Berlin (dpa/rtr). Deutschland setzt die Impfungen mit dem Impfstoff von Astrazeneca vorerst aus. Vorausgegangen waren Meldungen von Blutgerinnseln im zeitlichen Zusammenhang mit einer Corona-Impfung mit dem Präparat, teilte das Bundesgesundheitsministerium am Montag in Berlin mit. Es handele sich um einen vorsorglichen Schritt, dem eine entsprechende Empfehlung des zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) vorangegangen sei, sagte ein Sprecher.
„Nach neuen Meldungen von Thrombosen der Hirnvenen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung in Deutschland und Europa, hält das PEI weitere Untersuchungen für notwendig", so der Sprecher. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA werde entscheiden, ob und wie sich die neuen Erkenntnisse auf die Zulassung des Impfstoffes auswirken.
Spahn: Gilt für Erst- und Zweitimpfungen
Die Aussetzung der Astrazeneca-Impfungen betrifft sowohl Erst- als auch Zweitimpfungen, erklärte Gesundheitsminister Jens Spahn am Montagnachmittag. Die europäische Arzneimittelbehörde EMA werde entscheiden, ob und wie sich die neuen Erkenntnisse auf die Zulassung des Impfstoffs auswirkten. Nach einem positiven Votum der Behörde könnten die Impfungen nachgeholt werden. "Uns allen ist die Tragweite dieser Entscheidung sehr bewusst", sagt der CDU-Politiker. Dies sei eine fachliche und keine politische Entscheidung.
Zuvor hatten auch die Niederlande Impfungen mit dem Impfstoff des britisch-schwedischen Pharmakonzerns Astrazeneca für zwei Wochen ausgesetzt. Dies geschehe auf der Grundlage „neuer Informationen", hatte Gesundheitsminister Hugo de Jonge am späten Sonntagabend mitgeteilt. Dabei bezog er sich auf sechs Fälle möglicher Nebenwirkungen in Dänemark und Norwegen an diesem Wochenende. Nach „Wir müssen immer auf Nummer sicher gehen", sagte der Minister. „Daher ist es klug, nun auf die Pausetaste zu drücken." Nach Deutschland setzen auch Frankreich und Italien die Impfungen mit dem Vakzin von Astrazeneca vorsorglich aus. Das kündigten der französische Präsident Emmanuel Macron und die italienische Arzneimittelbehörde an.
Lauterbach: "Fehler"
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hält die Aussetzung in Deutschland für falsch. "Auf der Grundlage der vorliegenden Daten halte ich das für einen Fehler", twittert Lauterbach. "Die Prüfung ohne Aussetzung der Impfung wäre wegen der Seltenheit der Komplikation besser gewesen. In der jetzt Fahrt aufnehmenden 3. Welle wären die Erstimpfungen mit dem Astrazeneca Impfstoff Lebensretter."
Die EMA erklärte allerdings, dass es keine auffällige Häufung von Thrombosen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung gebe. Der Nutzen der Verabreichung des Astrazeneca-Mittels sei größer als die Risiken.
Ausgesetzt worden waren die Impfungen mit dem Vakzin vorübergehend auch in Italien. In der norditalienischen Region Piemont beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft eine Charge mit fast 400.000 Impfdosen des Herstellers Astrazeneca. Bereits am Sonntag hatte die Regionalregierung die Anwendung der Charge ABV5811 gestoppt, nachdem ein 57-Jähriger wenige Stunden nach der Impfung unter ungeklärten Umständen gestorben war. Vorige Woche war eine andere Charge des Impfstoffs auf Sizilien beschlagnahmt worden, nachdem zwei Geimpfte plötzlich gestorben waren.
Großbritannien nutzt Astrazeneca-Impfstoff weiter
Auch Großbritannien nutzt den Astrazeneca-Impfstoff weiter. „Wir prüfen die Berichte genau, aber angesichts der großen Anzahl verabreichter Dosen und der Häufigkeit, mit der Blutgerinnsel auf natürliche Weise auftreten können, deuten die verfügbaren Beweise nicht darauf hin, dass der Impfstoff die Ursache ist", sagte Phil Bryan von der britischen Aufsichtsbehörde für Arzneimittel (MHRA) einer Mitteilung zufolge.
Zuletzt hatte die irische Impfkommission sich für einen vorübergehenden Stopp der Impfungen mit dem Präparat ausgesprochen, das der britisch-schwedische Konzern Astrazeneca gemeinsam mit der Universität Oxford entwickelt hat. Es handele sich um eine reine Vorsichtsmaßnahme.
Astrazeneca hatte nach einer Analyse von Impfdaten erneut Sorgen über die Sicherheit seines Corona-Impfstoffes zurückgewiesen. Eine sorgfältige Analyse der Sicherheitsdaten von mehr als 17 Millionen Geimpften in der EU und Großbritannien habe keine Belege für ein höheres Risiko für Lungenembolien, tiefen Venenthrombosen und Thrombozytopenie geliefert, wie der Konzern am Sonntag in London mitteilte. Damit bezieht sich das Unternehmen nun auf noch mehr Datensätze. Am Freitag hatte Astrazeneca sich bereits ebenso geäußert und dabei auf 10 Millionen Datensätze verwiesen.
Der Beratungsausschuss der Weltgesundheitsorganisation (WHO) trifft sich am Dienstag, um über den Astrazeneca-Impfstoff zu diskutieren. Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) will auf einer Sondersitzung am Donnerstag die vorliegenden Informationen über den Astrazeneca-Impfstoff bewerten.
Links zum Thema