Impfgipfel verschoben

Astrazeneca: Institut erklärt Empfehlung für Impfstopp

Das Paul-Ehrlich-Institut verteidigt die Empfehlung für den Stopp. Mediziner zweifeln an der Entscheidung. Der für Mittwoch geplante Impfgipfel zwischen Bund und Ländern wird verschoben.

Deutschland pausiert vorsorglich bei der Verimpfung des Wirkstoffs. | © AFP

16.03.2021 | 16.03.2021, 14:39

Berlin (rtr/dpa). Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), Klaus Cichutek, rechtfertigt die Empfehlung eines vorübergehenden Impfstopps mit dem Präparat von Astrazeneca. "Die Bürgerinnen und Bürger wollen sich darauf verlassen, dass die Impfstoffe, die wir zulassen, sicher und wirksam sind", sagte er im "tagesthemen"-Interview in der ARD. "Ich glaube, wir haben hier eine besondere Verpflichtung."

Von den sieben in Deutschland aufgetretenen Fällen mit Thrombosen (Blutgerinnseln) der Hirnvenen im zeitlichen Zusammenhang zur Impfung sind drei tödlich verlaufen, wie Cichutek sagte. "Wir haben auf Grund von neuen Untersuchungen, aber auch neuen Meldungen, eine neue Lage."

Mit Blick auf Großbritannien, von wo solche Fälle in dem Maß noch nicht bekannt geworden sind, erklärte er, der Fokus sei bisher auch nicht speziell auf solche Fälle gerichtet gewesen. Die deutschen Befunde seien nun im europäischen Vergleich zu diskutieren und mit europäischen Daten abzugleichen. Zu den Auswirkungen auf die deutsche Impfkampagne sagte Cichutek: "Wenn es ein bisschen länger dauert, ist das ok."

Bei Beschwerden Arzt aufsuchen

Mit dem Astrazeneca-Präparat Geimpfte haben nach seinen Worten nichts mehr zu befürchten, wenn ihre Impfung 16 Tage zurückliegt. Davor sollten sie dann einen Arzt aufsuchen, wenn sie über die ersten Tage nach der Impfung hinaus anhaltende Kopfschmerzen oder Hauteinblutungen hätten, riet der PEI-Präsident.

Bei bislang mehr als 1,6 Millionen Impfungen mit dem Astrazeneca-Wirkstoff in Deutschland seien dem Institut inzwischen sieben Fälle von Thrombosen bekannt, die in zeitlichem Zusammenhang mit einer Astrazeneca-Impfung aufgetreten waren. Es sei daher gerechtfertigt, einen Moment zu pausieren. Nun müsse europaweit diskutiert und die europäischen Daten müssten abgeglichen werden.

Impfgipfel verschoben

Als Reaktion auf die Aussetzung wird der für Mittwochabend geplante Impfgipfel zwischen Bund und Ländern verschoben. Das teilte ein Regierungssprecher am Dienstag mit. Es solle zunächst eine Entscheidung der europäischen Arzneimittelbehörde EMA zum Einsatz des Vakzins von Astrazeneca abgewartet werden.

Bei der Telefonkonferenz von Kanzlerin Angela Merkel und den Ministerpräsidenten der Länder sollte es auch um die Frage gehen, wie die Hausärzte flächendeckend in den Impfabläufen berücksichtigt werden können.

Weltärzte-Chef: "Guter und wirksamer Impfstoff"

Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery zog indes den vorläufigen Stopp für Impfungen mit Astrazeneca in Zweifel. "Dass Menschen Thrombosen und Lungenembolien bekommen, muss nicht unbedingt etwas mit der Impfung zu tun haben", sagte Montgomery dieser Redaktion. Nach den ihm bekannten internationalen Studien sei die Thrombose-Häufigkeit in der Placebo-Gruppe und in der Gruppe mit dem Impfstoff etwa gleich gewesen.

