
Gütersloh. Das Bürgergeld ist durch die Sondierungsgespräche derzeit vermehrt im Gespräch. CDU, CSU und SPD haben sich kürzlich auf Festlegungen für eine ganze Reihe von Themen verständigt - darunter eben auch das Bürgergeld. An die Stelle der bisherigen Sozialleistung soll eine „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ treten. „Wer die Grundsicherung für Arbeitsuchende verändern will, muss im Auge behalten, wie sich einzelne Sozialleistungen gegenseitig beeinflussen“, meint dazu die in Gütersloh sitzende Bertelsmann Stiftung. Die Stiftung hat am Montag Vorschläge zur Reform des Bürgergelds vorgelegt.
Union und SPD wollen den mit dem Bürgergeld abgeschafften Vermittlungsvorrang „für Menschen, die arbeiten können“, wieder einführen. Zudem sollen „Mitwirkungspflichten und Sanktionen“ verschärft werden bis hin zur kompletten Einstellung der Zahlungen: „Bei Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen.“
„Wer etwas verändern wolle, müsse schauen, welche Auswirkungen diese Änderungen auf das verfügbare Einkommen haben“, schreiben die Autoren des Papiers, Tobias Ortmann, Eric Thode und Roman Wink. „Wer Anreize für Beschäftigung schaffen will, muss darüber hinaus sicherstellen, dass mögliche Sanktionen die Menschen nicht existenziell gefährden. Bei der Ausgestaltung der Grundsicherung kann es also keine simplen Lösungen geben. Die Stigmatisierung einzelner Personengruppen ist einer konstruktiven Debatte zum Bürgergeld ebenso abträglich wie gefühlte Fakten.“
Das sind die Bürgergeldempfänger
Die Zahl der Bürgergeldempfänger steigt. Das geht aus einer Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes aus dem vergangenen Herbst hervor. Demnach haben Ende 2023 knapp 5,5 Millionen Menschen die Leistung erhalten – ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr um 1,1 Prozent. Laut Bundesagentur für Arbeit waren es 2024 knapp 5,6 Millionen Empfänger. Für ihre Betreuung sind die Jobcenter zuständig. Die Gesamtkosten für alle Leistungen der Grundsicherung belaufen sich der Bertelsmann Stiftung zufolge pro Jahr auf rund 52 Milliarden Euro, wovon etwa 29 Milliarden Euro als Bürgergeld gezahlt werden.
Die Bertelsmann-Stiftung hat erfasst, wer die Empfänger in der Regel sind: Demnach leben davon mehr als 1,6 Millionen Menschen allein und bilden mit gut 56 Prozent die größte Gruppe der sogenannten Bedarfsgemeinschaften. Die Mehrzahl der Bürgergeldempfänger hat keinen Berufsabschluss (1,2 Millionen). „Bemerkenswert ist die Altersstruktur“, schreiben die Autoren. „Die meisten der arbeitslosen Bürgergeldempfänger gehören zu den jüngeren Altersgruppen bis einschließlich 44 Jahre. Gerade bei den jungen Erwerbsfähigen zeigt sich ein großes Beschäftigungsdefizit.“
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Regelverstöße können sanktioniert werden, diese Möglichkeit wird aber selten genutzt. Die Stiftung schreibt für den November 2024 von 29.612 erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit mindestens einer Leistungsminderung - eine Quote von 0,8 Prozent. „Jüngere (unter 25 Jahren) und Männer sind mit 0,9 bzw. 1 Prozent überrepräsentiert, Ausländer mit 0,4 Prozent unterrepräsentiert.“
Empfehlungen der Gütersloher Bertelsmann-Stiftung
Laut der Bertelsmann-Stiftung ist das System der Transferleistungen zu komplex und für Leistungsberechtigte kaum zu durchschauen, weswegen potenzielle Berechtigte einige Leistungen nicht in Anspruch nehmen. Zudem würden hohe Transferentzugsraten Fehlanreize schaffen. „Häufig lohnt sich Mehrarbeit kaum, da zusätzliches Bruttoeinkommen in weiten Bereichen das Nettoeinkommen nur in sehr geringem Maße steigert“, ist in dem Papier zu lesen.
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Die Autoren kritisieren des Weiteren die kaum genutzten Möglichkeiten der Sanktionierung und dass „Leistungsberechtigte nicht unmittelbar bei Eintritt ins Bürgergeld in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen eingebunden“ werden. Zudem fehle es den Menschen im Leistungsbezug „an individueller Unterstützung“. Abschließend schreiben die Autoren, dass die Effizienz „der Jobcenter im Bereich Bürgergeld in den letzten Jahren gesunken“ sei.
Aus ihren Erkenntnissen haben sie Handlungsempfehlungen abgeleitet:
- Die Komplexität des Sozialleistungssystems sollte reduziert werden. Zielführender sei „eine umfassende Reform, die die verschiedenen Unterstützungsbereiche der Grundsicherung, Familienleistungen und des Wohngeldes in ein einziges System integriert“, schreiben die Autoren. „Lässt sich dafür keine politische Mehrheit finden, sollten die verschiedenen Bereiche zumindest besser aufeinander abgestimmt werden.“
- Effektive Sanktionen sollten ermöglicht und individuelle Unterstützung angeboten werden.
- Die Autoren empfehlen Sofort-Aktivierungsmaßnahmen und empfehlen, die gesellschaftliche Teilhabe zu fördern. „Denkbar wären Angebote für reguläre oder geförderte Arbeit, aber auch berufliche Qualifizierungen sowie praktische Arbeitsgelegenheiten. Das würde die Beschäftigungsfähigkeit erhöhen und die Integration in den Arbeitsmarkt beschleunigen.“
- Es sollten zudem insbesondere für jüngere Menschen mehr abschlussorientierte Qualifizierung für eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration ermöglicht werden. Dafür bräuchten die Jobcenter hinreichend Mittel.
- Zuletzt müsse die Effizienz der Jobcenter gesteigert werden. „Eine pauschalierte Mittelzuweisung je erwerbsfähigen Leistungsberechtigten könnte eine transparente und besser planbare Mittelverteilung ermöglichen“, schreiben die Autoren. „Gleichzeitig muss jedoch die Heterogenität der Leistungsbeziehenden berücksichtigt werden, sodass die Mittelvergabe nicht nur pauschal erfolgt, sondern auch innerhalb dieses Rahmens bedarfsgerecht differenziert wird. Eine solche Ausgestaltung würde dazu beitragen, die realen Herausforderungen in den Jobcentern angemessener abzubilden.“