Sind Totalverweigerer einfach nur faul? Deutliche Worte vom Gütersloher Jobcenter-Chef

In der politischen Diskussion ist oft von Totalverweigerern bei Beziehern des Bürgergelds die Rede. Gibt es die? Und wie hoch ist ihr Anteil an der Gesamtzahl? FRED KUPCZYK: Zunächst einmal möchte ich anmerken, dass der Begriff &bdquo;Totalverweigerer“ politisch erfunden wurde und in den Gesetzen so gar nicht existiert. Aber natürlich gibt es bei 13.800 erwerbsfähigen Leistungsbeziehern im Kreis Gütersloh auch ein paar, die schlicht keinen Bock haben, zu arbeiten. Deren Anteil ist aber verschwindend gering. Es ist bundesweit von einem Prozent die Rede. Gilt diese Zahl auch für Ihre Behörde? Das entspricht etwa der Quote von Fällen, bei denen wir die Leistung kürzen, weil Arbeitslose unsere Arbeits- oder Qualifizierungsangebote ablehnen. Insofern ist das öffentliche Bild gerade sehr schräg. Es ist also falsch, davon zu sprechen, dass ein Teil der Leistungsbezieher faul ist? Faulheit ist kein Kriterium, das ich überprüfen kann. So wie ein bestimmter geringer Prozentsatz der Bevölkerung hochintelligent oder auch alkoholkrank ist, egal ob Politiker, Journalist oder Beamter, wird es rein statistisch natürlich auch unter Bürgergeldempfängern einen kleinen Anteil geben gibt, der bequem ist. Das ist doch ganz normal. Letztlich entscheidet jeder Arbeitgeber nach seinen Kriterien, wer eine Stelle bekommt. Beherrscht der Bewerber die Sprache ausreichend, ist der fit im Kopf, ist der lernfähig, ist der freundlich, ist der pünktlich, kann der was, ist er motiviert? Das sind Punkte, die trainieren wir und die vermitteln wir auch unseren Kunden. Wirkt sich die aktuelle Diskussion schädlich auf die Arbeit des Jobcenters aus? Ja, denn negative Bilder fördern nicht gerade die Zusammenarbeit mit unseren Kunden und erhöhen eher Vorbehalte bei Arbeitgebern. Wer sind diese Verweigerer? Gibt es bestimmte Gruppen? Das kann man nicht in Gruppen einteilen. Es gibt nicht den Verweigerer, so wie es nicht den Bürgergeldempfänger oder den Beamten oder den Politiker gibt. Aber vielleicht können Sie doch Beispiele nennen? Das mag jemand sein, der in der Schule gescheitert ist. Jemand, der schuldlos seine Arbeit verloren hat oder der psychische Einschränkungen hat. Dahinter stecken die unterschiedlichsten Lebenshintergründe. Wir haben vielleicht TV-Bilder vor Augen, gewisse Hardcore-Fälle. Dagegen ist der Kreis Gütersloh noch ein wenig heile Welt, solche Fälle gibt es bei uns nicht. Welche nachvollziehbaren Gründe gibt es, eine Arbeit nicht anzunehmen? Da muss ich erst einmal den Begriff der Erwerbsfähigkeit definieren. Erwerbsfähig ist jeder Mensch, der gesundheitlich, körperlich und intellektuell in der Lage ist, drei Stunden am Tag zu arbeiten. Diese Voraussetzung zu erfüllen, ist keine hohe Hürde. Doch wir haben eine erkleckliche Anzahl von Menschen mit gesundheitlichen und psychischen Einschränkungen und mit Suchtvorerfahrungen. Das sind neben klassischen Einstellungsmerkmalen Gründe, warum Menschen von einem Arbeitgeber nicht eingestellt werden. Gibt es auch äußere Umstände, die eine Arbeitsaufnahme erschweren? Eine alleinerziehende Mutter beispielsweise ist im Kreis Gütersloh nicht in der Lage, morgens um sechs Uhr einen Schichtdienst anzutreten. Denn es gibt im gesamten Kreis keine Kinderbetreuung ab halb sechs Uhr morgens. Aus dem gleichen Grunde ist keine Alleinerziehende in der Lage, über 16 Uhr hinaus und in den Abendstunden zu arbeiten. Wir sind ein produktionsorientierter Landkreis, mit einem erheblichen Umfang Schichtarbeit. Allein das ist ein Hemmnis. Auf welchen Arbeitsmarkt treffen die Menschen aktuell im Kreis Gütersloh? Während die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bundesweit konstant bleibt, geht sie im Kreis Gütersloh langsam runter. Die Zahl der offenen Stellen nimmt ab, die Zahl der Kurzarbeitsstellen nimmt zu. Arbeitgeber werden wieder verhaltener, Menschen einzustellen. Es ist immer Moment schwieriger, auf Hochtouren zu produzieren. Und trotz großer Wohnungsnot schwächelt das Bauhandwerk. Dabei haben wir gerade im Handwerk tolle Integrationsmöglichkeiten. Lesen Sie auch: Jeder neunte Bürgergeld-Haushalt zahlte bei Wohnkosten drauf Wo kann das Jobcenter denn unterstützend eingreifen? Mobilität ist ein Problem. Menschen müssen flexibel sein, weil sie beispielsweise auf Baustellen arbeiten. Sie benötigen also einen Führerschein. Wir können bedingt unterstützen, indem wir den Führerschein fördern, der dann natürlich bestanden werden muss, oder ein Fortbewegungsmittel, vom Fahrrad über den Roller bis zum Auto. Der Spracherwerb wird immer als Schlüsselqualifikation genannt. Das