dunkelfeld sei man sehr vorsichtig gewesen, denn eigentlich habe die Studie sogar ein Verhältnis von 1:6 ergeben. &bdquo;Wir nehmen außerdem an, dass diejenigen, die Anzeige erstatten, sich auch eher an einer solchen Umfrage beteiligen, also überrepräsentiert sind", sagte Tobias Singelnstein vom Institut für Kriminologie. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) teilte mit, ein Systemfehler sei angesichts von jährlich Millionen Polizeieinsätzen nicht erkennbar. &bdquo;Die Polizei genießt in allen Umfragen großes Vertrauen und hohe Wertschätzung. Das wäre nicht der Fall, wenn hier etwas im Argen läge", sagte GdP-Chef Oliver Malchow.Fehlverhalten von Polizisten gebe es, werde aber &bdquo;sauber und konsequent aufgearbeitet", wenn es angezeigt werde. Möglicherweise werde oft keine Anzeige erstattet, um eigenes Fehlverhalten zu verdecken, sagte Malchow. Außerdem sei für die Forscher nicht überprüfbar, ob die Polizei im jeweiligen Fall nicht doch rechtmäßig gehandelt habe. Wer anklingen lasse, &bdquo;dass wir in Deutschland Sodom und Gomorrha haben, und die Polizei alles tun kann, was sie will, liegt verkehrt". Dagegen sieht die Menschenrechtsorganisation Amnesty International ihre Kritik im Umgang mit Polizeigewalt durch die Studie bestätigt. Die Statistik gebe den Opfern von Polizeigewalt, die keine Anzeige erstatten, recht: 97 Prozent der Verfahren gegen Polizisten würden eingestellt. Dies sei fatal und untergrabe das Vertrauen der Menschen in den deutschen Rechtsstaat. Polizisten müssten daher im Einsatz identifizierbar sein. Eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte fordern auch viele Twitternutzer, unter anderem die Piratenpartei Baden-Württemberg: Die Studie zur #Polizeigewalt bestätigt uns #Piraten in unseren Vorhaben:Eine #Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte und eine unabhängige Ermittlungsbehörde zur Kontrolle der Polizei sind dringend notwendig!https://t.co/2hGlYf804Qpic.twitter.com/242A1GWsvy Piratenpartei Ba-Wü (@PiratenBW) September 17, 2019 Nur in 14 Prozent der Fälle wird ein Verfahren eingeleitet Ein erhöhtes Risiko, Opfer eines polizeilichen Übergriffs zu werden, besteht den Wissenschaftlern zufolge bei Großveranstaltungen wie Demonstrationen oder am Rande von Fußballspielen. Gewalt der Polizei in privaten Wohnräumen sei dagegen eher selten. &bdquo;Das dürfte schon daran liegen, dass die Polizei weniger in Privatwohnungen, sondern vor allem im öffentlichen Raum agiert", sagte Singelnstein. Ein Ermittlungsverfahren gegen die Polizisten wurde nach Kenntnis der Betroffenen in nur 14 Prozent der berichteten Fälle eingeleitet. Gegen eine Anzeige entschieden sich die Betroffenen vor allem, weil sie sich keine Chance ausrechneten, oder als Rache eine Gegenanzeige der Polizisten befürchteten. Die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Studie wird fortgesetzt. Mit Material der dpa.

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