Detmold

In diesem Jahr stehen deutschlandweit vier Auschwitz-Prozesse an

Beihilfe zum Mord: In Detmold, Hanau, Kiel und Neubrandenburg

Mehrere ehemalige KZ-Mitarbeiter stehen in diesem Jahr vor Gericht. | © Tobias Schreiner

Lothar Schmalen
10.02.2016 | 15.02.2016, 10:26

Detmold. Der am Donnerstag in Detmold beginnende Auschwitz-Prozess steht in einer Reihe mit einigen anderen Auschwitz-Verfahren dieses Jahres: In Neubrandenburg steht Ende des Monats der Prozessauftakt gegen einen 95 Jahre alten früheren Angehörigen des SS-Sanitätsdienstes in Auschwitz-Birkenau an. In Hanau soll Mitte April das Hauptverfahren gegen einen 93-Jährigen Ex-Wachmann des KZ beginnen - vor der Jugendkammer, weil er anfangs erst 19 Jahre alt war. In Kiel ist eine 92-jährige Frau angeklagt: Als Funkerin der Lager-Leitung soll sie bei der systematischen Ermordung verschleppter Juden geholfen haben.

Die Anklagen machen deutlich: Mordbeihilfe verjährt ebenso wenig wie Mord. Dass heute hochbetagte Ex-SS-Leute noch nach Jahrzehnten damit rechnen müssen, belangt zu werden, liege aber auch an einem Umdenken der Strafverfolgungsbehörden, erklärt Staatsanwalt Jens Rommel. Er ist Leiter der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg. In den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg habe man sich stärker auf die Täter und nicht auf die Gehilfen konzentriert, sagt er. Belangt wurde, wer selbst geschossen hatte, Gas in die Kammern leitete oder Tötungsbefehle gab.

Gegen Gehilfen in den KZ hatte es zwar in den 1960er Jahren Verurteilungen gegeben. Die Ansätze dieser Rechtspraxis wurden aber im Keim erstickt: 1969 entschied der Bundesgerichtshof, nicht jeder, der in die Vernichtungsmaschinerie der KZ eingebunden war, sei für alles, was dort geschah, verantwortlich.

Wendepunkt war die Anklage und Verurteilung von John Demjanjuk: Er wurde 2011 wegen Beihilfe zum Mord an 28 000 Juden für schuldig gesprochen, weil er als Wachmann im Vernichtungslager Sobibor tätig gewesen war. "Das Gericht machte damit deutlich: Ohne die einzelnen Räder in der Maschine hätte das Vernichtungssystem nicht funktioniert", sagt Rommel.

Es folgte ein aufsehenerregender Prozess gegen den als "Buchhalter von Auschwitz" bezeichneten Oskar Gröning. Das Urteil: Vier Jahre Haft wegen Beihilfe zum Mord an mindestens 300 000 Juden. Der Richter des Landgerichts Lüneburg kritisierte in seiner Urteilsbegründung im Sommer 2015 die frühere Rechtsprechung, die so viele SS-Leute am Rande der mörderischen Geschehnisse hatte davon kommen lassen. Von 6.500 SS-Männern, die in Auschwitz ihren Dienst taten, seien bislang nur 49 verurteilt worden.

Heute sind die neu aufgenommenen Ermittlungen gegen die möglichen KZ-Schergen auch anderer Lager wie Majdanek, Bergen-Belsen und Neuengamme ein Wettlauf gegen die Zeit. Vor Gericht gestellt werden nur greise Männer und Frauen - wer am Ende des Krieges erwachsen war, ist heute über 90 Jahre alt.