Auch Fragen zum Fall Bilel G.: Journalist liest in Herford über „das System hinter Polizeigewalt“

Herford. &bdquo;Wohin ich auch komme, höre ich von lokalen Fällen von Polizeigewalt“, sagt der Journalist Mohamed Amjahid, der im Elsbach-Haus sein neues Buch &bdquo;Alles nur Einzelfälle? Das System hinter der Polizeigewalt“ vorstellt. Um die 70 Menschen sind zu der von der Fachstelle &bdquo;NRWeltoffen“ in Kooperation mit &bdquo;Arbeit und Leben“ und dem Buchladen &bdquo;Auslese“ veranstalteten Lesung gekommen. In lockerer Form stellt er das Ergebnis von gut zehn Jahren Recherche vor. Natürlich wird der Fall &bdquo;Bilel G.“ an Amjahid herangetragen. In der Nacht des 3. Juni 2023 war der damals 19 Jahre alte Bilel G., der ohne Licht und Führerschein im Auto der Mutter unterwegs war, in eine Polizeikontrolle geraten und – laut Polizei – mit bis zu 200 Kilometern pro Stunde bis in eine Sackgasse in Bad Salzuflen geflohen. Dort wurden schließlich 34 Schlüsse auf ihn abgegeben. Bilel G. wird wohl querschnittgelähmt bleiben. Mit konkreten Aussagen zu dem Fall hielt sich Amjahid zurück, da er ihn nicht gut genug kenne: &bdquo;Ich habe zwar eine Meinung, aber mir geht es um Fakten. Nur so viel – niemand sollte, egal, was er getan hat, Opfer von Polizeigewalt werden.“ Lesen Sie auch: Alle Hintergründe zum Fall Bilel G. In vielen Aspekten sei der Fall eine Bestätigung dessen, was Studien und Recherchen zeigten. Die Rechtfertigung für einen Schusswaffeneinsatz durch die Polizei sei oft Notwehr, weil die Polizeigesetze eigentlich eine Verhältnismäßigkeit der Mittel vorsehen. Auch die oft zu beobachtende einseitige Übernahme der polizeilichen Darstellung durch die Medien habe es in diesem Fall gegeben. &bdquo;Dabei erweisen sich erste polizeiliche Meldungen nach Nachfrage oft als ungenau oder falsch und verschwinden dann kommentarlos von den Homepages der Behörden“, sagt der Autor, aber: &bdquo;Einmal in der Welt, werden sie weiterverbreitet.“ &bdquo;Das würde das Vertrauen in die Institution Polizei stärken“ Auch die lange Dauer der Ermittlungen im Fall Bilel G. sei nicht ungewöhnlich. Das liege auch daran, weil Staatsanwaltschaften und Polizei eng verzahnt seien. Selbst wenn eine Behörde aus einem Nachbarkreis mit den Ermittlungen beauftragt werde, sei davon auszugehen, dass sich die Beamtinnen und Beamten oft gut kennen.Sein Lösungsvorschlag für dieses Dilemma ist eine neutrale Ermittlungsstelle zur Aufklärung von Polizeigewalt. &bdquo;Das würde das Vertrauen in die Institution Polizei stärken.“ Bisher landen von den angezeigten Fällen von Polizeigewalt nur zwei Prozent überhaupt vor Gericht. Davon kommt es in nur 1 Prozent der Fälle überhaupt zu einer Verurteilung.“ Anders als eine von der Deutschen Hochschule der Polizei im Juli vorgestellte Studie geht Amjahid von einem deutlich höheren Anteil an Polizistinnen und Polizisten mit geschlossen rechtsextremem Weltbild als das ermittelte 1 Prozent aus und hält die Studie wegen der Nähe von Hochschule und Untersuchungsgegenstand für methodisch problematisch. Tendenz nach &bdquo;Rechts“ Generell gebe es eine Tendenz zum Kleinreden des Problems Rechtsextremismus in der Polizei. Das zeige sich im Umgang mit den vielen aufgeflogenen rechtsextremen Chatgruppen, die immer wieder zu Einzelfällen erklärt werden. Aber Rechtsextremismus in der Polizei sei nur ein Problem: &bdquo;Opfer von Polizeigewalt kann jeder werden – wer etwa zum Fußball oder auf die falsche Demo geht. Oft wird Polizeigewalt mit einer psychischen Ausnahmesituation der Betroffenen begründet. Auch Diskriminierung von Menschen mit Behinderung ist also ein Problem.“ Lesen Sie auch: Polizeischüsse auf 19-jährigen Herforder: Ermittlungen gegen vier Polizistinnen eingestellt Verbreitete, illegale Praxis sei das Abfragen privater Daten. Manchmal gehe es &bdquo;nur“ um die Adresse des neuen Partners der Exfreundin, manchmal landen sie bei Rechtsextremen wie es der NSU 2.0 gezeigt hat. Hier wurden von Rechtsextremisten Hunderte Morddrohungen an Gegnerinnen und Gegner verschickt. Dabei wurde ein Teil der Kontaktdaten illegal von Polizeicomputern aus abgefragt. &bdquo;Ein gut ausgestattetes Jugendzentrum beugt Kriminalität vor“ Ein grundsätzliches Problem sieht Amjahid darin, dass die Polizei oft bei gesellschaftlichen Problemen vorgeschickt werde: &bdquo;Das ist für niemanden gut, auch nicht für die Polizei.“ Statt in den ständigen Ausbau des Polizeiapparates solle lieber in Sozialpolitik investiert werden: &bdquo;Ein gut ausgestattetes Jugendzentrum beugt Kriminalität vor.“ Allerdings gehe der Trend in der Politik in eine andere Richtung. Vom wachsenden Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte in den Reihen der Polizei erwartet er keine Verbesserung, im Gegenteil: &bdquo;Sie müssen sich oft besonders beweisen und schlagen noch härter zu.“ Studien dazu aus Deutschland gebe es noch nicht, aber Erkenntnisse aus den USA oder Großbritannien hält er für übertragbar. Wunsch nach gesellschaftlicher Debatte Für die Missstände in der Gesellschaft hat er mehrere Erklärungen. Da seien die im Dritten Reich geprägte Chiffre vom &bdquo;Freund und Helfer“ oder die Popkultur mit unrealistischen Darstellungen der Polizeiarbeit. In unterschiedlichsten Fernsehformaten betreten Ermittelnde ständig Wohnungen ohne Durchsuchungsbeschluss, konfiszieren und durchsuchen Smartphones oder wenden Gewalt an, um einen Fall zu lösen. Das Problem:“ Echte Beamtinnen und Beamte adaptieren die illegalen Praktiken, die Betroffenen akzeptieren sie, weil sie sie für legal halten.“ Für Amjahid ist Polizeigewalt ein System, dass &bdquo;kein Individuum mit einer Verhaltensänderung oder erhöhter Sensibilisierung lösen kann“. Er akzeptiert, dass die Polizei ihr Gewaltmonopol notfalls auch bewaffnet ausübt, wünscht sich aber eine gesellschaftspolitische Debatte, um die &bdquo;unverhältnismäßige, politisch motiviert und strukturell von Polizistinnen und Polizisten ausgehende Gewalt“.

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