Ungewöhnliche Geschäftsidee

Praxisgründung mit 63 - eine Antwort auf den Ärztemangel

In einem Alter, in dem andere an die Rente denken, hat Carola Doreentz ihre eigene Praxis eröffnet. Auch deswegen, weil in ihrer ländlichen Region der Ärztenachwuchs fehlt.

Mediziner müssen vor allem in ländlichen Regionen gesucht werden: Eine Ärztin trägt ein Stethoskop um den Hals. | © picture alliance/dpa

11.06.2019 | 17.06.2022, 10:43

Munster (epd). Bei Carola Doreentz in der Praxis ist alles neu: Die Wände sind frisch gestrichen, der Fußboden neu verlegt, am Eingang lässt sie sogar derzeit ein Porträt ihrer Mutter an die Wand malen. Nur das Plakat mit den Worten des hippokratischen Eids ist schon ein wenig vergilbt, trotz der schützenden Glasplatte davor. „Das habe ich mal meinem Vater geschenkt - und jetzt übernommen", sagt sie. Denn ihr Vater war auch einst Allgemeinmediziner. Seit Anfang April hat Carola Doreentz eine eigene Praxis im niedersächsischen Munster.

Was sie von anderen Menschen unterscheidet, die den Schritt in die Selbstständigkeit wagen, ist ihr Alter: 63 Jahre ist sie alt und verfügt über eine Jahrzehnte lange Berufserfahrung. Dass ein Mensch mit so viel Lebens- und Arbeitsjahren noch einmal etwas Neues unternimmt, wenn andere längst an die Rente denken, ist ungewöhnlich - und doch auch bezeichnend für den Ärztemangel in vielen Regionen.

"Leute betteln förmlich, dass ich sie als Patienten aufnehme"

Denn Doreentz hat sich auch deswegen für ihre eigene Praxis entschieden, weil es in ihrer Region schlicht niemand anderen gibt, der eine solche neu eröffnen würde. „Zu mir kommen immer wieder Leute und betteln förmlich, dass ich sie als Patienten aufnehme", sagt sie. Und das macht Doreentz dann auch. Sie sagt, sie weise niemanden ab.

Carola Doreentz hat viele Jahre als angestellte Allgemeinmedizinerin gearbeitet: Erst für die Bundeswehr, die in Munster einen Truppenübungsplatz unterhält, und später in einem Medizinischen Versorgungszentrum. Das wurde Mitte vergangenen Jahres geschlossen.

Doreentz hätte als Springer weitermachen können und mal hier eingesetzt werden können und mal dort - oder einfach in Rente gehen. Auf beides hatte sie keine Lust. Also kündigte sie. Und gründete eine neue Praxis. Die zwei Sprechstundenhilfen aus dem Versorgungszentrum kamen gleich mit - und die meisten Patienten von dort auch.

"Im Umkreis von 30 Kilometern keine weiteren Ärzte"

Auf 800 Menschen schätzt Doreentz ihren Patientenstamm. An fünf Tagen in der Woche hat sie Sprechstunde - meistens kommen mehr als 30 Leute am Tag. Wenn man sie fragt, wie viele Ärzte es in Munster gibt, einer Stadt mit 15.000 Einwohnern, dann braucht sie zum Zählen knapp eine zweite Hand. „Und man braucht uns ja nicht nur in der Stadt. Im Umkreis von 30 Kilometern gibt es keine weiteren Ärzte. Die Leute kommen von weit her zu uns."

Nur ein Mediziner in Munster ist unter 50 - er stieg mit in die Praxis seines Vaters ein. Das Problem besteht bundesweit. Nach Zahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sind 30 Prozent aller Ärzte älter als 60 Jahre, bei den Hausärzten sind es sogar 35 Prozent. Fünf Prozent der Hausärzte sind demnach sogar älter als 65 - die Altersgrenze von 68 Jahren für Vertragsärzte für Kassenpatienten ist längst aufgehoben.

Insgesamt liegt das Durchschnittsalter deutscher Hausärzte bei 55,2 Jahren - das sind drei Jahre mehr als 2008. Langfristig droht in manchen Regionen ein Arztmangel, denn ältere Mediziner werden nicht ersetzt.

Viele Mediziner arbeiten bis ins hohe Alter

Nach Ansicht des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministers Karl-Josef Laumann (CDU) liegt das auch daran, dass das Ausbildungssystem zu wenig auf den Wunsch nach Vereinbarkeit von Arbeit und Leben reagiere. „Wir bilden zu wenig Ärzte aus", beklagte Laumann Ende Mai auf dem Deutschen Ärztetag im westfälischen Münster.

Dass Mediziner bis ins hohe Alter arbeiten, ist nicht der Grund für eine Überalterung der Ärzteschaft, sondern Folge des Mangels. Wer soll es denn sonst machen, fragt Carola Doreentz. Und jetzt, wo sie noch einmal ganz von vorne angefangen hat, wird sie auch noch lange dabei bleiben, da ist sie sicher. „In zwei Jahren beziehe ich Rente, vielleicht werde ich irgendwann mal etwas weniger arbeiten. Aber ganz aufhören werde ich sicher noch lange nicht." Warum auch? Einer ihrer Kollegen im Ort ist 80.