ist ganz entscheidend. Menschen müssen Sicherheitshinweise verstehen können, wenn sie in einer Produktion mit hohem Maschineneinsatz arbeiten wollen. Aber auch eine Dienstleistung kann nicht an den Mann gebracht werden, ohne sich hinreichend auf Deutsch zu verständigen. Sie trotzdem – sozusagen &bdquo;unter Wert“ – zu vermitteln ist oft anstrengend und im Sinne des Bürgergeldgesetzes eigentlich auch nicht gewollt. Wie gehen Sie beim Jobcenter Gütersloh mit Totalverweigerern um? Schöpfen Sie die möglichen Maßnahmen, beispielsweise Kürzung des Leistungsbezugs, aus? Grundsätzlich ja, aber die aktuelle Regelung ist genau wie der Begriff selbst ein Schuss in den Ofen. Ein Beispiel: Wir haben eine Familie mit zwei Kindern. Die Familie hat die Unterkunftskosten sicher und hat noch rund 1.500 bis 1.800 Euro zur Verfügung. Und jetzt kürzen wir dem Vater, weil der nicht arbeiten will, 10 Prozent des Regelsatzes, also ca. 50 Euro. Ich frage zurück: Bewirkt das was? Ich glaube: Die Regelung ist nicht zielführend. Wären drastischere Kürzungen sinnvoller? Über eine Sanktion erreicht man bei den Menschen keine Änderung in der Haltung. Da könnte ich auch 50 Prozent Kürzung androhen. Auch bevor das Bundesverfassungsgericht deutliche Einschränkungen bei den Leistungskürzungen aussprach, ist es oft nicht gelungen, jemand über Kürzungen in die Spur zu bringen. Als pädagogisches Instrument sind Leistungskürzungen grundsätzlich fragwürdig. Was wäre eine Alternative? Sind diese Leute noch erreichbar für das Jobcenter? Das Jobcenter ist eine umsetzende Behörde, wo alle Mitarbeitenden das Gesetz zu befolgen und gegen jedermann Gerechtigkeit walten zu lassen haben. Insofern muss der Gesetzgeber die Regeln beschreiben, wie diese Gerechtigkeit aussieht. Mit dem Bürgergeld hat das ehemalige Hartz-IV-System eine Wende dahingehend erfahren, wonach weniger Fördern und Fordern im Gleichklang verhandelt wird zwischen Jobcenter und Bürger, sondern indem der Staat dem Menschen Angebote macht. Viele nehmen die Angebote an, andere nicht. Das Prinzip &bdquo;Leistung und Gegenleistung“ – ich nenne bewusst zwei andere Begriffe als Fordern und Fördern – ist in der Sozialgerichtssprechung durchaus belastbar. Vielleicht möchte der Gesetzgeber diesen Gedanken ja mal aufgreifen. Aber es wurde bereits beim Bürgergeld nachgebessert. Reicht das nicht? Mir kommt die gesetzliche Regelung vor wie ein Feigenblatt – es gibt eine Regel, nur taugt sie nicht. Oder glauben Sie, dass ein Arbeitgeber eine Stelle für jemanden freihalten wird, der sie gar nicht antreten möchte, nur damit wir, das Jobcenter, ein rechtssicheres Kürzungsverfahren durchführen können? Das ist doch weltfremd. Ist der Vorwurf berechtigt, dass der Abstand zwischen Lohn und Bürgergeld zu gering ist? Ja und nein. Ja, weil wir sehen, dass mit dem Mindestlohn jeder Hausstand, der mehr als eine Person umfasst, nicht über die Runden kommt. Und nein, weil Arbeit an sich sinnvoll ist. Zu arbeiten bedeutet ja nicht nur Geld zu verdienen, sondern Arbeit bringt mich ja auch als Mensch in eine Gesellschaft, in eine Firma, in einen Kollegenkreis. Damit steigt die Akzeptanz und der Integrationserfolg und ich bin gegebenenfalls auch Vorbild für meine Kinder. Deswegen ist bei Arbeit, wenn auch im Einzelfall die Differenz nur sehr gering ist, immer auch über Werte zu reden und nicht nur über den Abstand zwischen Lohn und SGB II-Leistung. Die Anteil sozialversicherungspflichtig Beschäftigter unter den 2015 nach Deutschland Geflüchteten, insbesondere von Syrern, beträgt mittlerweile bundesweit 60 Prozent. Stimmt diese Zahl auch für den Kreis Gütersloh? Ja, in den letzten vier, fünf Jahren haben uns speziell die syrischen Männer die Vermittlungsstatistik gerettet. Die hatten drei, vier Jahre nach ihrer Ankunft ausreichend Sprachkenntnisse erworben, den Führerschein gemacht und eine Arbeit gefunden. Statistisch fallen uns allerdings die Familiennachzüge auf die Füße, wenn Frau und Kinder nachgeholt werden und dann das Erwerbseinkommen nicht mehr ausreicht. Ukrainer sind schneller in den Arbeitsmarkt zu integrieren als andere. Sind die integrationswilliger? Mich stört es, Personengruppen gegeneinander auszuspielen. Aber ja, ich spüre eine größere Bereitschaft seitens der Arbeitgeber, Menschen aus der Ukraine einzustellen. Möglicherweise liegt es daran, dass Bildungssysteme und Berufsabschlüsse denen in Deutschland näher sind als solche aus der Dritten Welt. Deshalb bleibt die Frage: Welche Chancen gibt die Gesellschaft den Menschen? Speziell die Integration Zugewanderter bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

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