Montgomery warnte auch vor einem Image-Schaden für den Impfstoff. "Unter dem Strich ist es leider so, dass dieser eigentlich gute und wirksame Impfstoff durch den Wirbel und die Impf-Aussetzung in vielen Ländern nicht gerade eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung gewinnt", sagte der Weltärztepräsident. Eine grundsätzliche Überprüfung der Vorfälle begrüßte Montgomery allerdings. Die EMA habe noch einmal bestätigt, dass Astrazeneca ein sicherer und effektiver Impfstoff gegen das Coronavirus sei. "Trotzdem ist es richtig, dass die nationalen Behörden die Verdachtsfälle auf schwere Nebenwirkungen prüfen."

Lauterbach: Thrombosen wahrscheinlich wegen Impfung

Laut SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach lassen sich die nach den Corona-Impfungen gemeldeten Thrombosen der Hirnvenen hingegen "mit großer Wahrscheinlichkeit" auf das Präparat von Astrazeneca zurückführen. "Das sieht man sonst in der Bevölkerung 50 Mal im ganzen Jahr in Deutschland", sagte Lauterbach im ARD-"Morgenmagazin". "Der Zusammenhang macht auch physiologisch Sinn."

"Auf der Grundlage der Zwischenfälle, die wir jetzt kennen, überwiegt natürlich der Nutzen des Impfstoffs, insbesondere bei den Älteren", betonte Lauterbach. In Abwägung mit der Thrombose, die "behandelbar ist, wenn auch schwer behandelbar ist gegen eine Erkrankung, die bei Älteren sehr, sehr häufig tödlich verläuft", hätte er die Impfungen nicht ausgesetzt.

Mediziner: "Zweitwichtigster Impfstoff für uns"

Der Pandemiebeauftragte des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universität München, Christoph Spinner, kritisierte das Aussetzen der Impfungen mit dem Astrazeneca-Produkt. Sicherheit stehe zwar an oberster Stelle. Ob man die Impfung hätte aussetzen müssen, könne man zumindest hinterfragen, sagte der Oberarzt des Universitätsklinikums der Deutschen Presse-Agentur. "Der Astrazeneca ist der zweitwichtigste Impfstoff für uns."

Die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) genannte Zahl von sieben Fällen spezieller Thrombosen der Hirnvenen bei 1,6 Millionen Impfungen in Deutschland sei sehr gering. "Die Ereignisse sind sehr selten", sagt Spinner. Und: "Wir impfen derzeit prioritär Menschen mit Vorerkrankungen." Diese Patienten hätten teils von vornherein ein gesteigertes Thromboembolie-Risiko.

"Die Vorteile der Impfung überwiegen", betont der Mediziner, was derzeit auch die Europäische Arzneimittelbehörde EMA in einem aktuellen Statement bekräftigt. "Übrigens verursacht auch eine schwere Covid-19-Erkrankung regelhaft thromboembolische Ereignisse - alleine deshalb ist eine Impfung absolut sinnvoll."

Angesichts der jüngsten Berichte geht Spinner davon aus, dass die Meldezahlen für entsprechende Fälle nun hochgehen werden - was wiederum das Vertrauen in den wichtigen Impfstoff weiter reduziere. Auch deshalb sieht er den Schritt durchaus kritisch. "Die Entscheidung, die Impfung auszusetzen, verursacht großen Schaden in das Vertrauen des Vakzins. Das lässt sich auch später nur noch schwer reparieren."

Institut befürchtet Milliardenkosten

Der vorläufige Impfstopp kann dem arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zufolge Milliarden kosten. "Wird der Impfstoff von Astrazeneca für eine Woche ausgesetzt, bedeutet das eine halbe Woche späteren Impfschutz und im Zweifel auch eine halbe Woche längeren Lockdown", sagt IW-Experte Hubertus Bardt. "Die gesamtwirtschaftlichen Kosten sind dann schnell bei zwei Milliarden Euro." Wenn die Verzögerung dazu führe, dass der Wettlauf gegen die dritte Corona-Welle endgültig verloren gehe, seien die Kosten "sicher noch deutlich höher".