Manch einer dürfte es von Telefonaten zu Hause oder bei der Arbeit bekannt vorkommen: Seit Corona das vorherrschende Thema in unserem Leben geworden ist, haben sich die Gespräche verändert. Manche sind sorgenvoller, intensiver oder persönlicher geworden und sie dauern einfach länger. Wie ist das jetzt nur bei der Telefonseelsorge, wo man sich am Telefon professionell um die Sorgen der Menschen kümmert?
„In der Corona-Krise ist in meinen Gesprächen die Einsamkeit ein riesiges Thema", erklärt ein ehrenamtlicher Telefonseelsorger. Den Namen des früheren Journalisten aus OWL dürfen wir nicht nennen, denn für ihn gilt genauso wie für alle Anrufer das oberste Gebot der Telefonseelsorge: Die Anonymität. Mit dem Eintritt in die Rente hat er nach einer sinnvollen Tätigkeit gesucht und von der Telefonseelsorge in der Zeitung gelesen. „Und Zuhören war mir aus meinem Berufsleben ja sehr vertraut", sagt er und lacht.
Thema Einsamkeit

Rund 15 Stunden in der Woche ist er für die Anrufer da – meist trage er sich für die Schichten am Vormittag ein. Das Team bestünde zu einem Drittel aus Männern und zu zwei Dritteln aus Frauen. „Das ist aber kein Club der alten Herren und Damen", sagt der 67-Jährige und lacht. Tätig seien dort auch viele ehrenamtliche Mitarbeiter, die im Berufsleben stehen. Zum Beispiel aus dem Gesundheitswesen oder Lehrkräfte, die nach Feierabend oftmals Abend- oder Nachtdienste übernähmen. Mit dem Thema der Einsamkeit hätten besonders viele ältere Leute zu tun, die derzeit keinen Kontakt zu ihren Angehörigen haben dürfen oder die einfach keinen anderen Menschen mehr haben. Doch das Angebot der Telefonseelsorge nutzten Menschen allen Alters und Milieus und erzählten ihre Sorgen.
Keine Vorwürfe
„Beziehungsprobleme sind immer ein Thema, genauso wie Konflikte zwischen Eltern und Kindern, häusliche Gewalt oder auch praktische Fragen wie Anträge für Sozialleistungen." Eine Patentlösung für ihre Probleme bekommen die Anrufer jedoch nicht serviert – in einer rund 150 Stunden umfassenden Ausbildung wurden alle ehrenamtlichen Mitarbeiter darauf geschult, die Anrufer dahin zu führen, dass sie selbst Lösungen sehen und finden können. „Wir stellen gezielt Fragen. Und durch das Erzählen reflektieren die Anrufer ihre Situation und sehen vieles klarer." Dabei spielt die Gesprächsatmosphäre eine entscheidende Rolle. „Wir begegnen uns respektvoll und auf einer Ebene. Ich frage nicht nach dem Warum und mache keine Vorwürfe." Denn die haben die Anrufer oftmals schon oft genug von Menschen aus ihrem Umfeld gehört. Gerade diese Emotionalität zwischen Menschen verhindere oft, dass sie einen Weg aus einer verfahren scheinenden Situation sehen und einschlagen könnten. Ausgerechnet der bewusste Verzicht auf Emotionalität ermögliche ganz unbefangen, jeden Anrufer „mit dem Herzen zuzuhören". Empathie und Wertschätzung schaffen nämlich Vertrauen. Gerade in dieser sorgenvollen Zeit sei das Teilen der Sorgen besonders wichtig. Denn mit ihnen gingen Druck und Ängste einher.
Reden als Befreiung
„Das Reden wirkt dann wie eine Befreiung", erzählt er, der zunächst daran zweifelte, ob die Telefonseelsorge als Einrichtung der katholischen und evangelischen Kirche ihn als Konfessionslosen überhaupt nehmen würde. Doch das war kein Problem und er sei auch nicht der einzige „Ungläubige" im Team, das er sehr zu schätzen gelernt hat. „Normalerweise treffen wir uns alle zwei Wochen mit einer festen Gruppe von Telefonseelsorgern, um über das Gehörte zu sprechen und es zu verarbeiten", sagt er. Zuvor wurden die Ehrenamtler im Rahmen der Ausbildung gezielt auf Themen wie Sucht, psychische Probleme, Beziehungsprobleme und Suizid unterrichtet und mit Fragetechniken ausgestattet. „Das läuft so ähnlich wie in einer praktischen Uni-Vorlesung."
Wegen Corona fielen die Gruppentreffen derzeit aus, was er sehr bedauert. „Ich freue mich jedes Mal darauf, denn die Beziehung zueinander ist sehr intensiv. Es ist ein sehr offenes Miteinander, wo man auch selbst einmal über seine privaten Themen sprechen kann."
Lösung Eigeninitiative
Durch seine Tätigkeit hat er auch einen anderen Blick auf seine eigene Welt erlangt. „Man verliert oft im Alltag den Blick fürs Ganze. Ich sehe jetzt mein Leben viel klarer und weiß zu schätzen, was ich alles habe." Um möglichst gut durch diese Zeit zu kommen, gibt der Telefonseelsorger ein paar praktische Tipps: Gespräche suchen, an die Luft gehen, ein womöglich negatives Umfeld ausblenden und sich vor allen Dingen jeden Tag etwas vorzunehmen, statt sich hängen zu lassen. „Eigeninitiative ist ein Allheilmittel, das nichts kostet", sagt er.
Und wann ist er selbst so richtig zufrieden? In seinem früheren Job als Journalist habe er eine gewisse Genugtuung verspürt, wenn er zuerst ein Thema aufgegriffen hatte, und die Wettbewerber das Nachsehen hatten. Als Telefonseelsorger ist an diese Stelle etwas anderes getreten. „Das Schönste ist für mich, wenn jemand am Ende des Gesprächs einen Weg für sich sieht und vielleicht auch wieder lachen kann."